Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Harriet Tubman?
Wie war das mit Harriet Tubman?
: Vor 105 Jahren starb in Amerika eine Frau, die unter dem Ehrennamen „Moses“ bekannt war. Ihr richtiger Name war Harriet Tubman. „Moses“ wurde sie genannt, weil sie Hunderte von schwarzen Sklaven in die Freiheit führte.
Geboren wurde sie selbst in Sklaverei, im Jahr 1820 in Maryland. Ihr Leben war so prall gefüllt mit Erlebnissen, Entbehrungen, Gefahren, Tragik und letztlich auch Erfolg, daß eine kurze biographische Skizze wie diese ihr gar nicht gerecht werden kann.
Ihre Eltern waren die Sklaven Ben und Rit Ross, die ihr den Namen „Araminta“ gaben. Frühzeitig wurde sie von ihren Eltern getrennt und verkauft. Sie wurde von ihren verschiedenen Besitzern regelmäßig mißhandelt, und als sie 13 war, wurde sie von einem schweren Metallgewicht am Kopf getroffen, das ihr Eigentümer nach einem anderen Sklaven geworfen hatte. Diese Verletzung kostete Araminta beinahe ihr Leben. Sie erwachte aus tiefer Bewußtlosigkeit und hatte seitdem mit Epilepsie und anderen physisch-traumatischen Problemen zu kämpfen. Sie war 19, als ihr Besitzer starb. Bevor sie erneut verkauft werden konnte, flüchtete sie. Sie gelangte nach Philadelphia, wo sie Hilfe bei Anti-Sklaverei-Aktivisten fand. So glücklich sie über ihre Freiheit war, so entschlossen war sie jedoch, ihre Familie nachzuholen. 1844 heiratete sie John Tubman, einen freien Schwarzen, und änderte ihren Vornamen in „Harriet“. Sie schloß sich der „Untergrundbahn“ an, einer Vereinigung von Sklavereigegnern, die Sklaven zur Flucht verhalf. Harriett lernte Lesen und Schreiben und bildete sich aus eigener Kraft weiter, so konnte sie schließlich öffentlich auftreten, hielt Reden, warb für den Kampf gegen den Sklavenhandel und für Bürgerrechte der schwarzen Bevölkerung.
In den folgenden 10 Jahren unternahm Harriet Tubman 13 Reisen zurück nach Maryland – wobei sie jederzeit ihre erneute Gefangenschaft riskierte – und holte ihre gesamte Familie und weitere Sklaven in die Freiheit. Ihr Mut, ihre Klugheit, ihr Geschick und ihre Entschlossenheit brachten den prominenten Journalisten und Verleger William Lloyd Garrison, der die Anti-Sklaverei-Zeitschrift „Liberator“ herausgab, dazu, sie als „weiblichen Moses“ zu bezeichnen. Man geht heute davon aus, daß sie wenigstens 300 Sklaven zur Flucht verhalf und sie in die Freiheit führte. In einem ihrer zahlreichen Vorträge sagte sie: „Ich war für acht Jahre ein ‚Schaffner‘ der Untergrundbahn, und ich kann hier sagen, was die wenigsten ‚Schaffner‘ sagen können: Meine ‚Züge‘ sind niemals entgleist, und ich habe niemals einen ‚Passagier‘ verloren.“
1859 konnten sie und ihr Mann von William Seward, zu dieser Zeit Senator und später Außenminister unter Präsident Lincoln, für wenig Geld ein kleines Haus im Staat New York kaufen, wo sie auch ihre Eltern unterbrachte, die sie bis zum Tode pflegte.
Bei Ausbruch des Bürgerkrieges meldete sich Harriet Tubman zur Unionsarmee. Sie wurde zunächst als Köchin und Krankenschwester eingestellt. Als die Armee für schwarze Soldaten geöffnet wurde, bewarb sie sich als Scout und Agentin – und sie wurde aufgrund ihrer Landeskenntnisse in Maryland und Virginia akzeptiert. Sie bewegte sich zwischen den Linien der feindlichen Armeen, gab sich als Sklavin aus und lieferte Informationen über südstaatliche Stellungen an die Nordarmee. Als sie eine Unionseinheit unter Colonel Montgomery am 2. Juni 1863 bei einem Angriff auf die Combahee Ferry führte, bei dem über 700 Sklaven befreit wurden, wurde ihr Name zur Legende. Gleichwohl erhielt sie niemals regulären Sold und mußte bis 1899 darum kämpfen, endlich eine Pension der Regierung für ihre Dienste im Bürgerkrieg zu erhalten.
