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Dragqueens, Moral und die Achtziger: AJ and the Queen

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneDragqueens, Moral und die Achtziger
AJ and the Queen

Endlich:
Nach all dem Tingeln durch die Provinz, nach all den Auftritten in diversen Clubs - endlich ist für Robert der Tag gekommen, an dem er all das hinter sich lassen kann. Der Traum vom eigenen Drag-Club ist greifbar nahe, dazu noch der perfekte Partner - und schon in den ersten Minuten von »AJ und die Queen« ahnt man, dass dieses Glück nicht von Dauer sein kann.

Dabei, so informiert uns das Voiceover von AJ, dem Mädchen, dass von seinen Pflegeeltern abgehauen ist und allein in einer verlassenen Wohnung lebt, dabei ist das gar nicht die Geschichte von Robert oder Ruby Red. Sondern die Geschichte von ihr, AJ, die sich bald in Roberts abgehalftertem RV versteckt, um zum Großvater nach Texas zu gelangen. Kurz vorher - man ahnt es als Zuschauer ja bereits - zerplatzt das große Glück von Robert: Partner weg, Geld weg. Die geplante Abschiedstournee durchs Land entpuppt sich als einzige Chance an Geld zu kommen. Dass Amber-Jasmine, wie AJ eigentlich heißt, dabei eigentlich nur stört … logisch. Dass das Duo dann bald von Roberts Ex-Partner und seiner Komplizin verfolgt wird - das kann man schon von Minute Eins der Serie »AJ und die Queen« als Zuschauer voraussehen.

Schließlich sind das alle Zutaten einer grundsoliden Road-Trip-Buddy-Komödie. Ein Genre, das in den Achtzigern zur Blüte kam und dessen Formel sich nun nicht geändert hat: Irgendjemand ist der unwillige Protagonist, irgendjemand ist der liebenswerte Sidekick. Beide sind durch Umstände aneinander gebunden, meistens werden sie dann von der Polizei oder Gangstern verfolgt. Das funktioniert als Formel bei den Erwachsenen - neulich war die Formel noch mit einem Uber-Driver im Kino und der dritte Teil von Bad Boys kommt demnächst - als auch bei den Kindern.  Siehe <Grüne Eier mit Speck>.

Und tatsächlich ist die Serie mit RuPaul, der bekanntesten Drag-Queen Amerikas, eine Reminiszenz an die Achtziger. An Serien wie »Ein Engel auf Erden«, »Der unglaubliche Hulk«, »Das A-Team«. Die Protagonisten dieser Serien ziehen durch das Land, lernen in jeder Folge neue Menschen und Konflikte kennen, lösen diese Konflikte und müssen dann, weil ihnen das Militär auf den Fersen oder weil es der Göttliche Auftrag ist, wieder zur nächsten Station. Natürlich haben am Ende der Folge alle irgendwie etwas gelernt.

Dieses Muster liegt natürlich auch »AJ und die Queen« zugrunde, wenngleich einige Dinge anders sind. Es wäre ja auch sonst langweilig, richtig? Nun: Zuerst einmal überwiegen die Sitcom-Elemente. Zwar gibt es auch genug Drama und genügend Plots, die die eigentliche Geschichte begleiten, im Grunde aber haben wir eine Situation-Comedy vor uns. Und die lebt natürlich davon, dass die Protagonisten in ziemlich skurrile Situationen geraten. Davon gibt es eine Menge und auch, wenn man skeptisch gegenüber RuPaul sein kann - diese komischen Situationen meistert er tatsächlich ziemlich gut.

Allerdings überhebt sich die Serie zuweilen. Es gibt einfach zuviel an Nebenhandlung. Da ist natürlich die drogensüchtige Mutter von AJ, Katerina Tannenbaum, die auf der Suche nach ihr ist - einen plakativeren »Sag Nein zu Drogen«-Handlungsstrang gabs wohl seit der Reagan-Ära nicht mehr. Dann haben wir Josh Segarra und Tia Carrere als Gaunerpärchen, dass während der Serie irgendwie den Autoren abhanden kommt. Während die Serie bei AJs Mutter gewaltig auf die Tränendrüsen drückt und hier den richtigen Ton nicht trifft, geht dieser bei den Gaunern ganz verloren. 

