Hope is what keeps us going: Zwanzig Jahre Farscape
Hope is what keeps us going
Zwanzig Jahre Farscape
Ich kann mir ungefähr denken, was der extra für uns abgestellte Polizist denkt: Die sind doch alle total bekloppt.
Wir waren nicht bekloppt. Wir waren eingefleischte Hardcore-Fans. Wir taten genau das, was Jahrzehnte vorher Fans einer anderen Serie ebenfalls taten - wir versuchten, unsere Serie zu retten. Im Endeffekt waren wir also genauso bekloppt wie die Star-Trek-Fans, die eine dritte Staffel erstritten. Uns war zwar nicht das Glück vergönnt eine weitere Folge unserer Serie zu bekommen, aber immerhin einen abschließenden Zweiteiler. Der irgendwann dann auch in Deutschland als Event-Ereignis bei KabelEins verheizt wurde, aber immerhin: In der Geschichte der Fanprotestbewegungen gebührt der Kampagne rund um <Farscape> mindestens Platz Zwei. Schön, wäre <Jericho> erfolgreich gewesen, dann hätte die mindestens Platz Drei verdient - die Idee mit den Erdnüssen ist mindestens so originell wie die Idee der Farscape-Fans, den Machern Büstenhalter zu schicken. Und Eiscreme. Und Bibliotheken DVDs zu schenken, damit dann neue Fans gewonnen werden können ... Ah, die Zeiten waren wild und aufregend damals, als Netflix noch DVDs verschickte. Und als deutsche Fans beschlossen, sich regelmäßig im Jahr zum Farscape-Gucken zu verabreden. Das tun die übrigens wohl heute noch.
Warum aber diese Liebe? Warum diese Passion für eine Serie, die im deutschen Fernsehen von Sendeplatz zu Sendeplatz verschoben wurde? Warum diese Hingabe an eine Serie, die abschätzig als <Muppets im Weltall> abgetan wurde, weil die Jim-Henson-Company mitwirkte? Eine Serie, die offenbar mit dem Hang zum seriellen Erzählen im Genre zu früh kam? Und eine Serie, die Sex, Vergewaltigung und Trauma behandelt - unter anderem?
Zuerst einmal hebt sich Farscape wohltuend vom <Amerikanischer Held rettet die Welt, das Universum, den Planeten>-Setting ab. John Crichton, der zu Beginn mit seinem Modul Farscape One in die unendliche Weiten des Weltalls geschleudert wird, ist zwar durchaus mit einem gewissen amerikanischem Optimismus gesegnet - jedenfalls in der ersten Staffel noch strahlend. Aber der Astronaut, der sich an Bord eines Schiffes mit entflohenen Gefangenen wiederfindet, ist alles andere als der Kapitän des Schiffes, alles andere als Derjenige, der immer und stets die Fäden des Geschehens in der Hand hat. Crichton wird in diese ferne Welt hinein geschleudert und muss sich Respekt und Vertrauen erstmal erarbeiten. Und er muss sich genauso erarbeiten wie die Türen des lebendigen Raumschiffes geschlossen oder geöffnet werden, wie man sich die Zähne putzt - man frage besser nicht - oder wie überhaupt das System Pilot-Schiff funktioniert. Crichton ist kein Supermann. Was ihn natürlich optimal für uns als Identifikationsfigur macht: Mit ihm lernen wir die Welt kennen, erfahren, welche Geschichte die Charaktere haben, sorgen und bangen wir uns um das Schicksal des lebendigen Schiffes namens Moya.
Zum Zweiten: Farscape erzählt über vier Staffeln hinweg eine komplexe Geschichte über die Liebe. Von dem Moment, in dem John Crichton von Aeryn Sun in der Zelle aufs Kreuz gelegt wird ist klar: Mit den üblichen Griseldis-Frauenfiguren dürfen wir hier vermutlich weniger rechnen. Zwar steht Aeryn Sun als Charakter durchaus einer Mrs. Connor in Nichts nach - zunächst jedenfalls. Durch die <Kontamination> mit John und den Anderen aber entwickelt sie sich nach und nach zu einer Frau, die ihre Gefühle zulässt und die am Ende der dritten Staffel auch fast an ihnen zerbricht. Und mag auch sein, dass Chiana zunächst eher die Femme Fatale der Serie ist, so ist sie zugleich aber auch klug und durchaus fürsorgend wenn es um Ka D'Argo, den Krieger, geht. Liebe, so stellt sich in Farscape heraus, ist nicht das, was Hollywood uns gerne vormacht, Liebe hat ab und an kein Happy-End, Liebe muss erkämpft und verteidigt werden.
Zum Dritten: Die Charaktere haben Ecken und Kanten und es gibt nicht die Seligkeit, die andere Serien versprühen. Da Farscape eher auf horizontales Erzählen angelegt ist, gibt es keinen Reset-Knopf am Ende der Folgen, die Konsequenzen der Handlungen können die Charaktere sogar noch in späteren Folgen einholen. Was dann dazu führt, dass dem Zuschauer gewaltig in die Magengrube gehauen wird, wenn er es nicht erwartet. Dazu kommt, dass die Charaktere nicht idealisiert sind. Rygel, der Hynerianer, ist aufgeblasen, gierig und erpicht darauf, sein Königreich wiederzubekommen. Die Szene, in der Ka D'Argo und Rygel einander Cracker in den Schlund stopfen, wird man bestimmt nie in Star Trek finden. Ebensowenig wie die Eifersüchteleien zwischen Chiana und Ka D'Argo bzw. dessen Sohn. Ja, diese Charaktere haben ihre Schwächen und ja, selbst die friedfertige Priesterin Zhaan kann furchterregend sein und Leute umbringen. Die Gefahr besteht, dass die Charaktere dadurch zu arrogant und zu unsympathisch werden. Was aber seltsamerweise nicht der Fall ist. Vielleicht, weil wir als Zuschauer uns in den Figuren wiederfinden. Eifersucht, Hass, Liebe, Feindschaft, Ungewissheit, das kennen wir.
Zum Vierten: Was Farscape allerdings auch immer wieder hervorhebt ist - Hoffnung. <Hope is what keeps us going>, sagt Crichton einmal und Chiana wiederholt das an einer wichtigen Stelle der Serie nochmal. Selbst als Crichton gegen Ende der ersten Staffel auf den Aurora-Stuhl kommt und der Wissenschaftler Scorpius mitbekommt, dass Crichton in seinem Kopf die Formel für die Beherrschung von Wurmlochreisen beinhaltet - lange Geschichte und es zieht ja eine noch längere nach sich - selbst dann findet Crichton in seinem Zellengenossen Stark jemanden, der dem Aurora-Stuhl widersteht und der Crichtons Schmerz lindert. Als Aeryn Sun sich dem Schmerz ergeben will, weil John II - lange Geschichte, ja, was mit Klonen - gestorben ist, dann gibt es auch hier das Licht am Ende des Tunnels. Hoffnung ist das, was John am Leben hält, Hoffnung darauf, irgendwann mal wieder auf die Erde zurückzukommen.
Zum Fünften - und nicht unbedingt zum Letzten: Aliens sind nicht immer Menschen mit aufgeklebten Nasenhöckern. Was Farscape leicht den Vorwurf eingebracht hat, es sei ja Muppets im Weltall - Kenner wissen, dass das Segment in der Moppet-Show eigentlich Pigs in Space, Schweine im Weltall heißt - wird, wenn man sich daran gewöhnt hat zu einem großen Vorteil. Zwar sind wir heutzutage mit der Computertechnik auch schon so weit, Aliens zu erschaffen, die anders aussehen und fremdartiger sind als jemals zuvor - Sex, Love and Robots zeigt einige Beispiele dafür. Farscape nutzte CG-Effekte eher für die Planeten und die Außenaufnahmen und mischte sie mit Aliens aus Jim-Hensons-Creature-Workshop. Das ermöglichte Aliens, die fremdartig aussahen und teilweise auch fremdartig handelten. Nachvollziehbare Gründe kann es bei Farscape zwar in Bezug auf Alienrassen geben, aber das ist nicht immer der Fall.
Und dann wäre noch ein Sechstens, das ich anhängen möchte: Farscape scheut nicht davor zurück auch Themen zu behandeln, die anderen Serien eher unangenehm sind. Da wäre etwa Johns Abgleiten in den Wahnsinn in Staffel Zwei - und selbst nachdem die Ursache dafür entfernt ist, muss er sich immer wieder mit dem mentalen Abbild von Scorpius in seinem Kopf, Harvey genannt, herumschlagen. Eine komplette Staffel erleben wir zwei John Crichtons - lange Geschichte, Klone, ich erwähnte das schon - und ein Ende, das so bitter und dramatisch ist, dass die Charaktere danach eine Weile brauchen, um das zu verdauen. Konflikte werden in Farscape schon mal in Form von Roadrunner-und-Coyote-Zeichentrickfilmen ausgetragen. Ka D'Argo, der Luxaner, muss sich mit dem Verlust von Frau und Sohn beschäftigen. Überhaupt: Tod und Verlust sind in Farscape genauso gegenwärtig wie das Leben und die Geburt. Andere Serie zu der Zeit neigen gerne dazu, die emotionalen Folgen auszublenden oder den Reset-Knopf für die nächste Folge zu drücken. Das tut Farscape nicht.
Vielleicht ist Farscape deswegen nicht im Mainstream angekommen. Während Buffy etwa eine Melange aus Horror, Teenägerängsten und Humor ist - wobei Buffy durchaus auch sehr, sehr dunkle Folgen hat - in die man sich hineinfallen lassen kann, geht das bei Farscape weniger. Dafür aber liefert Farscape unter der grellen Oberfläche an obskuren Charakteren Stoff zum Nachdenken. Deswegen stand ich damals auf der Straße und mochte man mich auch als bekloppt ansehen: Meinetwegen. Das nehme ich bis heute gerne in Kauf.
Übrigens: Zur Zeit sind alle Folgen von Farscape zumindest in den USA bei Amazon Prime gelandet. Obgleich die Serie nun zwanzig Jahre alt wird, scheinen keine weiteren besonderen Events geplant zu sein. Jim Hensons Workshop ist laut Webseite momentan an der Prequel-Serie für den Dunklen Kristall dran, aber das ist ja auch schon keine richtige Neuigkeit mehr. Immerhin: Es gibt einen Youtube-Channel.