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Instagram, Körper und Bibliotheken

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneInstagram, Körper und Bibliotheken

Spätestens seit Instagram wissen wir: Paul Watzlawick hatte Recht. Es gibt nicht DIE eine Realität, sondern es gibt Realitäten. Während der Eine auf Instagram nur noch Bilder mit Stofftüten sieht und nachhaltiger Kleidung, wird der Andere mit Bildern von Diätmahlzeiten und den neuesten Ernährungsreligionen überhäuft. Letzteres kann für Jugendliche gefährlich sein, die noch auf der Suche nach ihrer Idenität sind. Wie sich dazu Bibliotheken verhalten sollen. Das ist dann die Frage, die beim Lernortbarcamp in dieser Woche aufgetaucht ist.

Sicherlich ist Instagram eines der Netzwerke, deren Nutzer relativ jung sind. Eines der Netzwerke vor allem, die mehr als alle anderen die Strahlkraft des Bildes feiern. Zwar sind Hashtags und Kommentare ein Bestandteil, wer aber nur seinen Stream überfliegt, der wird diese in der Regel eher nicht unbedingt sehen sondern konzentriert sich auf die Bilder. Oder anders gesagt: Auf das, was emotional die Bilder bei ihm auslösen. Und natürlich auf die Reaktionen, die uns wiederum auch emotional triggern. Wer freut sich nicht, wenn ein Bild viele Likes bekommen hat? Unser Gehirn unterscheidet da nicht besonders zwischen analog und digital: Das Belohnungszentrum wird aktiviert, Hormone werden ausgeschüttet, wir freuen uns halt.

Nun ist der Kult um den Körper so alt wie die Menschheit. Die Ideale haben sich mit der Zeit gewandelt. Was früher für schön erachtet wurde, das ist heute eher nicht mehr erwünscht. Da wir uns in einem Zeitalter befinden, in dem wir alle immer schöner, besser und glänzender werden wollen, haben Makel keinen Platz. Dass Werbemodell am Computer verbessert werden, wissen wir. Empören uns höchstens darüber, wenn die Tricks zu offensichtlich sind. Die Maxime, dass wir alle uns verbessern können, wenn wir nur hart genug arbeiten, uns anstrengen und überhaupt ist ja alles möglich - das ist leider ein Erbe des protestantischen Arbeitsverständnisses. Das sich dann auch in die katholischen Enklaven des Landes eingeschlichen hat. Und aus diesem wiederum erwuchs dann die Diätkultur mit ihren repressiven Normen und unmöglichen Anforderungen.

Dass diese Diätkultur sich auf Instagram perfekt ausbreiten kann, ist dem Medium geschuldet. Wo Bilder überwiegen, wird der Verstand selten angeschaltet. Wenn es Vorbilder gibt, die es eindeutig geschafft haben - schließlich lügen Bilder ja nicht - dann muss ich mich halt ebenfalls nur anstrengen und kann leicht genauso dünn, genauso gut aussehend, genauso schön sein. Ich muss mich nur strebend immerzu bemühen, dann kann ich erlöst werden. Das Paradies ist zum Greifen nah suggeriert mir Instagram. Models an allen Orten. Und das gilt nicht allein für das weibliche Geschlecht, der stramme Sixpack ist beim modernen Mann ja nun wirklich Pflicht ...

Bibliotheken nun bewegen sich ebenfalls auf Instagram. Schließlich ist ja dort die sogenannte Junge Zielgruppe - was immer man auch darunter verstehen mag - und die ist wichtig für Bibliotheken. Nun sind Bibliotheken auch nicht frei davon, sich auf Instagram zu inszenieren. Es ist ja nicht so, dass die Bibliotheksgebäude in der Regel wunderschön, plüschig, gemütlich gebaut sind. Und wenn ich auch dem Brutalismus gewisse Aspekte nicht absprechen möchte, schön ist ja doch anders. Wobei ich mich auch immer frage, wie man sich in der Bibliothek zu Hause fühlen soll, wenn das gewisse Maß an Gemütlichkeit nicht vorhanden ist. Jedenfalls: Auch Bibliotheken inszenieren Bildwelten auf Instagram. Es kommt dann natürlich darauf an, ob die Bibliothek auch im wirklichen Leben eher hipp, liebenswürdig und nett ist anstatt nur auf Instagram sich so zu inszenieren. Das allerdings werden die Besucher und Kunden ja rasch rausfinden.

Bei Körperidealen allerdings ist das schwieriger. Da ich selten eine direkte Beziehung zu dem Model auf Instagram aufbaue - para-sozial ist das Stichwort - kann ich nicht beurteilen, ob das Model im wirklichen Leben wirklich so aussieht, so handelt, so ist wie es auf Instagram ist. Fernsehbilder sind nun auch nicht mehr verlässlich in einer Zeit der Deep-Fakes. In dieser Hinsicht kann ich mich erstmal nur auf den schönen Schein verlassen. Oder ich kann - und das ist das, was Bibliotheken auch tun sollten - Anstöße zum Hinterfragen der Scheinwelt liefern.

Die Frage ist: Was für eine Haltung haben Bibliotheken in dieser Frage? Zuerst: Bibliotheken sind meistens neutraler Grund. <Natürlich gibt es Bibliotheken, die eine Agenda verfolgen. Stadtbibliotheken allerdings gehören meistens nicht dazu, allerdings sind Arbeiterbibliotheken nun auch schon etwas länger ausgestorben.> Sie bieten einen Raum für die Gesellschaft an, in der sie sich austauschen kann. Eine Agora. In der verschiedene Meinungen aufeinanderprallen können und sollen. Das Herzstück einer Demokratie ist der Austausch. Wenn Bibliotheken auf Instagram auftreten, treten sie jedoch in den Wettbewerb mit anderen Influencern ein. Ob ihnen das bewußt ist oder nicht. Schließlich empfehlen Bibliotheken Medien und geben Tipps, wie man Recherchetools für eigene Zwecke nutzen kann. In dem Sinne sind sie natürlich Influencer.

Allerdings sind Bibliotheken auch immer Vermittler von Medienkompetenzen - etwas, was als Begriff momentan in der Diskussion um AI und AR und VR nun definitiv keine Rolle spielt, es allerdings sollte. Und als solche haben sie durchaus die Aufgabe, Jugendlichen zu vermitteln, wie Instagram funktioniert und mit welchen Tricks die Bilder erstellt werden. Dazu bedarf es nicht unbedingt eines ganzen Photoshop-Workshops. Es reicht einfach eine Schärfung der Wahrnehmung aus. Zu fragen, ob das, was ich wahrnehme wirklich das ist, was da ist oder ob es mir vorgespielt wird ist gehört zur Benutzung des eigenen Verstandes dazu. Das hat mitunter schon philosophische Auswirkungen, aber in Zeiten, in denen MINT derartig überbetont wird, tut es vielleicht gut, sich auch mal auf dieses Fach zu besinnen. Sich aktiv mit den Körperbildern von Jugendlichen auseinanderzusetzen, sie ernst zu nehmen, sie andererseits aber auch darauf hinzuweisen, dass Menschen unterschiedlich sind, dass sie nicht unbedingt Idealen entsprechen müssen - das können Bibliotheken durchaus leisten. Und sollten sie auch.

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