Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das noch mit Laura Ingalls?
Wie war das noch mit Laura Ingalls?
: Ich habe an dieser Stelle bereits über sie berichtet – aber sie ist es wert, dass noch einmal an sie erinnert wird; denn auch sie ist ein Beleg dafür, wie nahe uns zeitlich die amerikanische Pionierzeit ist: Am 10. Februar 1957 – vor 64 Jahren – starb LAURA INGALLS WILDER. Sie war nicht nur eine der frühen Heimstättenpionierinnen, sie war die Autorin einer der beliebtesten Fernseh-Serien der Welt. In Deutschland hießen die Filme UNSERE KLEINE FARM.
In Amerika lautete der Originaltitel: LITTLE HOUSE ON THE PRAIRIE.
Diese Serie spielte vor dem Hintergrund der Besiedelung der Großen Ebenen im amerikanischen Westen im 19. Jahrhundert. Was Laura Ingalls Wilder in ihren Büchern beschrieb, hatte sie – wenn auch romantisch ausgeschmückt – selbst erlebt.
Am 1. Januar 1863 war das Bundesheimstättengesetz der USA in Kraft getreten. Die Regierung Lincoln wollte – mitten im Amerikanischen Bürgerkrieg – ein vitales Kleinbauerntum als Gegengewicht zur Plantagenwirtschaft der großen Pflanzer im Süden schaffen. Besitzlosen Menschen sollte die Chance gegeben werden, sich selbständig zu machen. Ferner sollte der bis dahin als „Große Amerikanische Wüste“ angesehene Westen, die wasserarmen, dürren Plains, nutzbar gemacht werden.
Der „Homestead Act“ war das erfolgreichste Heimstättengesetz der Welt. Als es in den 1990er Jahren endgültig geschlossen wurde, hatten mehr als 4 Millionen Menschen davon profitiert. Sie hatten Gebiete wie Kansas, Nebraska, South und North Dakota zu großen Teilen in eine Kulturlandschaft und Kornkammer verwandelt.
Diese positive Beurteilung schreibt sich leicht. Tatsächlich hatte es sich um einen verzweifelten Kampf gehandelt, den diese Millionen von kleinen Farmern mit einer gnadenlosen Natur ausfechten mussten. Bis heute sind diese Gebiete Regionen der Extreme. Wer einmal bei Gewitterstürmen, Blizzards, Tornados und Hagelunwettern durch dieses Land gefahren ist, bekommt einen Eindruck davon, was den Heimstättern bevorstand, die ihre 160 Acres (64 Hektar) großen Parzellen in Besitz nahmen, die auf klapprigen Fuhrwerken dort eintrafen, die Grasscholle abschälten, sich Behausungen aus Grasoden bauten oder Höhlen in Hügel gruben, mit Spaten und Hacke tiefe Brunnen aushoben, um das bisschen Wasser zu erlangen, dass sie benötigten. Und damals gab es so gut wie keine Bäume auf den Ebenen, die als Schutz oder Bauholz benutzt werden konnten. Nicht zu reden von den Heuschreckenschwärmen, die in manchen Jahren die Ernten vernichteten.
LAURA INGALLS WILDER wurde am 7. Februar 1867 geboren vor 154 Jahren. Da war das Heimstättengesetz gerade 4 Jahre in Kraft und der blutige Bürgerkrieg war noch keine 2 Jahre vorbei. Laura kam in Wisconsin als zweites von 5 Kindern in einer winzigesn Blockhütte zur Welt. Ihre Eltern waren Heimstätter. Sie hatten das Regierungsangebot angenommen und gegen eine geringe Eintragungsgebühr eine Parzelle abgesteckt, die ihren gehören sollte, wenn sie das Land 5 Jahre lang kultivierten.
Das hörte sich einfach an, aber die Lebensbedingungen waren unmenschlich hart. Diejenigen, die scheiterten, wurden nicht gezählt. Es waren viele. Aber die wenigsten gaben endgültig auf. Wenn es mit der ersten Heimstätte nicht klappte, zogen sie weiter und beantragten eine zweite, dann eine dritte, dann eine vierte… Irgendwann hatten sie Erfolg.
Zu diesen ausdauernden Familien gehörten die Ingalls‘. In Wisconsin schafften sie es nicht. Sie zogen 1869 nach Missouri. Auch hier mussten sie aufgeben. Sie siedelten in Kansas. 1871 kehrte die Familie wieder nach Wisconsin zurück, dann wieder nach Kansas. Danach nach Minnesota. 1877 lebten sie in Iowa, und 1879 akzeptierte der Vater von Laura Ingalls eine Anstellung bei der Eisenbahn im östlichen Dakota-Territorium. Hier steckte er in der Nähe der Gemeinde DeSmet die letzte Heimstätte der Familie ab.
