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Mörderische Idylle: »Inspector Barnaby«

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneMörderische Idylle
»Inspector Barnaby«

In den Zeiten des Lockdowns, in denen wir eigentlich alle eher zu Hause bleiben sollten gewinnt das Fernsehen an sich eine Qualität zurück, die eigentlich längst als verloren gegangen erachtet wurde. Zwar gibt es nicht mehr DAS Leuchtfeuer am Samstag-Abend oder es gibt nicht mehr DIE Shows, die alle gesehen haben müssen - The Masked Singer kommt da nah dran - allerdings gibt es zahlreiche kleine Lagerfeuer, die den Tag strukturieren helfen.

Für die Einen sind das die Quizsendungen im Vorabend-Programm, für die anderen die Wiederholungen von Bares für Rares auf NEO und andere wiederum erfreuen sich an eine Doppelfolge von Inspektor Barnaby. Ein Dauerbrenner: Die neuesten Folgen immer Freitags im Krimi-Slot, die Wiederholungen im Nischenprogramm NEO. Dass die Serie ein Dauerbrenner ist, kann man nicht bestreiten. Was aber macht besonders in einer Pandemie den Reiz der Serie aus? Warum schaut man einen eigentlich behäbigen, klischeehaften englischen Krimi, bei dem es so gut wie keine Action gibt?

Zunächst ist die Grafschaft Midsomer die wunschgewordene Vorstellung eines ländlichen Englands. Großstädte wird man hier nicht finden, eher kleinere Örtchen mit Bauernhöfen, Feldern und Wäldern. Die Kamera fährt gerne über hügelige Landschaften, über Feldwege und wenn man mal tatsächlich in einer mittleren Kleinstadt anwesend ist, dann in der Regel nur weil Verdächtige hier wohnen oder weil Einkäufe getätigt werden müssen, die es im Ort selbst nicht gibt. Es ist wirklich auffallend, wie Gärten und Cottages in Szene gesetzt werden: Das moderne Leben findet zwar statt, aber die Herrenhäuser mit ihrer antiken Würde sehen so aus, als ob jederzeit King James persönlich vorbeischauen könnte. Bei der Darstellung der Landschaft und Dörfer spielen natürlich die unzähligen Verfilmungen von Agatha Christie eine Rolle. Barnabys Welt ist nicht so weit davon entfernt: Hier wir dort werden eine Reihe von Morden verübt, hier wie dort benutzt der oder die Ermittelnde eher ihren Kopf als die Pistole. Die Serie ist darauf getrimmt, den Klischees des englischen Landlebens zu entsprechen. Auch Barnabys Kollegin im Geiste, Agatha Raisin, ist da von der Atmosphäre nicht viel anders. Dieses fiktive England ist uns also bekannt, wir wissen, was wir zu erwarten haben.

Eine Folge von Inspector Barnaby ist im Grunde so schematisch wie fast jeder Krimi, der fragt: Wer war der Täter? Zu Beginn der Mord, die Ermittlungen kommen in Gang, Verdächtige werden vorgeführt, falsche Spuren gelegt, kurz vor Schluss dann die Erleuchtung und das Finale. So wie, so gewöhnlich. Es gibt zwar Ansätze für das horizontale Erzählen, aber die sind im Grunde vernachlässigbar. Und dass die Serie den Wechsel der Hauptfigur überlebt hat, in den modernen Folgen ermittelt der Vetter des ursprünglichen Barnabys, zeigt ja auch, dass den Folgen eine gewisse Formelhaftigkeit zugrunde liegt. Nun kann man einwenden: Ist ein Krimi in der Regel nicht immer formelhaft? Was den Ausgangspunkt und das Ende betrifft: Sicher. Doch Agatha Christie hat dieses Schema auch schon mal gerne auf den Kopf bestellt. Sei es, dass der Erzähler sich auf den letzten Seiten als unglaubwürdig erweist, sei es, dass alle Passagiere des Orientexpress zu Mördern wurden … Der Aufbau an sich ist gleich, aber die Wege zur Lösung sind originell. Nicht, dass es Barnaby nicht auf Folgen gäbe, in denen sich letztlich herausstellt, dass die vermeintlichen Morde doch keine waren - Drei alte Damen - aber in der Regel gibt es einen Mörder, der nicht nur einen sondern mehrere Morde begeht und den es zu fassen gilt. Auch das also kennen wir und wir wissen also auf was wir uns einlassen. Wir müssen nicht besonders aufmerksam sein: Einmal in Gang gesetzt läuft die Formel ihren Gang.

Barnaby - sowohl den ersten als auch den aktuellen Ermittler - bedienen sich ihrer kleinen grauen Zellen. Zwar sind sie durchaus im aktiven Dienst und keine Armchair-Detectives - Nero Wolfe kommt einem da sofort in den Kopf. Jedoch sind sie selten wirklich in Aktion zu sehen. Explosionen oder Verfolgungsjagden sieht man bei Barnaby recht selten. Auch die Art, wie die Leichen gefunden werden, ist eher unspektakulär: Meistens stapft irgendjemand über ein Feld oder wird heftig an eine Tür geklopft, der oder die Eintretende bemerkt etwas Seltsames und wenn es eine Frau ist, wird geschrien. Recht klassisch alles. Sicher gibt es Szenen auf dem Revier, der übliche Besuch beim Gerichtsmediziner - doch wirkt auch das seltsamerweise nicht modern. Höchstens taucht die übliche Pinnwand mit den Photos der Verdächtigen auf. Computer werden eingesetzt, aber High-Tech-Ausrüstung a la CSI? Nicht im betulichen England. Hier ist es der Witz, der die Fälle löst. Die kleinen grauen Zellen, die Hinweise. Lange Verfolgungsjagden mit Verdächtigen? Nicht hier. Sondern eher Nachdenklichkeit und eine gewisse Abgeklärtheit.

Wobei: Ja, Barnaby hat Humor. Allerdings einen eher trockenen. Was wir vielleicht mit Englisch verbinden würden. Es gibt bei den Dörflern, unter denen Barnaby ermittelt, immer irgendwie den einen skurrilen Zeitgenossen oder den einen seltsamen Menschen - es gab Nudisten, UFO-Gläubige, Hexen, Esoterik-Freunde, Freund*innen der Darstellung von historischen Schlachten … Es gibt also durchaus auch Bemühungen, Themen des Zeitgeistes einzuarbeiten. Vermutlich wird in irgendeiner Folge es um einen Impfskandal gehen … Wobei die Reihe immerhin diese Menschen nicht der Lächerlichkeit preisgibt, sondern sie einfach Menschen sein lässt. Zugegeben: Manchmal vielleicht ein wenig überspitzt dargestellt, aber immerhin. Die Handlung wird nicht der Komik wegen geopfert. Was bei z.B. Agatha Raisin schon sehr oft der Fall ist. Wir sind daran gewöhnt, dass der Engländer ein wenig - nun - schrullig ist, also auch hier: Erwartungen erfüllt.

Die Frage, was die Faszination an Barnaby ausmacht, kann man also mit einem Wort zusammen fassen: Da kaum Spannung aufkommt und die Handlung betulich dahinschleicht, ist eine Folge Barnaby sehr, sehr entspannend. Tatsächlich irgendwie wie Urlaub: Man sieht weite englische Landschaften, besucht Pubs, kann sich über die Einheimischen amüsieren und nebenbei wird auch noch ein Mord aufgeklärt. Die Ermittler sind sympathisch - kleine Kinder und Hunde sind auch mit von der Partie. Und: Es passiert nichts, was man nicht auch irgendwie erwartet hätte. Und in Zeiten des Lockwdowns ist die Versicherung dessen, dass es vielleicht irgendwie und irgendwo in England wirklich so zu geht und dass es wieder bei uns einigermaßen so zugehen könnte sehr trostspendend. Darauf ein Pint.

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2021-03-12 11:06
Ich muss dir widersprechen. Inspektor Barnaby war mal ein netter Krimi, aber ich würde den Humor nicht als "trocken" beschreiben, sondern als rabenschwarz. Eine gute frühere Folge hatte mindestens vier Morde, einer sadistischer als der andere. Tod durch Eiserne Jungfrau oder auch mal eine Guillotine. Und das auf dem Land, das hier als Rückzugsort in die Jahre gekommener Yuppies und Brutstätte von Exzentrikern und Perversen porträtiert wurde. Bevor alles politisch korrekt wurde.

Wie es mal ein Londoner in einem Forum beschrieb anlässlich der Folge "Tod im Liebesnest: "Der alte Wirt giert der Kellnerin hinterher, die jung genug ist, seine Enkelin zu sein, und die altersschwachen Stammgäste, von denen jeder eine Schrotflinte besitzt wenn auch keinen Waffenschein, wären auch in 'Straw Dogs – wer Gewalt sät' nicht fehl am Platz. Wie Assistent Dan den Laden so schön beschreibt: 'Ein typischer Pub auf dem Land. Voller Spinner und Bauerntrampel.' Das ist ziemlich harsch, aber er hat da nicht unrecht."

Nachdem man den langjährigen Produzenten zwangsweise in Rente geschickt und ersetzt hat, hat die Serie schnell jeden Biss verloren. Und mittlerweile anscheinend auch die Hälfte ihres Budgets. Wo einst 50 Statisten im Hintergrund rumwuselten, sind es jetzt gefühlte 5. Der Hauptdarsteller wirkt nur noch gelangweilt, was man ihm nicht verübeln kann, da die Stories langweilig sind. Was auch kein Wunder ist, jede Serie, die 25 Jahre läuft, ist irgendwann mal kreativ am Ende.
#2 Ringo Hienstorfer 2021-03-12 17:34
Montags ist bei uns traditionell Barnaby-Tag, der allerdings bei Episoden ab 2011 ausfällt. Warum? Früher: Gute Unterhaltung mit leicht schrägen Tönen und britisch-dunkelgrauem Humor in klassischer Who-dunnit-Manier. Mitraten erübrigt sich, da man schon ein Kelosker sein müsste, um auf den Täter zu kommen. Meine Methode: es ist immer die Person, der man es am allerwenigsten zutraut. Das Setting war anfangs originell, wurde aber bald zur Schablone. Interessant waren für mich immer die Nebendarsteller wie z.B. Orlando Bloom in seiner Anfangszeit, Olivia Massey (Frenzy), Nigel Davenport (Phase IV) oder Freddie Jones (Der Wüstenplanet). Usw. Aber wie schon Andreas Decker sehr richtig schrieb, hat sich die Serie selbst überlebt. Jumping the shark sagt man wohl dazu. Und das trifft es auch. Der Cousin des Inspektors tatsächlich als als dessen glaubwürdiger Nachfolger? Und danach wurde es nicht besser. Ständig wechselnde Assistenten, ebenso ständig wechselnde und auch austauschbare Gerichtsmediziner. Eine gesichtslose Ehefrau und ein nervender Hund als Ersatz für Joyce und Cully? Das ist wie Star Trek ohne Uhura und Mr. Spock.

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