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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie ist das mit dem National Museum of the American Indian?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie ist das mit dem National Museum of the American Indian?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Heute möchte ich an ein Ereignis jüngerer Geschichte erinnern, das aber für sich genommen sehr bemerkenswert ist.

Am 21. September 2004 eröffnete in Washington D.C. das NATIONAL MUSEUM OF THE AMERICAN INDIAN als Teil der renommierten SMITHSONIAN INSTITUTION. Es ist das größte nationale Museum der USA, das der Geschichte und Kultur, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der eingeborenen Völker gewidmet ist.

Dieses Museum entstand in engster Zusammenarbeit mit den Führungen der Indianervölker selbst – und die Nation der Pequot, die Dank ihrer Spielkasinos zu den reichsten Indianervölkern Nordamerikas zählt, spendete eine erhebliche Summe Geldes für den Bau und die Einrichtung dieses wirklich eindrucksvollen Museums. Vermutet werden ca. 500 Millionen Dollar.

Grundlage für die Sammlungen dieses Museums war das GEORGE GUSTAV HEYE CENTER in New York, in dem 1916 das „Museum of the American Indian“ etabliert wurde.

Wer das NATIONAL MUSEUM OF THE AMERICAN INDIAN betritt, findet keine Klischees bestätigt. In diesem Haus bestimmen ausschließlich die Indianervölker selbst, wie sie präsentiert werden wollen.

Ich finde dieses Museum höchst eindrucksvoll. Bereits die Architektur sprengt jeden Rahmen, den man sich unter einem klassischen Museumsbau vorstellt. Ich habe mehrfach Reisegruppen nach Washington in dieses Museum geführt und erinnere mich daran, dass manche meiner Reisenden enttäuscht waren.

Das Museum legt keinen Wert darauf, die Indianerträume der Besucher zu bestätigen oder zu inspirieren. Es stellt die indianische Wirklichkeit von gestern und vor allem von heute dar. Die Geschichte wird gezeigt, wie die indianischen Völker sie selbst sehen – auch wenn einige Elemente kontrovers sein mögen und wissenschaftliche Interpretationen offen lassen. Das ist gewollt; es soll zur Diskussion und einem offenen Dialog herausfordern. Manches ist provokant – wie auch die Architektur – und demonstriert Unabhängigkeit vom Mainstream der Gesellschaft. Dieses Museum zeigt indianisches Leben heute und früher mit allen Facetten, positiv wie negativ – von den elenden Wohncontainern bis zu den funkelnden Kasinopalästen. Es präsentiert die indianische Kunst, die sich nicht auf schöne Perlen- und Quillarbeiten beschränkt, sondern offenbart, das die Künstler der eingeborenen Völker mit der Zeit gehen, am kulturellen Diskurs Amerikas Anteil nehmen und dazu beitragen wollen.

Das Museum konfrontiert den Besucher mit der indianischen Weltsicht, mit der Sicht auf sich selbst und mit ihrer Selbstwahrnehmung. Wenn der Besucher sich davon überfordert fühlt, ist das sein Problem; denn die Völker wollen nicht die Vorstellungen der Nicht-Indianer bedienen, sondern sie zwingen, die Realität zu akzeptieren.

Es mag dem Besucher, der das „klassische“ Indianerbild im Kopf hat, nicht gefallen, dass er nicht den hundertsten Adlerfederkopfschmuck und die fünfhundertste „Friedenspfeife“ zu sehen bekommt. Aber Indianer gehen mit der Zeit; sie leben heute. Sie sind keine Fossile, die in die Vergangenheit zurückwollen. Sie wollen ihren Anteil am heutigen Leben, am heutigen Alltag. Sie wollen zeigen, dass sich ihre Kultur weiterentwickelt hat

Die Innuit-Frau Jeela Allurut formulierte 2001 einen Satz, der groß im Museum ausgestellt wurde: „Wir haben heute eine andere Lebensweise. Wir können nicht mehr in die Vergangenheit zurück. Es ist unmöglich, heute so zu leben. Wir müssen einen Weg finden, unseren Kindern und uns zu helfen.“

Geschichte wird natürlich berücksichtigt – ich erinnere mich an eine absolut grandiose Ausstellung von historischen Pferdemasken. Aber gestern und heute bilden eine Einheit. Es gibt keine federgeschmückten Bisonjäger mehr, die noch in Tipis leben und über die Great Plains nomadisieren. Geschichte und Tradition sind Kraftspender, aber sie können und sollen nur dazu dienen, sich in der heutigen Zeit zu behaupten. Dazu sind die indianischen Völker imstande und Willens – und das zeigen sie in diesem großen und großartigen Museum, in dem auch Zukunftsperspektiven der verschiedenen Kulturareale entworfen werden.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2019Die kommende Ausgabe

 

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