Die Ingalls‘ hatten zu dieser Zeit alle Hochs und Tiefs des Heimstätterlebens hinter sich. Sie hatten in einfachen Blockhütten gehaust, in „Dugouts“ (in Hügel hineingegrabene Höhlen), in Sodhäusern (Behausungen aus Grasziegeln) und Clapboard Houses.
Laura Ingalls sah als Kind die kleine Gemeinde DeSmet wachsen. Hier besuchte sie neben der Feld- und Stallarbeit die Schule. Ende 1882 erhielt sie das Angebot, selbst als Lehrerin zu arbeiten. Sie war noch keine 16 Jahre alt. Das war absolut nicht ungewöhnlich. Die kleinen Gemeinden im amerikanischen Westen hatten nicht viel Geld für Lehrkräfte an Grundschulen. Also wurden häufig minderjährige Mädchen, die gerade selbst ihre erste schulische Ausbildung absolviert hatten, eingestellt. Sie waren ledig, anspruchslos, erhielten einen sehr niedrigen Lohn.
(Bemerkung am Rande: Niemand anders als George Armstrong Custer arbeitete vor seinem Eintritt in die Militärakademie West Point als Grundschullehrer, auch er war zu dieser Zeit Teenager.)
Laura Ingalls unterrichtete bis 1885, während sie gleichzeitig die High School besuchte – aber sie machte nie einen Abschluß. Sie heiratete im August 1885 den Heimstätter Almanzo Wilder. Im Jahr darauf kam ihre erste Tochter zur Welt.
Die Welt des jungen Ehepaars wurde durch die plötzliche Diphterie-Erkrankung von Almanzo, die ihn fast das Leben kostete, früh beeinträchtigt. Sie waren körperlich nicht mehr imstande, ihre Heimstätte zu bewirtschaften. Zeitweise lebten sie bei Almanzos Eltern in Minnesota, dann zogen sie in der Hoffnung, daß das Klima Almanzos Gesundheitszustand verbessern würde, nach Florida. Tatsächlich war die klimatische Veränderung für sie, die das trockene Kontinentalwetter der Great Plains gewöhnt waren, nachteilig. 1894 ließen sie sich in Mansfield (Missouri) nieder und bauten sich auf einem billigen Stück Land ein bescheidenes kleines Haus. Sie nannten ihren Besitz „Rocky Ridge Farm“. Sie verkauften Feuerholz und pflanzten Obstbäume, die nach einigen Jahren ein stetiges Einkommen sicherten. Immer wieder benötigten sie Unterstützung ihrer und seiner Eltern.
Ab 1911 verdiente Laura Wilder sich mit Artikeln für kleine regionale Zeitung ein Zubrot. Sie schrieb hier über das Leben der Farmer und über lokale Ereignisse. Die finanzielle Situation der Familie verbesserte sich etwas, als sie eine Anstellung bei der „Farm Loan Association“ erhielt. Ab 1924 gelang es ihr, Artikel in größeren, nationalen Magazinen unterzubringen. Fünf Jahre später aber standen die Wilders fast vor dem Ruin, als die große Wirtschaftskrise den Aktienmarkt zusammenbrechen ließ und sie ihre geringen Ersparnisse verloren.
Unverzagt begann Laura Ingalls Wilder, ein autobiographisches Manuskript zu verfassen. Sie erzählte vom Leben der kleinen Heimstättensiedler in den weiten Prärien. Sie erzählte von ihrer Kindheit auf Pionierfarmen. 1932 erschien das Buch unter dem Titel „Little House in the Big Woods“ – es schilderte die Zeit der Ingalls-Familie in Wisconsin.
Das Werk wurde ein Überraschungserfolg. Schon im ersten Jahr brachte es rd. 500 Dollar an Tantiemen ein (nach heutiger Kaufkraft ca. 9.000 Dollar). In den folgenden Jahren schwoll der Strom der Tantiemen an, und Laura Ingalls Wilder schrieb weitere Bände, die allesamt zum Monument der Heimstättensiedler wurden.
Bis zum heutigen Tag, wurden über 41 Millionen ihrer Bücher verkauft. Laura Ingalls Wilders Bücher sind heute in 40 Sprachen auf der Welt verfügbar.
Damit hielt in den letzten Jahren ihres Lebens der Wohlstand Einzug in das Haus der Heimstättertochter. Bereits zu ihren Lebzeiten wurde sie zu einer Kultgestalt. Tagtäglich klopften begeisterte Leser an die Tür des Wilder-Hauses in Mansfield (Missouri).
1949 starb Almanzo Wilder. Am 10. Februar 1957 schloß auch Laura Ingalls für immer die Augen.
Alle Wohnstätten der Wilder-Familie, soweit sie noch erhalten sind, sind heute zum Gedenken an die Heimstättensiedler der Pionierzeit unter Schutz gestellt. (Copyright © by Dietmar Kuegler)
Mein Vortrag über das Heimstättengesetz auf Youtube ist unter diesem Link zu finden:
https://www.youtube.com/watch?v=b6qgM8qGhqM&feature=youtu.be
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de