Des Deutschen Spießers Wunderhorn: Gustav Meyrinks Blick auf seine Zeit
Des Deutschen Spießers Wunderhorn
Gustav Meyrinks Blick auf seine Zeit
Dabei zeigen 53 Erzählungen, Kurzgeschichten und Novellen in Kurzform einen gewandten, pointierten Schriftsteller, der ätzende Satire genauso beherrscht wie romantisch-verklärte Nachststücke.
Vor allem das Militär wird mit spöttischem Blick betrachtet. Da werden experimentell aus Gorillas hervorragende Soldaten, auf Glas gewachsene Gehirne werden benötigt, wenn es um neue Rekruten geht. Meyrink geißelt den bedingungslosen Gehorsam, der ohne Nachdenken daherkommt ebenso wie das aufgeplusterte Verhalten des Führungspersonals, die sich für die Creme der Creme der Gesellschaft ansehen.
Allesamt Gorillas und Affen, die dauernd „Gewehr bei Fuß“ rufen ohne besonders intelligent zu sein. Nein, ein Freund des Militärs war Meyrink definitiv nicht, was seine Tierfabel vom Löwen Alois beweist, der von Schafen großgezogen wurde und sich seitdem für ein Schaf hält. Löwe und Schaf zusammen einträchtig beieinander. Das klingt wie ein Stück aus der Bibel.
Die Bibel selbst nimmt Meyrink nicht ins Visier, es kommen aber eine Pastorinnenseele vor, die einen weitern Ring um den Saturn häkelt. Eine Chronik aus dem Norden über den Ort Hilligenlei. Priester aller Arten sind vertreten und da Meyrink zum Buddhismus konvertierte wundert es nicht, wenn es Erzählungen mit einem gewissen indischem Flair gibt.
Ab und an fühlt man sich an Dunsany erinnert, wenn es um verfluchte Diamanten oder Ureinwohner mit magischen Fähigkeiten geht. Indien, der fremde Kontinent mit geheimnisvollen Magiern und Schurken. Heutzutage wissen wir: So einfach ist das alles nicht.
Was bleibt vor allem im Gedächtnis, nachdem man diesen Band durchgelesen hat? Es sind die phantastischen Geschichten. Was Meyrink perfekt fertigbringt ist mit wenigen Sätzen Atmosphäre zu schaffen. Zudem ist er originell und einige der phantastischen Grotesken stehen denen von Poe nun wirklich nicht nach. Vor allem, weil man als Lesender am Anfang der Kurzgeschichte nie genau weiß, was da am Ende passieren wird.
Schauerliche Pointen - Meyrink kann die. Und muss sich da wirklich nicht hinter Poe, Hoffmann und Konsorten verstecken. Natürlich ist des „Deutschen Spießers Wunderhorn“ eine Anspielung auf „Des Knaben Wunderhorn“. Meyrink kann durchaus auch romantisch sein, aber nicht in dem Sinne, dass er eine reine Liebesgeschichte erzählt. Wenn er das tut, verlagert er das Ganze in die Tiefsee und spitzt die Erzählung mit spöttischen Seitenhieben auf die Gesellschaft.
Meyrink zeigt sich in seinen Kurzgeschichten, Satiren und Kurz-Novellen als vielseitiger Schriftsteller. Einige Kurzgeschichten wirken allerdings heute eher befremdlich - was für eine Absicht Meyrink bei „Hilligenlei“ hatte, entzieht sich mir persönlich auch nach dem dritten Lesen. Es hilft nicht, dass dieses Stück in einer Art norddeutschem Dialekt geschrieben ist.
„Das Geheimnis des Schloss Hathaway“ ist durchaus eine Anspielung an englische Schauerromane, aber die Auflösung dann leider doch etwas zu banal. Amüsant schon. Aber banal. Auch das „Schöpsoglobin“ wird ebenso wie die Geschichte vom Kamel nicht gerade im Gedächtnis bleiben, obgleich die Erzählung mit dem Kamel beweist: Man sollte sich das mit dem Bushido gut überlegen. Für Einiges fehlt uns da einfach der Zeitbezug oder das, was Meyrink mit Spott begießt ist einfach nicht mehr vorhanden.
Generell macht die Durchsicht und das Durchlesen des Bandes Vergnügen. Auch, wenn nicht alles unbedingt zündet - uns fehlt da oftmals der Zeitbezug für gewisse Dinge. Als Einstieg in die Welt von Meyrink lohnt sich der Band allerdings. Und wenn man nicht das Glück hat ihn antiquarisch aufzutreiben - aktuell scheint es keine Auflage davon zu geben: Im Projekt Gutenberg finden sich die Vignetten, Erzählungen und Kurzgeschichten fürs Online-Lesen.
© by Christian Spliess (10/2023)
Kommentare
Meyrink hat sich m.E. gleich zweimal in die Literaturgeschichte eingetragen, zum einen durch seine eigenen Werke, von denen zumindest 'Der Golem' vermutlich nie in Vergessenheit geraten wird und zum anderen durch seine Übersetzungen von Werken von Flammarion, Kipling und Dickens.