Die Verjournalisierung von Social Networks
Die Verjournalisierung von Social Networks
XING zum Beispiel hat in der letzten Woche nachgelegt und bietet jetzt einen Kolumnenbereich namens Klartext an - bei dem nicht nur Karrierethemen diskutiert werden und dieser Bereich ist auch von Google aus erreichbar.
Dass der Content gezielt für seine Verwertung optimiert wird, das ist kein neues Phänomen. Eine Anzeige in der Zeitung muss anders gestaltet sein als ein Plakat für den Hauptbahnhof. Werbung an der Bushaltestelle sieht dann aufgrund des Formates der Plakate dort nochmal anders aus als an der Litfasssäule. Die Aufbereitung der eigenen Botschaft für die gezielte anvisierten Nutzer ist daher eigentlich nichts, was neu ist. Und als dann das Internet aufkam musste man sich auch neu überlegen, wie man seine Botschaft an den Mann oder die Frau bringt. Bis heute allerdings ist das ein Streitthema - wer sich ohne Adblocker diverse Zeitungs- oder Zeitschriftenseiten im Netz anschaut schlägt die Hand vors Gesicht. Da überlagern sich Banner über Banner und zudem auch noch solche, die für mich als Leser eigentlich uninteressant sind. Andererseits werde ich dann durch Cookies über Wochen hinweg mit Frauenhandtaschen in den Anzeigen bombardiert, nur weil ich einmal im Leben nach einem Geschenk für die Freundin gesucht habe.
Doch kommen wir von der Werbung zurück zum Thema Content. Ohne diesen können Soziale Netzwerke nicht leben. In der Anfangsphase bezogen sie den Inhalt, den Content auch in erster Linie nur aus dem, was wir als Nutzer in die Netzwerke hineinwarfen, garnierten das mit - mehr oder weniger - passender Werbung und freuten sich an den Zuwachszahlen. Die PR-Abteilungen bei den Produzenten warfen dann ungefiltert ihre Pressemitteilungen in den Haufen der Informationen und wunderten sich dann, dass kaum Reaktionen anzutreffen waren. Es dauerte dann nicht lange bis man feststellte: Auch für Soziale Medien muss man seine Botschaft entsprechend gestalten. Das führte bei Facebook dann zu einer Bildersinnflut, einem GIF-Overload und einem Filmklumpen. Und es führte zur Entwicklung eines neuen Stil des Journalismus - die Stunde von Buzzfeed und Co, dem aktuell das oben erwähnte Bento nacheifert, schlug. Buzzfeed - das deutsche Pendant ist leider nicht annähernd vergleichbar mit dem amerikanischem Original - begriff schnell: Inhalte müssen sich leicht teilen lassen. Es reicht nicht, wenn man bei einem Artikel einen Knopf mit einem Facebook-Link dranmacht - wie das bei einigen Angeboten noch der Fall ist und manchmal braucht man dann noch Zwei-Klicks wegen des Datenschutzes. Inhalte für Soziale Netzwerke müssen emotional sein. Sie müssen leicht teilbar sein. Sie müssen zudem einen Mehrwert besitzen. Und man muss dort sein wo die Nutzer sind. Aber: Bei Buzzfeed USA finden sich auch lange, gut recherchierte Artikel über politische Themen. Neben all den lustigen Katzenbildern und den Tipps fürs ein besseres Leben.
Mit diesen Maximen für die Gestaltung des Contents in Sozialen Netzwerken tritt ein neuer Journalismus auf die Bühne. Einer, der gewissermaßen "nicht zitierfähig" ist, weil Dinge wie "So würden Disneyprinzessinnen im realen Leben aussehen" - doch, das gibts bei Buzzfeed natürlich - nie im Leben als ernsthafte Themen von Zeitungen in deren Feuilletons aufgegriffen und weiter behandelt werden. Klatsch und Tratsch war noch nie zitierfähig, aber sorgte immer für gute Verkaufszahlen. Dieser Journalismus orientiert sich an dem Erfolg von Klickzahlen, die wiederum Werbeeinnahmen versprechen. Konsequent wird hier weitergeführt, was in den Frühzeiten des Journalismus schon gemacht wurde: Schlagzeilen werden überarbeitet um mehr Leser zu bekommen, Artikel werden in kleinere Häppchen zerlegt und mit Photos oder GIFs ausgestattet. Diese Art des Journalismus greift mehr und mehr auch auf die renommierten Medien über - die bei Buzzfeed allerdings nur den Fun-Content sehen und nicht mehr. Wenn der Spiegel etwa mit Bento versucht, Jugendliche in einem lässig gewollten Ton zu erreichen, dann ist das die direkte Folge von Buzzfeed und Heftig.co. Die Rolle von Heftig.co zeigt, wie man aus im Netz gefundenen Inhalten mit einer Superoptimierung im Social Web durchknallt. Quasi Katzenbilder auf Speed. Die Auswirkungen sieht man übrigens jeden Tag auf 10.000flies...