Immer wieder halfen ihr alte Freunde aus den Zeiten der „Untergrundbahn“-Bewegung, die für sie sammelten, da sie durch die Pflege ihrer Eltern nur schlecht bezahlte Arbeit annehmen konnte. 1867 starb ihr Mann. Zwei Jahre später heiratete sie erneut.
Obwohl sie mit den prominentesten Personen ihrer Zeit bekannt war und immer wieder als Rednerin auf politischen Versammlungen eingeladen war – nach dem Bürgerkrieg gehörte sie zu den aktivsten Kämpferinen für die Gleichberechtigung der Frauen – war sie konstant in finanziellen Nöten. Ihre wirtschaftliche Situation wurde fast hoffnungslos, als sie von zwei Betrügern um ihre bescheidenen Ersparnisse gebracht wurde.
Mit den Jahren wurden auch die Folgen ihres schweren Schädel-Hirntraumas wieder stärker. Sie litt unter Schwindelgefühlen, Gleichgewichtsstörungen, permanenter Übelkeit und stärkeren epileptischen Anfällen. Aber niemals gab sie auf, öffentlich für Recht und Gerechtigkeit für Farbige und Frauen einzutreten.
Mit Hilfe von zwei Kongreßabgeordneten appellierte sie ab 1898 an das amerikanische Parlament, ihr für ihre Dienste im Bürgerkrieg Unterstützung zu bewilligen. Hilfe erhielt sie auch von der immer stärker werdenden Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten, für die Harriet Tubman zur Symbolfigur wurde.
Eine Gehirnoperation Ende der 1890er Jahre brachte wenig Linderung ihrer permanenten Leiden, vor allem ständigen Kopfschmerzen, die ihrem Körper nach und nach die Kraft raubten. Die Operation wurde ohne Narkose durchgeführt, wie in jenen Tagen nicht unüblich. Es war erstaunlich, daß sie diese Strapaze in ihrem geschwächten Zustand überlebte.
1911 veröffentlichte eine New Yorker Zeitung einen Artikel über den Zustand Harriet Tubmans und löste damit wieder eine Welle der Sympathie und eine Spendenaktion aus. Am 10. März 1913, vor 105 Jahren schloß sie für immer die Augen, nachdem sie sich auch noch eine Lungenentzündung zugezogen hatte.
Aufgrund ihres Dienstes im Bürgerkrieges erhielt sie eine militärische Ehrenbestattung auf dem Fort Hill-Friedhof in Auburn (New York). (Hier liegt auch ihr lebenslanger Freund, Außenminister William Seward, begraben.)
Wie Frederick Douglas, mit dem sie ebenfalls befreundet war, wurde sie nach ihrem Tod eine Ikone der Bürgerrechtsbewegung in den USA, so wie auch die Frauenrechtsbewegung sie als Leitfigur anerkannte. Zahlreiche Schulen und Straßen, sogar ein Schiff sind nach ihr benannt, Statuen stehen auf vielen öffentlichen Plätzen. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in den USA begeht den 10. März als „Harriet Tubman Gedenktag“. Schon 1978 brachte die amerikanische Post eine Gedenkbriefmarke mit Tubmans Portrait heraus; 1994 noch einmal.
2004 erschien die umfangreiche Biographie „Harriet Tubman, Portrait of an American Hero. Bound for the Promised Land“. In Deutsch existiert seit 2009 dieses Buch: „Freiheit oder Tod“ - Harriet Tubman: Afroamerikanische Freiheitskämpferin“.
Die Bilder zeigen zwei Portraits von Harriet Tubman und ein Bild von ihr mit ihrem Mann, ferner einen Holzschnitt von ihr im Amerikanischen Bürgerkrieg, sowie ihr Haus, das heute vom Nationalpark Service verwaltet wird, die Briefmarken mit ihrem Portrait und das biographische Buch von Kate Larson, sowie ihr Grab.
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de