Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

The Haunting of Bly Manor: Über Liebe und Verlust

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-Kolumne»The Haunting of Bly Manor«
Über Liebe und Verlust

Ein durchaus malerische gelegenes Landgut in England. Eine junge Dame, die als Au-Aupair angestellt wird. Ein Bruder und eine Schwester, die den Tod ihrer Eltern und der letzten Au-Pair-Dame verarbeiten müssen. Könnte jetzt der Anfang von Vielem sein, aber wer mit dem Grusel-Genre vertraut ist, für den ist das der typische Anfang einer unheimlichen Geschichte. Was beim Nachfolger der Serie Haunting of Hill House auch durchaus stimmt.

Aber dass es eine Geistergeschichte werden wird, dass wird uns Zuschauenden schon versprochen, bevor die Handlung eigentlich beginnt.

Wobei <<The Hauning of Bly Manor>> auch wie der Vorgänger auf einem Klassiker der Gothik beruht. <<The Turning of the Screw>> von Henry James wurde nicht nur zu etlichen Spielfilmen verarbeitet, es gibt sogar eine Oper über den Stoff. Zudem bedient sich die Serie auch aus den Motiven von anderen Gruselgeschichten von ihm - jede Episode ist nach einer Kurzgeschichte von James benannt. Was in der deutschen Version leider nicht so zum Tragen kommt. Etwas ungewöhnlich ist, dass die Serie eine Rahmenhandlung umschließt und damit vernimmt man ab und an in den Folgen auch eine weibliche Erzählerstimme. Dass <<Bly Manor>> Teil einer Serien-Anthologie ist, sollte klar sein - etliche Schauspieler aus dem Vorgänger treten in neuen Rollen auf. So weit, so gut. Denn die eigentliche Frage ist ja: Ist Bly Manor so gut wie der Vorgänger?

Ein Kritikpunkt muss vorangestellt werden: Bly Manor lässt sich unendlich viel Zeit um in die Gänge zu kommen. Bis die ersten wirklich unheimlichen Dinge geschehen dauert es schon mal ein, zwei Folgen. Bly Manor lässt sich Zeit, führt erstmal die Figuren ein, zeigt das Gelände, den See, das Haus, schafft Atmosphäre. Ich habe nichts gegen langsames Erzählen, aber manchmal könnte Bly Manor etwas schneller zu Potte kommen. Sicher, wunderbare englische Landschaften, die superben Schauspieler und die Atmosphäre des Hauses entwickeln natürlich schon ihren Charme in den ersten Folgen - zudem scheint das amerikanische Au-Pair Dani Clayton auch ihre eigenen Gespenster mitzubringen. Aber bis dann wirklich etwas passiert, dauert es noch eine Weile.

Allerdings: Wer die Geschichten aus der englischen Gothik-Ära kennt wird wissen, dass der Grusel nicht mit Jump-Scares daherkommt. Für jemanden, der Blumhouse und Co. gewohnt ist, ist das hier also nichts. Stattdessen ist <<Bly Manor>> eher eine Geschichte über den Umgang mit dem Verlust. Denn jede der Figuren hat einen Verlust erlitten. Dabei geht es tatsächlich auch um den Verlust von Personen, manchmal aber auch der Verlust von Träumen und Hoffnungen. Und auch um verpasste Gelgenheiten, wie etwa bei der Haushälterin Hannah Grose. Wie sich der Verlust auf die Personen des Haushalts auswirkt ist unterschiedlich. Der Onkel Henry Wingrave schliesst sich in seinem Büro ein und duchsäuft die Nächte mit seinem personalisiertem schlechtem Gewissen. Während die Gärtnerin bewußt burschikos auftritt, um nähere Bekanntschaften zu vermeiden. Und der Koch Owen Sharma erleidet den Verlust erst im Laufe der Serie, als seine demente Mutter stirbt. Jeder hat, so kann man also pathetisch sagen, sein eigenes Päckchen zu tragen.

War das Haus in Hill House die treibende Kraft, die hinter den Ereignissen steht, ist das hier anders. Denn wenngleich auch wir hier teilweise eine Familiengeschichte vor uns haben, ist der Grund warum es im Haus spukt ein anderer. Der tatsächlich auch mit dem anderen Aspekt zu tun hat, der hier eine Rolle spielt: Die Liebe. Wenngleich diese allerdings das Verderbnis nicht aufhalten kann - zwar scheint es zum Schluss der letzten Folge so. Jedoch: Wer zu lange mit dem Verlust gelebt hat, der kann von der Liebe nicht mehr unbedingt gerettet werden. Allenfalls einen Aufschub gibt es für Den- oder Diejenige, die in den Abgrund geblickt hat und die willentlich sich bereiterklärt den Verlust von Anderen auf sich zu nehmen.

Ist Bly Manor so gut wie der Vorgänger? Das ist eine schwierige Frage, weil der Focus der Geschichte anders ist. Wem die Dichte und die Atmosphäre des Vorgängers mochte, wird nicht enttäuscht werden. Allerdings ist Bly Manor dialoglastiger, es gibt weniger Gespenster-Erscheinungen und die Serie braucht wie erwähnt eine Zeit, um in die Pötte zu kommen. Wer über diese Mängel hinwegsehen kann, der bekommt aber eine atmosphärisch-dichte Gruselserie, die eine Meditation über Liebe und Verlust bietet. Schön, dass es auch noch diese Art von altmodischerem Grusel gibt. 

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles