Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Billy Claiborne?
Wie war das mit Billy Claiborne?
: Am 14. November 1882 wurde ein Mann erschossen, der sein kurzes Leben in einer Welt der Rücksichtslosigkeit und Gewalt verbracht hatte. Allerdings hatte er diese Gefahr gesucht und niemals Interesse an einer bürgerlichen Existenz gehabt.
Billy Claiborne, der sich gern „Billy the Kid“ nennen ließ – obwohl er mit dem einzig wahren „Kid“, William Bonney, gar nichts zu tun hatte –, gehörte zu der verrufenen „Cowboy“-Fraktion in Tombstone, Arizona, die sich um die Familien Clanton und McLaury scharte. Er hielt sich selbst für einen „Gunfighter“, einen Revolvermann, der Angst und Schrecken um sich verbreiten wollte. Aber er war nur ein jähzorniger junger Bursche, der sich maßlos überschätzte und glaubte, mit seinem Revolver ein starker Mann zu sein. Davon gab es nicht wenige in den Boomtowns der amerikanischen Frontier, wo Recht und Gesetz zeitweise außer Kraft gesetzt schienen.
William Floyd Claiborne – so sein voller Name – wurde am 21. Oktober 1860 in Mississippi geboren und zog schon als Teenager nach Texas. Hier arbeitete er zeitweise als Helfer auf Ranches, u. a. auch für John Slaughter – einen Rancher, über den ich an dieser Stelle schon einmal berichtet habe. 1879 gehörte er zu Slaughters Cowboy-Mannschaft, die eine Rinderherde von Texas nach Arizona trieb. Hier fand er Arbeit in den Bergwerken der „Neptune Mining Company“ des kleinen Nestes Charleston und fuihr Erzwagen von den Minen zu den Verladestationen.
Am 1. Oktober 1881 geriet Claiborne, immer ein starker Trinker, im „Queens Saloon“ in Charleston in Streit mit einem Mann namens James Hickey Auch Hickey war betrunken und fühlte sich offensichtlich von dem jungen Mann mit dem kindlichen Aussehen herausgefordert. Der Eigentümer des Saloons, Harry Queen, berichtete: „Ich war dabei, als James Hickey getötet wurde. Hickey stand neben einem Spieltisch in meinem Saloon, wo eine Pokerrunde stattfand. Als er sich umdrehte, um den Saloon zu verlassen, trat ein junger Bursche ein, der „The Kid“ genannt wurde. Als er Hickey sah, kehrte er um und wollte wieder hinausgehen. Hickey folgte ihm und ich hörte ihn sagen, das er den „kaktusfressenden Hurensohn“ sehen möchte, der es wagen würde, sich ihm in den Weg zustellen. Kid sagte, Hickey solle ihm nicht folgen, er sei ihm lange genug nachgelaufen, und das könne er nicht länger ertragen. ... Dann zog Kid seinen Revolver und schoss. Hickey stürzte auf sein Gesicht und dann auf die linke Seite… Claiborne schoss Hickey in die Wange unter seinem linken Auge und tötete ihn auf der Stelle. Über einen Monat später, am 26. November, fand ein Gerichtsverfahren statt. Nur vier Geschworene tauchten auf. Am nächsten Gerichtstag waren drei davon verschwunden… Ein zweites Verfahren wurde für den 11. Mai 1882 angesetzt, aber die Anwälte kamen nicht. Ein drittes Verfahren sollte am 15. Mai durchgeführt werden. Wieder wurden nicht genügend Geschworene gefunden. Keiner hatte Hickey leiden können, und schließlich entschieden die Geschworenen, dass Billy nicht schuldig sei und ließen ihn frei.“
Als 1881 die Nachricht aus New Mexico kam, dass William Bonney (Billy the Kid) getötet worden war, verlangte Claiborne, dass man ihn jetzt „Billy the Kid“ nennen sollte. Er sah in Bonney offenbar sein Vorbild und behauptete, 3 Männer getötet zu haben. In dieser Zeit freundete er sich mit Billy Clanton und Tom und Frank McLaury an.
Am Morgen des 26. Oktober 1882 sah City Marshal Virgil Earp Ike Clanton schwer bewaffnet auf der Straße. Das widersprach dem Waffenverbot in Tombstone. Virgil schlug Ike mit dem Revolver nieder und schaffte ihn mit seinem Bruder Morgan ins Gericht.
Vor dem Gericht traf Wyatt Earp auf Tom McLaury und fragte ihn, ob er bewaffnet sei. McLaury stritt das ab, aber Wyatt Earp entdeckte einen Revolvergriff, der aus der Hose von McLaury ragte. Daraufhin zog Wyatt seine Waffe und schlug McLaury zweimal über den Kopf. Der Mann blieb blutend am Boden liegen.
Claiborne hatte den Vorfall beobachtet. Am frühen Nachmittag traf er auf Billy Clanton und Frank McLaury und berichtete, was er gesehen hatte. Gemeinsam verließen die Männer den Saloon, in dem sie sich getroffen hatten, und gaben ihre Waffen nicht ab – wie die Regeln in der Stadt es vorsahen. Sie fanden Ike Clanton und Tom McLaury in Spangenbergs Waffengeschäft, wo sie Munition kauften.
Marshal Virgil Earp war inzwischen berichtet worden, dass die Clantons und McLaurys sich im OK Corral an der Fremont Street getroffen hatten und Drohungen gegen die Earps ausstießen.
Gegen 14.30 Uhr trafen die Earps und Doc Holliday auf die Brüder McLaury und Clanton am Eingang des Mietstalls unweit von Fly’s Boardinghouse. Virgil Earp forderte die Cowboys auf, ihre Waffen abzulegen.
Billy Claiborne schrie, dass er unbewaffnet sei, und rannte davon. Ike Clanton behauptete dasselbe und flüchtete an Wyatt Earp vorbei, der ihm einen Schlag mit dem Revolver versetzte. Dann begann die Schießerei.
Claiborne wurde seitdem als Großmaul und Feigling angesehen. Er verließ Tombstone für mehrere Monate, arbeitete in einer Silbermine in Globe und erzählte jedem, dass er seinen Freund Johnny Ringo – der inzwischen tot aufgefunden worden war – rächen würde. Er behauptete, der mit den Earps befreundete Barkeeper Frank Leslie habe Ringo erschossen.
Alle Historiker sind sich inzwischen einig, dass Ringo Selbstmord begangen hatte.
Am 14. November 1882 kehrte Billy Claiborn nach Tombstone zurück. „Buckskin“ Frank Leslie arbeitete zu dieser Zeit noch immer als Barkeeper im „Oriental Saloon“, an dem Wyatt Earp Anteile besaß. Claiborne war bereits betrunken, als er den Saloon betrat. Er begann sofort zu randalieren. Leslie forderte ihn auf, zu verschwinden. Mit finsteren Drohungen verließ Claiborne den „Oriental“ und kehrte nach ein paar Minuten mit einem Gewehr zurück. Er drohte, Leslie zu erschießen.
Leslie trat auf den Gehsteig. Claiborne feuerte. Frank Leslie schoss zurück und traf Claiborne in die Brust. Er starb wenige Stunden später. Frank Leslie wurde wegen erwiesener Notwehr freigesprochen. Billy Claiborne liegt auf dem Boothill von Tombstone begraben.
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de