Youtube ist Fernsehen ist Youtube: Medienkonvergenz my ass
Youtube ist Fernsehen ist Youtube:
Medienkonvergenz my ass
Was allerdings früher immer getönt wurde, dass Youtube das bessere Fernsehen sei und das alte System ablösen würde, das hat sich - mal wieder - nicht bewahrheitet. Dafür gibt es einen bestimmten Grund: YouTube erfordert immer Interaktivität. Damit ist nicht gemeint, dass man ständig von den Machern der Videos dazu aufgefordert wird irgendwelche Dinge zu tun, wie Glocken zu drücken, zu kommentieren oder zu liken. Was diese natürlich tun, denn das beeinflusst den Algorithmus aka die Wertung innerhalb von Youtube. Abonnieren sollte man dann auch mal, wenn man die neuesten Folgen des Lieblingskanals sehen möchte.
Nein. Es liegt am grundlegenden Prinzip von Youtube: Ich als Zuschauer suche mir die Videos raus, die ich sehen möchte. Ich bin in der Kommandozentrale und habe entschieden, was ich gucken möchte. Seit einiger Zeit gibt es zwar auch die Möglichkeit des Auto-Play-Schalters, so dass Youtube automatisch die Videos abspielt, die der Algorithmus mir vorschlägt - das ändert ab am eigentlichen Prinzip wenig. Zudem: Mir muss nicht immer passen, was der Algorithmus mir da in die Playlist reinpackt. Daher: Ich muss mir eine Playlist in der App zusammenstellen, ich muss heraussuchen, was mir gefällt und was nicht. Merkwürdigerweise hat Youtube es bisher vermieden, einfach eine Abspielfunktion für alle neuen Videos in meinem abonnierten Kanälen anzubieten. Nein, bei Youtube muss ich selbst auswählen und suchen und entscheiden. Das ist bei den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen und Privaten ja auch ähnlich. Ob Fernsehen oder Rundfunk.
Und wer jetzt einwendet, Youtube böte doch auch seit Jahren eine Stream-Möglichkeit an - ja, in der Tat. Aber auch hier muss ich ja bewußt den Stream aussuchen und ihn anklicken. Er kommt nicht automatisch ins Haus. Wenn ich das Fernsehen einschalte, dann lande ich direkt im Programm des Senders. Bei Youtube lande ich auf meiner Startseite. Erst anschließend dann im jeweiligen Stream, falls der Online sein sollte.
Dass sich Altes und Neues nicht ausschließt zeigen seit Jahren die Rocketbeans. Seit Zweitausendfünzehn auf Sendung und erst nur als Zweitverwertung für die MTV-Sendung Game One gedacht streamen die Macher live auf verschiedenen Plattformen. Und wie das so ist: Man kann sich alle Sendungen nachträglich anschauen. Wer etwa Pen-and-Paper-Runden mag, der kann sich vier Stunden anschauen, wie die Beteiligten an einem Tisch sitzen, würfeln und eine Geschichte erkunden. Doch: Vier Stunden sitzen Leute dort an einem Tisch und kritzeln auf ihren Charakterbögen herum. Oder eine Stunde kann man zuschauen, wie Brettspiele gespielt werden. Es gibt eine Morgensendung - so um halb Elf rum - es gibt Sendungen zu Games, es gibt Let's-Plays und Talk. Und das rund um die Uhr im Stream. Das geht, weil die Macher eine Rundfunklizenz erworben haben - etwas, was vor ein, zwei Jahren ja massiv die Runde machte und verunsicherte: Was ist denn eigentlich Rundfunk vor dem Gesetz und wann brauche ich eine Lizenz? Gronkh und PietSmiet haben damals etliche Sträuße mit den Landesmedienanstalten ausgefochten, aber half alles nichts: Wer permanent live streamt, braucht eine Lizenz hierzulande.
