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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Henry Newton Brown?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Henry Newton Brown?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Dafür ist HENRY NEWTON BROWN ein Beleg, dessen Leben am 30. April 1884 zu Ende ging; da war er gerade 27 Jahre alt.

Brown war 1857 – ein genaues Datum ist unbekannt – in Missouri geboren worden. Seine Eltern starben früh. Er wuchs als Waisenjunge unter Obhut seines Onkels Jasper Richardson in Cold Springs Township auf und verließ sein Zuhause im Alter von 17 Jahren. Wie die meisten jungen Männer, ging er nach Westen, wo er hoffte, bessere Lebensbedingungen zu finden.

1877 tauchte Brown in New Mexico auf und schloss sich den „Regulatoren“ an, einer Gruppe von Cowboys, die für die Rio Feliz Ranch des Anwalts John Tunstall arbeiteten. Tunstall war ins Lincoln County gekommen, um das hier existierende Handelsmonopol des sogenannten „Santa Fe Rings“ zu brechen. Dessen führende Inhaber, Lawrence Murphy und James Dolan hatten bis dahin erfolgreich versucht, das Versorgungs- und Transportgeschäft des Distrikts zu dominieren und jeden möglichen Konkurrenten notfalls mit Gewalt vertreiben. Daneben hatten sie sich Versorgungsverträge mit den Indianeragenturen und der Armee gesichert.

Hinter dem „Santa-Fe-Ring“ standen weitere einflussreiche Geschäftsleute und Politiker in der Hauptstadt New Mexicos. Involviert waren Landräte, Abgeordnete, Sheriffs, Offiziere, bis hinauf zum Gouverneur. Tunstall eröffnete einen Generalstore in der County-Hauptstadt Lincoln und versuchte mit einem Partner, Alexander McSween, die Preisdiktate von Murphy und seinen Partnern zu unterbieten.

Zu den Köpfen von Tunstalls Cowboy-Mannschaft gehörte niemand anderes als der blutjunge William Bonney, genannt Billy the Kid, der sich einen Ruf als gefährlicher Revolvermann geschaffen hatte – in der Legende später weit übertrieben.

Als John Tunstall von einem „Aufgebot“ des „Santa Fe Rings“ kaltblütig ermordet wurde, schworen die Regulatoren Rache. John Newton Brown gehörte zum engsten Kreis um Billy the Kid, der in dem immer gewalttätiger werdenden Konflikt eine Rolle spielte, der er gar nicht gewachsen war.

Am 1. April 1878 war Brown dabei, als Bonney und andere den korrupten Sheriff William Brady in der Hauptstraße von Lincoln erschossen. Am 15. Juli 1878 hielten sich die Regulatoren im Haus von Alexander McSween, Tunstalls Partner, in Lincoln auf. Als die Armee anrückte, um die Männer zu stellen, kam es zur „Schlacht von Lincoln“. Alexander McSween wurde ebenfalls erschossen. Sein Haus wurde niedergebrannt. Billy the Kid und die Regulatoren entkamen. Henry Brown hatte vom Hinterhof aus die Angreifer unter Feuer genommen und die Flucht gedeckt.

Brown setzte sich in den Panhandle von Texas ab. In der wilden Cowboy-Stadt Tascosa wurde er zeitweise zum Deputy Sheriff des Oldham County ernannt. Einigen Quellen nennen ihn auch als Marshal von Tascosa. Hier erschoss er einen Mann. Dann zog er nach Oklahoma. Er arbeitete als Cowboy in Kansas und ließ sich im Juli 1882 in der Rinderstadt Caldwell nieder, die – wie Abilene – am Chisholm Trail lag und eine Station am Santa Fe Trail war. Sein Ruf als Polizeibeamter in Tascosa eilte Brown voraus. Er wurde zunächst als Deputy Marshal vereidigt und bereits im November zum City Marshal (Polizeichef) ernannt.

