Klassik ist harte Arbeit und Arbeit darf keinen Spaß machen!
Klassik ist harte Arbeit ...
... und Arbeit darf keinen Spaß machen!
Wir informieren uns bei Konzertführern vorher darüber, was der Komponist denn nun eigentlich wollte, auch wenn der Komponist das vermutlich zur Entstehungszeit seines Werkes gar nicht wusste, was er denn da nun wollen sollte. Wir ächzen und stöhnen, wir streben und beben - und haben wir endlich den Klassikgipfel erklommen, ergötzen wir uns daran, dass wir jetzt wissen, wie ein Sonatenhauptsatz aufgebaut ist und warum Beethoven in der neunten Symphonie den Klang einer Marschkapelle imitiert hat. Unser Wissen ist harte Arbeit und deswegen kann und darf man einfach bei der Klassik keinen Spaß haben. Und um Gottes Willen nicht bei Wagners Tristan!
Eine Vorstellung, die in den Köpfen durchaus noch vorhanden ist. Und eine, die man differenzierter betrachten sollte und das kann man anhand der Folie tun, die UWAGA bietet. Diese nehmen sich die Originale der klassischen Musik und bearbeiten sie so, dass man als Hörer manchmal eine Weile braucht, um das Motiv wiederzukennen. Wobei sich Mozart sicherlich vergnügt die Hände gerieben hätte, wenn seine Alla-Turca-Modemusik der damaligen Zeit wirklich im Gewand einer türkischen Tanzweise daherkommt. Um diesen Gag zu verstehen, um diesen - nennen wir das Wort mit F mal - Fun am Ganzen nachvollziehen zu können muss man die Originale kennen? Nicht unbedingt, denn der Vergnüngswert des Stückes macht sich ja nicht daran fest, ob man jetzt erkennt, dass das Thema im Original von Beethoven, Sibelius, Wagner oder Mozart stammt. Das Vergnügen an der Musik ist immer ein subjektives. Entweder es gefällt einem, was man hört oder es gefällt einem nicht, was man hört. Das ist das Vergnügen der ersten Ordnung.
Das Vergnügen zweiter Ordnung setzt dann Wissen voraus. Im Falle von UWAGA wäre das das Wissen um die Original-Themen - wobei UWAGA sich aus dem Fundus dessen bedienen, was im allgegenwärtigen Erinnerungspool des Schulwissens herumschwirrt und aus dem sich Werbung ebenso wie andere Unternehmen für ihre Zwecke bedienen. Jeder Fussballfan, der die Champions-League-Übertragung einschaltet bekommt eine Bearbeitung von Herrn Händel als Hymne um die Ohren - aber er wird das in der Regel nicht wissen. Das Vergnügen zweiter Ordnung, für das wir in Deutschland Arbeit investieren und dadurch die Klassik mühsamer zugänglich machen, weil Arbeit ja keinen Spaß machen darf, besteht darin zu wissen, aus welchem Werk das Thema bei UWAGA stammt, welcher Komponist das war, welcher Satz. Eventuell kann man noch wissen ob es Barock, Neoklassizismus oder Minimal Music ist. Wer das Vergnügen der ersten Ordnung erfahren hat, wird sicherlich auch noch mal nachforschen, woher das Stück stammt - und sich so beim erneuten Hören mit dem Erlebnis der zweiten Ordnung zurücklehnen können.
Wenn man sich dann noch die Mühe macht, etwas tiefer zu dringen - etwa, in dem man auf die Instrumentierung achtet, in dem man noch andere Werke des Komponisten hört, in dem man Biographien zu Rate zieht und Fachaufsätze liest - dann ist das Vergnügen der dritten Ordnung gegeben. Der normale Konzertgänger wird hier schon kaum noch zu finden sein, ihm reichen in der Regel die Informationen des Programmheftes. Aber einige Wenige werden die Mühe auf sich nehmen um fernerhin den Klassik-Gipfel zu erklimmen und dann natürlich mit dem noch mehr Wissen noch mehr Vergnügen an dem Stück haben. Leute, die sofort einen Sektakkord in der zweiten Umkehrung identifizieren können und wissen, dass der eigentlich aufgelöst werden müsste - aber in diesem einen besonderen Fall ist das ein Stilmittel und deswegen... Das Vergnügen der dritten Ordnung ist tatsächlich schon mühsam erarbeitet. Und deswegen ist es kein Wunder, wenn das Justemilieu hochnäsig auf alldiejenigen herabsieht, die sich nicht die Mühe der Geisteswonnen gemacht haben. Sondern die sogar eventuell noch ein Vergnügen haben, dass dem Fun verdächtig nahekommt.
Und da die Klassikwelt eine Welt ist, in der Fun nichts zu suchen hat sondern indem der Professor mit sonorer Stimme vor dem Konzert noch erklärt, warum das Werk so einmalig toll ist - deswegen freuen wir uns in Deutschland eher nicht so daran, wenn Klassik auf einmal aus dem hehren Tempel herausgeholt wird und auf der Straße herumtollen darf. Denn schließlich haben die Zuhörer sich ja meistens schon so in das Thema eingearbeitet, dass ein reines Vergnügen bei Klassik entweder nicht sein darf oder belächelt wird. Nun wird Paul Potts mit einer Darstellung von "Nessun Dorma" nicht in die Geschichte der Klassik-Interpreten eintreten - aber er hat für etliche Zuhörer das Erlebnis Klassik nach Hause gebracht. Susan Boyle dürfte ebenfalls jetzt schon vergessen sein, dass sie Klassik zugänglicher gemacht hat, darüber sahen die Feuilletonisten stets gnädig drüber weg.
Und das ist ein Fehler: Wenn wir - laut Mahler - nicht die Asche anbeten sollen sondern den Funken weitertragen, dann müssen wir uns darauf einstellen, dass Klassik auch einfach so genossen werden kann. Ohne Vorwissen. Genau das ist ja das Schöne an der Musik: Ich muss das alles gar nicht wissen, ich darf mich einfach in den Konzertsessel setzen und zuhören. Und wenn mich das interessiert, dann werde ich von selber nachforschen, was da noch weiter zu entdeckten gibt. Das sich "Heraufhören" ist ebenso Unfug wie das sich "Herauslesen". Gut: Ob Metallica im Klassiksound für Babys sein muss ist die Frage, die ich mir auch ab und an stelle. In dem Fall ist es aber ja keine Klassik, sondern es ist das Umwandeln von einer Musikrichtung in die andere. Legitim, wenn auch nicht unbedingt mein Geschmack. Lassen wir uns den Spaß jedenfalls nicht von Leuten verderben, die meinen, man müsste erstmal einen Konzertführer komplett durchgelesen haben, bevor man ins Konzert darf. Die haben da was missverstanden. Glücklicherweise.