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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Oliver F. Winchester?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Oliver F. Winchester?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Es gab im 19. Jahrhundert zwei Waffen, für die der plakative Spruch geprägt wurde: „The Guns That Won the West“ – Die Waffen, die den Westen eroberten. Eine davon war der Colt-Revolver, die zweite war das Winchester-Gewehr.

Am 30. November 1810 wurde der Mann geboren, dessen Name ebenso mit dem „Wilden Westen“ verbunden ist, wie der von Samuel Colt: OLIVER F. WINCHESTER.

Dabei war er, im Gegensatz zu Colt, kein Erfinder. Er war ein Geschäftsmann und Politiker und Gründer der WINCHESTER REPEATING ARMS COMPANY.

Das legendäre Winchester-Gewehr war aus der Volcanic Rifle entwickelt worden, einem Unterhebelrepetierer für Bleihohlgeschossee, die mit Schwarzpulver gefüllt waren. Der Zünder steckte in einer Art „Korken“, mit dem die Geschosse hinten verschlossen wurden. Man nannte diese Munition auch „Rocket Ball“ (Raketenkugel). Dieses Gewehr war 1848 von dem Büchsenmacher Walter Hunt entwickelt worden. Es gab auch eine Pistole mit dieser Technik. Hunt verkaufte sein Patent an SMITH & WESSON, die die „Volcanic Repeating Arms Company“ gründeten.

Der Ingenieur Lewis Jennings verbesserte die Volcanic-Waffen ganz entscheidend. Gleichwohl fanden sie nur wenige Abnehmer. Smith-&-Wesson gerieten wegen dieses Misserfolgs in finanzielle Schwierigkeiten. Einer ihrer Investoren war Oliver Winchester. Er erkannte trotz der Probleme die Möglichkeiten dieser so simplen wie genialen Repetiertechnik und zwang die „Volcanic Arms Company“ in die Insolvenz, um sie 1856 billig übernehmen zu können. 1857 heuerte er den exzellenten Büchsenmacher Benjamin Tyler Henry (1821-1898) als Leiter der neugegründeten „New Haven Arms Company“ an. Henry analysierte die Schwächen des Volcanic-Systems und entwickelte eine Randfeuerpatrone im robusten Kaliber .44. Das war der Durchbruch.

Die Volcanic war bisher in den kleinen Kalibern .25 und .32 wenig attraktiv gewesen. Außerdem litt sie unter ständigen Hülsenklemmern und Zündversagern. Henry verstärkte auch den Rahmen und stabilisierte die Repetierfunktion. Innerhalb 6 Jahren wurden etwa 12.000 Stück der „Henry Rifle“ hergestellt. Der große Erfolg führte zu einer geschäftlichen Umorganisation und einem erneuten Namenswechsel: „Winchester Repeating Arms“. 1866 konstruierte der Ingenieur Nelson King aus dem „Henry-Gewehr“ die „Winchester 1866“, die wegen ihres Messingrahmens den Spitznamen „Yellow Boy“ erhielt.

Hier gilt es, kurz einen weiteren Mythos zu erklären: Die allgemeine Bezeichnung „Messingrahmen“ ist geläufig aber falsch. Tatsächlich handelte es sich dabei um eine bronzene Waffenmetall-Legierung, die zu 88% Kupfer enthielt. Sie wurde als „Red Brass“ bezeichnet, „rotes Messing“; tatsächlich wurde fast kein Messing verwendet. Es gab bei der Waffenherstellung ca. 500 verschiedene Bronze-Kupfer-Legierungen, in die auch Blei und Zink gemischt wurden. Da dieses Metall golden schimmerte, wurde der Begriff „Messingrahmen“ populär.

Tyler Henry hatte die Firma zu diesem Zeitpunkt wegen eines Patentrechtsstreit mit Winchester schon verlassen. (Nebenbei: In Deutschland führte der Schriftsteller Karl May – der nur flüchtig über die neuen Repetiergewehre gelesen hatte – in seinen Romanen den „Henry-Stutzen“ ein. Tatsächlich hatte er zu dieser Zeit ein solches Gewehr nie gesehen, weshalb seine Beschreibung dieser Waffe reine Fantasie war.) Charakteristisch für alle diese Repetierer war das Röhrenmagazin unter dem Lauf, in dem mittels einer Feder die jeweils nächste Patrone nach vorn gedrückt und dann mit dem Unterhebel nach oben in den Lauf gehoben wurde.

Obwohl diese Repetiergewehre immer populärer wurden, gelang es Winchester nicht, vom Amerikanischen Bürgerkrieg zu profitieren. Die Beschaffungsbehörden der Armee ignorierten diese Gewehre weitgehend. Sie galten als unausgereift und nicht solide genug für den militärischen Gebrauch. Ferner war das konsertive Kriegsministerium der Meinung, dass Repetierer die Soldaten zur Munitionsverschwendung verleiteten. Daher wurden nur geringe Stückzahlen an die Armee geliefert.

Das tat dem Erfolg der Winchester auf dem zivilen Markt keinen Abbruch. Tausende von Winchester Rifles und Karabinern gingen mit den Pionieren auf den Weg nach Westen. Den endgültigen Durchbruch brachte das Modell 1873, das idealerweise die Revolverpatrone .44 Zentralfeuer verschoss. Damit wurden die Winchester 73 und der Colt Single Action Army (Peacemaker), beide im selben Kaliber, zum populärsten Waffenpaar der Pioniergeschichte.

Oliver Winchester engagierte sich neben seiner geschäftlichen Tätigkeit in der Republikanischen Partei und amtierte 1866-67 als stellvertretender Gouverneur von Connecticut.

Er starb am 10. Dezember 1880. Sein Sohn William W. Winchester übernahm die Leitung der Fabrik und verstarb nur wenige Monate später an Tuberkulose.

Die Firma existierte bis 2006, dann wurde sie an den internationalen Chemie- und Munitionsfabrikanten Olin Corporation verkauft. Nur noch der Name wird jetzt in Lizenz von der „Herstal Group“ verwendet, zu der die belgische Firma „FN“ (Fabrique Nationale) und der bekannte Waffenfabrikant „Browning Arms“ in Utah, USA, gehören. Die alte Firma „Winchester“ gibt es nicht mehr.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die kommende Ausgabe

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