Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Johann Gottlieb Rall?
Wie war das mit Johann Gottlieb Rall?
: Nachdem ich letzte Woche an George Washingtons Überquerung des Delaware River und die Schlacht von Trenton (New Jersey) am 26. Dezember 1776 erinnert habe, heute noch ein paar Zeilen über den unglücklichen Kommandanten der Garnison von Trenton, den Oberst JOHANN GOTTLIEB RALL. Er starb am 27. Dezember 1776. Sein bemerkenswertes Leben reflektiert viele Elemente des Militärwesens im 18. Jahrhundert, das sich stark von unseren Auffassungen von Armeen in klassischen Nationalstaaten unterschied..
Rall war entweder 1725 oder 1726 in Stralsund geboren worden. Dass sein Geburtsdatum nicht genau bekannt ist liegt daran, das Rall ein Soldatenkind war, der Sohn eines Offiziers aus dem Regiment des Generalmajors von Donop. Ständige Verlegungen der Truppen führten manchmal dazu, dass Dokumente oder Geburtseinträge verloren gingen. Ralls Vater war Hauptmann. Der Junge wuchs in Garnisonen heran und wurde erstmals am 1. März 1740 als Kadett im selben Regiment, in dem sein Vater eine Kompanie führte, erwähnt.
1741 war er in die Dienste des Landgrafs von Hessen-Kassel getreten und wurde am 25. Juli 1741 zum Fähnrich befördert, das war in jener Zeit ein Offiziersanwärter. Im August 1745 erfolgte der Aufstieg zum Leutnant. 1753 war Rall Hauptmann, 1755 Major unter Generalmajor von Bischhausen. 1763 hatte er den Rang eines Oberstleutnants im Garnisonsregiment von Stein erreicht. Im April 1771 wurde er zum Grenadier-Regiment General von Mansbach versetzt, dessen Kommando er im Januar 1772 als Oberst übernahm.
Rall hatte eine tadellose militärische Karriere mit zahlreichen Belobigungen und Auszeichnungen hinter sich. Entsprechend den Regeln der Zeit, hatten die jeweiligen Landesherren Bündnis- und Beistandsverträge mit anderen Fürsten und Königtümern. Ihre Truppen wurden gegen Mietzahlungen überall eingesetzt, wo sie benötigt wurden. Die Offiziere dienten unter verschiedenen Flaggen und in verschiedenen Kriegen. Johann Gottlieb Rall kämpfte im Österreichischen Erbfolgekrieg, er nahm an Feldzügen in Holland und im Rheinland teil und focht im Jakobiten-Aufstand in Schottland 1745. Er diente im Siebenjährigen Krieg. 1771-72 war er unter Katherina der Großen in Russland Offizier unter Graf Orlow im 4. Russisch-Türkischen Krieg.
Am 15. Januar 1776 unterschrieb Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel einen sogenannten Subsidienvertrag mit seinem Schwager, King George III. von Großbritannien und stellte diesem 12.000 Soldaten zur Verfügung.
Rall führte das nach ihm benannte Grenadier-Regiment in der 1. Division unter General Philip Leopold von Heister. Er focht mit seinen Männern bei Flatbush, White Plains, Long Island und Fort Washington. Den britischen Kommandeuren fiel er durch große Tapferkeit und Umsicht auf.
Rall hatte in den genannten Gefechten die amerikanischen Milizen als undisziplinierte, in den Formaltaktiken völlig unerfahrene Soldaten kennengelernt, die er nicht sonderlich ernst nahm. Das sollte sich rächen. Als Kommandeur der Garnison Trenton in New Jersey versäumte er, notwendige Sicherheitsvorkehrungen für das Winterquartier zu treffen. Er hielt es für unmöglich, dass die Amerikaner imstande sein würden, sein gut ausgebildetes Regiment zu überraschen. Er saß am Weihnachtsabend beim Kartenspielen, als ihm ein königstreuer Amerikaner eine Botschaft überbrachte, wonach es jenseits des Delaware River Truppenbewegungen der Continental-Armee gab. Rall nahm sich nicht einmal die Zeit, diese Botschaft zu lesen. Er knüllte das Papier zusammen und steckte es in seinen Uniformrock – es wurde nach seinem Tod gefunden.
Bis zum Morgen des 26. Dezember kreuzten die Amerikaner den Delaware und überrannten die Garnison in Trenton. Am 25. Dezember hatten die Hessen ausgiebig Weihnachten gefeiert. Viele befanden sich wohl noch im Rausch. Rall wurde im Bett überrascht und stürmte „in Strumpfsocken“, wie es hieß, aus seinem Quartier, um das Kommando zu übernehmen. Er wurde von zwei Kugeln getroffen und zurück in sein Hauptquartier getragen, nachdem er darum gebeten hatte, formal vor Washington zu kapitulieren. George Washington und General Green suchten ihn hier noch in der Nacht auf, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Dann starb Rall am Morgen des 27. Dezember 1776.
Er wurde in einem namenlosen Grab des Friedhofs der First Presbyterian Church bestattet. Das Haus, in dem er sein Hauptquartier hatte, steht nicht mehr. Eine Gedenktafel erinnert an ihn.
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de