Den nächsten Schritt sehen wir dann unter anderem bei XING mit den Klartext-Bereich. Statt sich nur auf die Rolle des Inhalte-Durchlauferhitzers zu beschränken werden Soziale Netzwerke immer mehr zu eigenen Verlagen - sie kuratieren also nicht nur länger nur Inhalte der Nutzer, sie bemühen sich auch Inhalte für die Nutzer an sich zu erstellen. Ungefähr ist das so, als ob Buzzfeed sein eigenes Soziales Netzwerk gründen wollen würde. Genügend selbstproduzierte Inhalte sind bei diesem Portal ja vorhanden - allein was die Youtube-Kanäle anbelangt. Im Grunde ist aber auch das nicht neu. Als die ersten Blogs aufkamen waren Verlage schnell dabei ihre eigenen Blogs in die Webseiten zu integrieren - was ja dann auch LinkedIn gemacht hat, XING reagiert momentan nur darauf aber mit dem Konzept, dass hier Experten schreiben und man dann über die Themen diskutieren darf. Wenn die Kommentarfunktion nicht abgeschaltet wurde. Das ist einerseits ein Rückschritt wenn man das in Hinblick auf die Partizipation der Nutzer sieht, andererseits aber auch ein Vorausblick auf das, was uns demnächst bevorsteht. Nicht mehr nur Zeitschriften- und Zeitungsverlage werden einen Platz in unserem Medienmix finden, nicht nur Bento oder Curved. Wobei Curved tatsächlich dieses Content-Marketing in Reinform ist, denn die Plattform ist ja kein unabhängiges Angebot sondern von ePlus damals ins Leben gerufen worden.
Nein, auch die Sozialen Netzwerke selbst - wie Snapchat das tut oder getan hat bis vor kurzem - werden zu Newsproduzenten und damit zur Konkurrenz der eingesessenen Verlage. Sie wissen genau, was wir mögen oder nicht mögen und können ihre Angebote daher gezielter auf uns zuschneidern als das die Lokalzeitung im Print oder auch Online je können wird. Wenn dann auch noch nicht aufdringliche und passende Werbung dazukommt - dann steckt man in einer schönen tiefen Filterblase und braucht eigentlich nicht mehr von den Plattformen wegzugehen. Der Großteil der Facebook-Nutzer loggt sich ja auch nicht mehr aus und obgleich alle gegen die bösen Algorithmen wettern - man tut ja in der Regel dann doch das Bequemere.
Im Prinzip haben wir schon die nächste Revolution im Journalismus glatt verschlafen - nachdem die Verlage kurz von Buzzfeed und Heftig aufgeschreckt wurden und versuchen diese Formate zu imitieren. Dabei vergessen die Verlage, dass Journalismus nicht nur in dem Verteilen von zappeligen GIFs besteht sondern auch im Aufbereiten von ernsthaften Themen. So betont hip Bento auch daherkommt, sieht man das im Gegenlicht von Fluter.de etwa wird deutlich wie fadenscheinig diese Versuche sind. Verschlafen haben wir die letzte Revolution des Journalismusses, weil wir Soziale Netzwerke nicht als Verlage wahrnahmen sondern nur als Verbreiter von Content. Von unseren Inhalten. Und renommierte Verlage sind mal wieder zu spät dran um noch etwas vom Schwung der Revolution mitnehmen zu können. Wenn Twitter, Facebook, Google und Apple dazu übergehen selbst Nachrichten zu generieren, die "zitierfähig" sind rettet hier in Deutschland kein Leistungsschutzgesetz die Verlage mehr. Und das wird sicherlich der nächste Schritt in der Kette sein. Wenn nicht heute, dann doch morgen. Passend dazu übrigens: Gestern gab Facebook eine neue Suchfunktion aus, für diejenigen, die FB auf Englisch nutzen ist das schon freigeschaltet. Focus der neuen Suche: "Public Real News"...