Warum Terry Pratchetts »Fliegende Fetzen« aktueller ist denn je
Warum Terry Pratchetts »Fliegende Fetzen« aktueller ist denn je
Manchmal ist eine Geschichte aber weitaus mehr als das.
Über "Fliegende Fetzen" habe ich ja schon diverse Male was geschrieben. Daher halte ich mich gar nicht mit der Geschichte an sich auf - Insel taucht aus dem Meer auf, Ankh-Morporkh und Klatsch werfen ein Auge drauf, ein Konflikt eskaliert und nebenbei gibts noch eine Kriminalgeschichte, deren Auflösung nicht ganz so gelungen ist wie man dachte und eigentlich ist die auch nur Beiwerk, damit die Helden am Ende in der Wüste landen. Ich schrieb ja, ich halte mich nicht mit der Geschichte auf, ebensowenig wie ich auf die Schwachstellen eingehe, die das Buch zweifellos hat. (Ist einem jemals aufgefallen, dass man die Überfahrt-Szenen mit Mumm auf diesem Schiff komplett streichen kann, ohne dass die Handlung an sich irgendwas verliert? Warum sind die da? Und warum bringt Pratchett den Gag mit der Verwechslung des Disorganizers aus der anderen Zeitlinie, wenn der eigentlich zu nichts weiter führt als lustigen Einwürfen?) Wie geschrieben: Darauf gehe ich mal nicht genauer ein.
"Fliegende Fetzen" dreht sich nämlich einheitlich gar nicht um einen Kriminalfall. Na ja, auch, aber eigentlich geht es im Buch um Vorurteile gegenüber Fremden und da feuert Pratchett im Gewand der Fantasy-Comedy etliche Breitseiten ab. Die man als Leser zuerst gar nicht so bemerkt, aber die sich doch irgendwie ins Gedächtnis krallen und einen nachdenklich werden lassen. So etwa dient die ganze erste Szene mit Mumm und Detritus nicht nur dazu eine Stadtatmosphäre entstehen zu lassen - ein Seitenhieb auf die Praxis der Briten in Parks öffentlich ihre Meinung zu verkündigen gehört natürlich dazu. Sondern gleichzeitig schießen etliche Gedanken durch Mumms Hirn. So zum Beispiel, dass sich in der Stadt bei den Meisten eine sehr - gewalttätige - Stimmung aufbaut. Mumm sieht des Volkes Stimme eh skeptisch, später wird es heißen, dass man durchaus intelligente Menschen an einen Ort versammeln kann, allerdings werden die dann seltsamerweise weniger intelligent. Anders ausgedrückt feuert Pratchett eine Breitseite gegen all diejenigen ab, die meinen nur weil sie brüllen, würden sie besser gehört. Wer brüllt ist automatisch weniger intelligent trifft es eher.
Zu den sarkastischen Gedanken Mumms gehört auch der, dass wir alle so gerne an Verschwörungen glauben, weil wir dadurch von unserem Menschsein freigesprochen werden. Man selbst nämlich tut gar nichts böses, nein, das tun halt immer nur DIE. Die Anderen. Die Fremden. Die Merkwürdigen. Die Anders-Denkenden. Und natürlich die dunklen Gestalten in finsteren Hotelzimmern, die Dinge hinter unserem Rücken planen und die eigentlichen Drahtzieher sind. Pratchett ist Realist genug um uns mitzuteilen: Es sind nicht DIESE LEUTE, die für das Böse in der Welt verantwortlich sind. Es sind keine Illuminaten, Bilderberg-Vertreter oder was auch immer. Nein: Das Böse - und da ist Pratchett genau bei der Banalität des Bösen, die beim Eichmann-Prozeß aufschimmerte - das Böse wird von ganz normalen Leuten getan. Leuten, die eine Familie haben, den Hund streicheln, dafür sorgen, dass die Kinder gut versorgt werden. Ganz normale Leute begehen grausame und unnatürliche Taten - und wir ganz allein sind in der Verantwortung, wenn wir handeln. Diese Verantwortung nimmt uns keiner ab, auch wenn die Verschwörungs-Theorien das natürlich tun. Sie vereinfachen die Realität - und immer, wenn die Realität vereinfacht wird ist Vorsicht angebracht. Denn die Realität ist so komplex wie das Leben selbst.