Zeitgenossen beschrieben Brown als relativ kleinwüchsigen Mann, der weder trank noch rauchte, noch Karten spielte. Dafür war er ein frommer Methodist und regelmäßiger Kirchenbesucher. Meist trat er bescheiden auf, aber er verbreitete eine gefährliche Entschlossenheit um sich und ging keinem Kampf aus dem Weg. Er sprach wenig und zeigte nie Furcht. Wenn es zu einer Konfrontation kam, änderte sich seine beherrschte Haltung schnell zu tödlichem Zorn. Ein Zeitgenosse sagte: „Er war ein Two-Gun-Man. Wenn er seine beiden Sechsschüsser zog, begann eine Schlacht.“

Marshal Brown säuberte die wilde Rinderstadt konsequent. Die dankbaren Bürger überreichten ihm eine gravierte und mit Gold und Silber eingelegte Winchester mit einer Medaille im Kolben, auf der es hieß: „Geschenk an City Marshal H. N. Brown für seinen wertvollen Dienst. Die Bürger von Caldwell, Kansas. A. N. Colson, Bürgermeister. Dezember 1882“. Mit diesem Gewehr erschoss Henry Brown im Dezember 1883 den Spieler Newt Boyce. Brown heiratete Alice Maude Levagood, die Tochter eines Ziegeleibesitzers. Die Ratsversammlung von Caldwell nannte ihn den „besten Marshal, den die Stadt je hatte.“ Aus dem armen Waisenjungen und ehemaligen Outlaw war ein geachteter Bürger geworden. Dann kam es zu einer unerwarteten Wende in seinem Leben.

Im April 1884 ritt Brown mit seinem Deputy Ben Wheeler ins Indianerterritorium, um einen gesuchten Mörder zu jagen. Von hier aus kehrten sie mit den beiden Cowboys William Smith und John Wesley nach Kansas zurück – aber nicht nach Caldwell, sondern nach Medicine Lodge. Hier überfielen die vier Männer die „Medicine Valley Bank“. Der Raub scheiterte am Widerstand der Angestellten. Der Bankpräsident Wylie Payne und der Hauptkassierer George Geppert wurden erschossen. Brown und seine Kumpane flüchteten ohne Beute aus der Stadt.

Hinter ihnen bildete sich ein Aufgebot aus 12 Cowboys. Die Banditen wurden nur wenige Meilen südlich der Stadt in einem Canyon gestellt. Vom Gefängnis aus schrieb Brown einen Brief an seine Frau in Caldwell und räumte ein, dass er sich Geld beschaffen wollte, um ihr ein besseres Leben zu finanzieren. Er bereute den Überfall nicht. Er schrieb: „Ich dachte, wir könnten uns das Geld nehmen und damit ein gutes Leben führen. Wir wären nie geschnappt worden, wenn wir nicht hätten eines unserer Pferde aufgeben müssen.“ Brown erwähnte in seinem Brief auch, dass er befürchtete, getötet zu werden.

Es gelang den Banditen, sich von ihren Handschellen zu befreien. Am Abend des 30. April 1884 rottete sich vor dem Gefängnis ein Lynchmob zusammen. Als die Türen aufgebrochen wurden, stürmte Brown auf die völlig überraschte Menge der Bürger zu, durchbrach deren Reihen und rannte die Straße hinunter, um einen Mietstall zu erreichen. Die Männer von Medicine Lodge hasteten hinter ihm her. Einer feuerte mit seiner Schrotflinte. Henry Brown wurde von der Ladung fast zerrissen. Er war sofort tot. Nur 100 m weiter erwischte es Ben Wheeler, der schwer verwundet wurde. Wheeler, Smith und Wesley wurden zu einem Baum geschleppt und nebeneinander aufgehängt. So endete das kurze, wilde Leben von Henry Newton Brown.

Seine Frau, Alice Maude Levagood Brown, verließ Kansas, zog nach Frankfort im Staat Indiana und wurde dort Superintendentin des Palmer-Hospitals. Sie starb im Alter von 74 Jahren am 25. Mai 1935.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2021Die kommende Ausgabe

 

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