Zwar sind sie in der Hälfte der Serie notwendig, um die Handlung voranzutreiben, aber danach sind sie kaum noch von Interesse. Zwar haben auch sie ihre Entwicklungen, immerhin, das hätte durchaus interessant werden können, aber - da waren die Autoren der Serie dann irgendwie am Ende ihrer Ideen. Zwar haben sie eine Art von Erleuchtung, wichtig wäre die aber nicht. Als wäre das alles nicht genug kommt auch noch die Liebesgeschichte des blinden Louis, Michael -Leon Wooley, dazu. Die der Figur nun nicht wirklich irgendwas hinzufügt. Reichlich viel Handlung für eine Serie mit wenigen Folgen? Stimmt.

Den richtigen Ton trifft die Serie bei den Drama-Elementen nicht immer. Wäre die Darstellerin von AJ nicht, Izzy Gasperz, wäre da mancher Moment durchaus kaum zu ertragen. RuPaul mag durchaus ein Talent für Comedy haben, Drama kann er allerdings nicht und trägt dann immer genau einen Gesichtsausdruck auf. Abgesehen mal davon, dass einige Nebendarsteller - da hat RuPaul einige Kandidaten aus seinem DragRace an Bord geholt - nun auch nicht das Gelbe vom Ei sind. Aber wenigstens sind diese Aufritte in der Regel kurz.

Genau wie in den Achtzigern und deren Sitcoms lernen die Beteiligten während der Episode etwas - allerdings ist das hier doch etwas realistischer. Wenn der empörte Robert einem Südstaaten-Vater wegen seines Sohnes, der sich im Kleid durchwuchs wohlfühlen, andonnert, man müsse ja wohl über diese Dinge reden und Akzeptanz anmahnt - dann gibt der Vater nur kühl zurück, dass man wohl darüber reden müsse, aber nicht jetzt und nicht hier. Vor allem sei das wohl kaum Roberts Angelegenheit. Das wäre in den Achtzigern so nicht passiert.

Dem Geist der Achtziger entspricht dann aber durchaus das Thema, dass die Serie immer wieder durchzieht: Dass der Familie. Und hier ist die Serie merkwürdigerweise trotz des Fummels, trotz des Glitzers sehr konservativ. Wenn man erwartet, dass am Ende AJ und Robert sich als Familie anerkennen, fällt AJ schließlich doch ihrer Mutter in die Arme. Dabei zeigt die Serie ja durchaus bis zum Schluss, dass Familie nicht unbedingt etwas ist, in das man hineingeboren wird sondern auch, dass man sich seine Familie aussuchen kann. Oder wie es Robert formuliert: Wenn ein Mann eine Perücke aufsetzt, sich schminkt und so auftritt, dann ist er eine Dragqueen. Und gehört damit zur Familie.

Alles in allem: »AJ und die Queen« kann ich nicht als richtig gute Serie bezeichnen. Daran schuld sind die Nebenhandlungen, die die eigentliche Story, daran schuld ist auch die Inkonsistenz des Tons. Handwerklich liefern die Regisseure einen soliden Job ab, man sollte keine innovativen Kamerafahrten erwarten, ab und an hat die Lichtregie den einen oder anderen netten Einfall. Wer RuPaul mag, wird über seine Schwächen als Schauspieler hinwegsehen. Wer Sitcoms mag, wird die Serie sicherlich mögen und wer über die voraussehbaren Konflikte und Twists der Handlungen hinwegsehen kann, der hat sicherlich seinen Spaß. Mehr aber als die Botschaft, die schon <Ein Käfig voller Narren> vermittelte, mehr ist in dieser Serie aber nicht drin.

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