Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit der Prohibition?
Wie war das mit der Prohibition?
: Am 16. Januar 1920 trat in den USA ein Gesetz in Kraft, das als „Noble Experiment“ bezeichnet wurde – „das edle Experiment“. Gemeint war das Verbot der Herstellung, des Transports und Verkaufs von Getränken mit mehr als 0,5% Alkohol. Allgemein als „Prohibition“ bezeichnet.
Dieses Gesetz kam einer Kulturrevolution gleich. Es prägte weite Lebensbereiche der USA für viele Jahre. Schon im 19. Jh. hatte es in einigen Bundesstaaten entsprechende Verbote gegeben. Das war der damals rapide wachsenden Temperenzbewegung aber nicht genug. Die Initiative ging überwiegend von Frauen aus, die tatsächlich Jahrzehnte unter exzessivem Alkoholmissbrauch von Männern gelitten hatten. Häusliche Gewalt war im 19. Jahrhundert in Amerika Alltag, aber kein öffentliches Thema. Frauen und Kinder litten unter der weit verbreiteten Trunksucht der Männer, ganze Familien zerbrachen, Existenzen wurden vernichtet.
Die Temperenzvereine hatten jahrzehntelang für das neue Gesetz gekämpft. Dafür hatten sie seltsame Koalitionen gebildet. Fundamentalchristen hatten sich mit Frauenrechts- und Bürgerrechts-Vereinen verbündet – normalerweise waren sich diese Gruppen spinnefeind. Aber auch kriminelle Banden in den großen Städten, die Mafia und die Schwarzbrenner, hatten Grund zu feiern. Für sie war dieses Verbot ein „Konjunkturprogramm“. Denn natürlich hörte der Alkoholkonsum nicht auf. Er verlagerte sich lediglich in den Untergrund. Es begann ein erbitterter und blutiger Krieg zwischen den Polizeibehörden und den Alkoholschmugglern, den das organisierte Verbrechen auf längere Sicht gewann. Die Banden, die den schwarzgebrannten Fusel unter der Hand verbreiteten, entwickelten eine Logistik, gegen die die Behörden in der Regel nicht ankamen.
Zugleich entstanden vorwiegend in den Großstädten illegale Bars, sogenannte „Speak Easys“. Es gibt Schätzungen, die um 1927 von 32.000 solcher Etablissements allein in New York ausgingen.
Der amtierende Präsident Woodrow Wilson war ein Gegner dieses Gesetzes, aber sein Veto wurde überstimmt. 68% Zustimmung im Repräsentantenhaus und 76% im Senat. Das Gesetz erhielt als 18. Verfassungszusatz den höchsten Rang in der amerikanischen Gesetzgebung. Das war formal nötig, um die Regelung auf Bundesebene durchsetzen zu können; denn Handelsbeschränkungen sind in den USA juristisch den Einzelstaaten vorbehalten.
Der Genuss wurde allerdings nicht verboten. Trinken durfte man immer noch. Alkohol durfte als Medizin ärztlich verordnet werden. Damit wurden Apotheken zu florierenden Verkaufsstellen, und es wurden Brandy- und Whiskey-Sorten hergestellt, denen Kräutermischungen beigegeben wurden, damit sie als „Arzneien“ anerkannt wurden.
Dass es sich bei der „Prohibition“ um einen tiefgehenden kulturellen Konflikt handelte zeigt eine Analyse der Befürworter. Die Anti-Alkoholbewegung hatte ihre Wurzeln im ländlich-provinziellen Bereich. Hier sah man den Konsum berauschender Getränke als Fluch des Teufels und als Urheber jeglicher Form der Dekadenz. Industrialisierung, Gleichberechtigung der Arbeiter, jegliche Form der Liberalisierung – Alkohol war das Symbol der Aufweichung von Sitte und Moral.
Weitere „Nebenwirkungen“ waren radikale Diskriminierungen von bestimmten Einwanderergruppen, beispielsweise der Deutschen, die als traditionelle Bierbrauer verschrien waren, und der Iren, die als „geborene Säufer“ galten.
Im Gefolge des Alkoholkonsums wurde gegen Prostitution und Glücksspiel zu Felde gezogen. Großunternehmer wie Henry Ford versprachen sich eine Anhebung der Arbeitsmoral durch das Alkoholverbot.