Das hat den Vorteil, dass ich als Zuschauer mich am Ende des Arbeitstages einfach in den Sessel fallen lassen kann, den Streaming-Kanal auswähle und mich dann vom zusammengestellten Programm berieseln lassen kann. Ebenfalls aber auch kann ich, wenn ich mal was verpasst habe, ins Archiv der Webseite oder auf Youtube gehen und mir die Sendung raussuchen. Morgenshow um Mitternacht? Kein Thema. Ist doch eigentlich super: Jeder kann sein eigener Fernsehsender sein und dauernd streamen. Da der Staat allerdings ein nettes Sümmchen für die Rundfunklizenz haben möchte, haben wir in Deutschland keine wirkliche Rund-Um-Die-Uhr-Streams. Da auch Twitch, die Alternative zum Streamen, nicht davon ausgenommen ist, konnte sich hierzulande bisher nichts entwicklen, was man als alternative Sende-Kanal-Streaming-Kultur bezeichnen könnte. Man kann sich fragen, ob bestimmte Regeln nicht einfach mal überdacht werden müssen - das Jammern der Politik über das Fehlen von digitalen Ideen ist immer groß, die Rahmenbedingungen aber für die Innovation selbst sind auch nicht gerade weit. Bisher ist übrigens trotz der Zusicherung Politik nichts weiter passiert. Zwar machte im letzten Jahr der Begriff eines Medienstaatsvertrags statt eines Rundfunkstaatvertrags die Runde und jeder Politiker gab sich einsichtig, ja, man müsse da was ändern und zwar schnell. Aber passiert ist bisher wenig bis gar nichts. Wer also permanent streamen möchte, sollte eine Kriegskasse beiseite gelegt haben...
Was den Charme der bisher lizenzierten Kanäle ausmacht: Sie sind nicht perfekt und sie bieten genau das Programm an, das im normalen Fernsehen keinen Platz hätte. Kein Fernsehzuschauer der Welt würde sich stundenlang ein Let's-Play anschauen. Oder zusehen, wie Leute würfeln und Charakterbögen vollkritzeln. Okay, ich schon. Aber ich habe auch eine Affinität für Sendungen, in denen Feuerbälle geworfen werden - Eldritch Blast for the Win, wie, das ist Outside Extra auf Youtube? Egal. Dabei wissen die Betreiber auch ganz genau, von was sie reden. KinoPlus etwa, das Kinomagazin der Rocketbeans, ist im Grunde das Literarische Quartett. Der Aufbau ist derselbe: Gastgeber, Gäste - die Anzahl variiert allerdings - sitzen auf einem Sofa und unterhalten sich über die Neustarts der Kinowoche. Kritiker tuen also das, was sie immer tun. Als Zuschauer fühle ich mich aber immer wie jemand, der gerade bei seinem besten Freund zu Besuch ist, der total der Film-Experte ist und dem ich immer gerne zuhöre. Das ist eine andere Atmosphäre als beim Literarischen Quartett, bei dem ich schon ab und an hochgeistige Literatur selbst gelesen haben musste. Oder wenigstens wissen musste, was jetzt ein auktorialer Erzähler ist. Klar, auch ein Kinomagazin hat Fachbegriffe, aber bei KinoPlus ist das halt alles - lockerer. Netter. Man sollte sich aber nicht täuschen lassen: Die Kritiker dort sind genauso kompetent wie im Literarischen Quartett. Und mancher Verriss ist genauso unterhaltsam wie dort.
Mit Nischenzielgruppen erwirtschaftet man nun keine Summen, die einen Fernsehsender dauerhaft am Leben halten können - also einen Sender im Sinne des ZDFs oder der ARD, die deutlich breiter aufgestellt sind. Es reicht aber wohl, wenn eine ausreichend große Nischengruppe sich bereit erklärt, die Werbeeinblendungen bei Youtube zu ertragen, den Merch zu kaufen, bei Patreon was in den Klingelbeutel zu werfen. Sonst gäbe es die Rocketbeans nicht. Und die anderen Kanäle. Die Unterschiede verschwimmen jedenfalls: Ob ich meine Unterhaltung beim ZDF suche oder bei PietSmiet ist für mich nicht so wichtig. Dass ZDF oder ARD natürlich eine Vollversorgung leisten müssen und andere Aufgaben haben, steht auf einem anderen Blatt. Die Grenzen jedoch zwischen analog und digital sind beim Ansehen von Bewegtbildcontent - wie das so schön im Fachbereich heißt - komplett aufgehoben worden. Es lebe daher die Medienkonvergenz. Auch, wenn wir bisher gar nicht wußten, dass es den Begriff gibt.