Während Karotte durchaus nicht wohl ist in seiner Haut, in der er zivil und "inoffiziell" Indizien für einen Mord untersucht, ist das für Angua durchaus normal. (Wobei: Wie oft ist eigentlich Vollmond seitdem Pratchett sie eingeführt hat? Oder ist Vollmond immer dann, wenn es für die Story total super bequem ist? Wenn man mal davon ausgeht, dass der Mond auch in der Scheibenwelt mal voll, mal weniger voll ist und der Zeitraum der Reise über das Meer ja wohl kaum 28 Tage dauert.. Es sei denn, der Mond wird schneller voll auf der Scheibenwelt... Ach so, ich wollte das ja nicht genauer in Frage stellen. Tschuldigung. Abschweifungen halt.) "Geh mal eine Weile auf diesen Pfoten", murmelt sie als Karotte sich darüber beschwert, dass er das Verkleiden gar nicht mag. Angua als Außenseiterin weiß, wie es sich genau das anfühlt. Karotte als einer der Wenigen, die wirklich ehrlich sind - so ehrlich, dass er jedesmal zuckt, wenn Mumm eine Lüge äußert - versteht das Konzept des Andersseins nicht. Wobei er das eigentlich auch müsste, weil er als Zwerg aufwuchs. Und sich als Mensch entpuppte. Aber das ist in "Fliegende Fetzen" nur ein Detail.
Trügerisch sind die Fragen, die Nobby an Colon stellt. Etwa, was denn jetzt die richtige Hautfarbe sei. Und dass man die hart arbeitenden Goriffs, Besitzer eines Fast-Food-Restaurants aus Klatsch, ja wohl kaum als Musterbeispiel für die - ja - nun - die Anderen hernehmen kann. Weil ausgerechnet diese nicht passen. Und Mumm denkt einige Szenen vorher dasselbe: Es gibt Leute, die sehen aus als kämen sie aus Klatsch - "als hätten sie KAMEL übers Gesicht geschrieben", Mumm halt - und dann haben sie einen Sprachakzent aus dem tiefsten Vierteln der Stadt. Es ist halt nicht so einfach. Und offensichtlich ist das alles gar nicht. Was später im Kriminalfall auch nochmal zur Sprache kommt, aber damit halte ich mich mal nicht weiter auf, der Kriminalfall ist eh das Schwächste in "Fliegende Fetzen".
Es sind all diese Momente und diese Szenen, die zum Nachdenken anregen. Wenngleich der Leser meistens wohl eher die Stellen als lustige Intermezzi wahrnehmen wird, die die eigentliche Handlung - na schön, na schön, der Kriminalfall ist eine Handlung, aber eine, die am Ende keinen richtigen Sinn ergibt, der Witz liegt eigentlich darin, dass die Insel... Aber ich wollte ja nicht drauf eingehen. Jedenfalls: Pratchett versteht es durchaus richtige, wichtige Gedanken beiläufig in komische und absurde Szenen zu packen. Und wer "Fliegende Fetzen" gelesen hat, wird verstehen, dass es in Zeiten wie diesen genau darauf ankommt: Nicht zu verallgemeinern, nicht Hautfarben abzuwerten, nicht als Teil eines Mobs mit Mistgabeln durch die Straßen zu rennen. Tocotronic haben mal festgestellt, dass die wahre Vernunft niemals siegen darf. Ich frage mich: Warum eigentlich nicht?
Kommentare
Mir ist klar, dass Opus Die eine katholische Organisation ist, aber eben eine recht spezielle, die sich von den übrigen Katholiken abhebt.
Zitat: Seit über einem Jahr wird leider jede Kritik an der Willkommenskultur und der Grenzöffnung pauschal mit dem Hinweis, "das ist Wasser auf den Mühlen der Rechten" abgebügelt. Und leider wird eigentlich umgekehrt ein Schuh draus. Die Populisten sind stark geworden, weil viele Menschen keine anderen Ansprechpartner für ihre berechtigten Sorgen und Ängste gefunden haben (Bayern einmal ausgenommen).
Im Vorfeld hat man sich bei Waffenverkäufen eine goldene Nase verdient (auch in Deutschland), Warlords werden mit allem unterstützt und Staaten destabilisiert.
Statt sich jetzt mit Sorgen und Ängsten zu plagen, hätte man vor einigen Jahren schon mal nachdenken sollen, wo diese Entwicklung hinführt. Jetzt ein Ohr für die Populisten zu haben (und da zähle ich das politische Bayern hinzu), zeigt nur, dass man nicht viel verstanden hat. Oder hat hier wirklich jemand ernsthaft geglaubt, die Bomben und Tote prallen dort an der Zivilbevölkerung ab und sie bleiben einfach still sitzen? Die haben auch Kinder, denen sie ein friedliches Leben wünschen. Auch in der Politik gilt das Prinzip von Ursache und Wirkung, dass scheint man aber in den Wahlkabinen hier zu vergessen.
Aber nun klinke ich mich hier wirklich aus der Diskussion aus, denn diese Diskussion ist wie ein Stein den man ins Wasser schmeißt. Die Kreise im Wasser werden dabei immer größer und wenn wir diese Diskussion weiter führen, werden wir zwangsläufig auch über die bisherige internationale Politik ausgehend von Deutschland reden müssen. Das würde den Rahmen aber mit Sicherheit hier sprengen.