Interessanterweise stellten sich die Episcopalen Lutheraner, die Deutsch-Protestanten, die Römisch-Katholische Kirche und die jüdischen Gemeinden dagegen. Für sie war Alkohol eine Gabe Gottes. Da für religiöse Zeremonien Messwein (Sacramental Wine) erforderlich war, wurden für diese Gemeinden Ausnahmen erlassen – und diese Kirchen erhielten plötzlich gesteigerten Zulauf von Gläubigen.
Die Befürworter behaupteten, das Verbrechen würde stark zurückgehen. Die Mehrheit der Kriminologen bezweifelte das – sie sollte recht behalten.
Die Auseinandersetzung über dieses Problem reichte weit zurück ins 19. Jh. Ab den 1860er Jahren wuchs die Brauindustrie, weil die Ausbreitung der Eisenbahn verbesserte Transportmöglichkeiten mit Kühlwaggons schaffte. Schon 1851 war Maine der erste Bundesstaat, der eine Prohibition einführte. 23 weitere Staaten folgten. 1893 wurde in Ohio die „Anti-Saloon-League“ gegründet, die für die Schließung aller Schankbetriebe eintrat, die als Brutstätten von Korruption und Unmoral galten. In Kansas machte eine energische Frau von sich reden: Carry Nation hielt nicht nur Vorträge gegen Alkoholgenuss, sie marschierte nach jedem Auftritt in verschiedene Saloons und zertrümmerte mit einem Handbeil Fässer, Flaschen und ganze Theken.
Was sich nach 1920 abspielte, war allerdings weitaus dramatischer. An der texanisch-mexikanischen Grenze entlang des Rio Grande fanden blutige Kämpfe zwischen Texas Rangers, anderen Grenzpolizeien und Schmugglern statt. In den großen Städten im Osten wie New York, Boston, Chicago verging kein Tag ohne brutale Kämpfe. Bei den Razzien der Polizei gegen illegale Bars kam es ständig zu Schusswechseln mit Toten. Die Banden bekämpften sich untereinander, wenn es um die Aufteilung von Distrikten in den Städten ging. Der geschmuggelte „Moonshine“-Brandy, der teilweise auf Yachten über die „Rum Row“ von Kuba kam, wurde mit Methylalkohol und Benzol versetzt und verursachte schwere Vergiftungen und andere Krankheiten. Aber wer nicht an Alkoholvergiftung starb, der starb an Bleivergiftung. Hinzu kam, dass die etwa 2.300 Prohibitionspolizisten schlecht bezahlt und daher äußerst empfänglich für Bestechung waren.
In dieser Zeit wurde ein Name groß, der bis heute als regelrechte Symbolgestalt des organisierten Verbrechens steht: Al Capone. 1899 in New York geboren und schon als Kind in Straßengangs aktiv, wurde er zeitweise zum „Staatsfeind Nr. 1“.
Kriminalisten gehen davon aus, dass die von Capone geschaffenen Strukturen des organisierten Verbrechens in der Prohibitionszeit nach Ende des Alkoholverbots nahtlos auf den Drogenhandel übertragen wurden.
Die Befürworter der Prohibition behaupten – teilweise bis heute –, dass der Alkoholkonsum in den Jahren der Prohibition markant gesunken sei. Eine 2010 durchgeführte Studie spricht eine andere Sprache. Ab 1922 stieg der Alkoholverbrauch um 60-70%.
1925 nannte der Journalist H. L. Mencken die Prohibition „gescheitert“. Häusliche Gewalt hatte nicht abgenommen. Die amtliche Durchsetzung der Verbote war weitaus teurer als die Vorteile einer Freigabe. Mehr als 200 Destillerien, über 1.000 Brauereien und über 170.000 Schankbetriebe mussten schließen – und zahlten keine Steuern mehr. Den Verlust der Arbeitsplätze nicht einmal gerechnet.
1933 wurde die Prohibition mit dem 21. Verfassungszusatz beseitigt. Allerdings hielten einige Bundesstaaten eisern daran fest. Mississippi schaffte die Prohibition erst 1966 ab. Bis heute gibt es Countys und Gemeinden, die als „trocken“ gelten – hier bekommt man nicht einmal ein Bier „light“. Auch einige traditionelle Familienrestaurants wie „Cracker Barrel“ oder „Perkins“ haben keinen Alkohol auf der Karte. Der private Transport von Alkohol von einem Bundesstaat in einen anderen kann in bestimmten Gegenden noch immer strafbar sein.
Aber auch da, wo der Verkauf möglich ist, sind die sogenannten „Liquor Shops“ stärker gesichert als Banken, und allein das Betreten ist nur nach Ausweiskontrolle möglich.
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de