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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Benjamin Tyler Henry?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Benjamin Tyler Henry?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Sein Name dürfte in Deutschland erst durch Karl May bekannt geworden sein. In Amerika war er aber als Büchsenmacher und Erfinder im 19. Jahrhundert bedeutend.

In Karl Mays Romanen tauchte der Begriff „Henry-Stutzen“ auf. Zweifellos hatte May über BENJAMIN TYLER HENRY in Zeitungen gelesen. Aber er wusste nichts über dessen Arbeit und schon gar nichts über die Technik des von Henry entwickelten Gewehrs und Repetier-Systems. Was er darüber schrieb, hatte er sich ausgedacht. Viel später erwarb er einen echten „Henry-Stutzen“, der sich heute in der Villa Shatterhand befindet – und der sah natürlich ganz anders aus als in seinen Büchern dargestellt.

Am 22. März 1821 – vor 201 Jahren – wurde BENJAMIN TYLER HENRY geboren. Er war der Erfinder des Henry-Gewehrs, das mit Fug und Recht als erstes gebrauchsfähiges Unterhebel-Repetiergewehr bezeichnet werden kann. Über sein persönliches Leben ist fast nichts bekannt.

Henry stammte aus Claremont im Staat New Hampshire. Nach seiner Schulzeit ging er bei einem Büchsenmacher in die Lehre. Danach wurde er Vorarbeiter in der Waffenfabrik „Robins & Lawrence“ in Vermont. Hier traf er auf Horace Smith und Daniel Wesson, zwei umtriebige Büchsenmacher, mit denen Henry den „Volcanic Repetierer“ entwickelte, eine Art Vorläufer des Henry-Gewehrs. Mit dieser Repetiertechnik gab es auch Pistolen.

1854 fanden Smith und Wesson in dem Investor Courtlandt Palmer einen Finanzier, der ihnen das Geld für neue Maschinen zur Verfügung stellte. Sie richteten in Norwich im Staat Connecticut eine große Werkstatt ein, wo die Volcanic-Repetierpistole für Randfeuerpatronen entstand. Die Kosten waren jedoch höher als erwartet, so dass Smith und Wesson bald mehr Geld benötigten und einen gewissen Oliver Winchester als Partner aufnahmen.

Die Volcanic-Gewehre und -Pistolen basierten im Wesentlichen auf Tyler Henrys Überlegungen, hatten aber noch immer Mängel. Es gab Hülsenklemmer im Repetiersystem. Bei der Munition handelte es sich um eine Art Hohlkörper, in die der Zünder und die Ladung integriert waren.

Henry arbeitete intensiv an der Beseitigung dieser Fehler.

1856 zwang Winchester, der das Potential der neuen Techniken erkannte, die Firma „Volcanic Arms Company“ in die Insolvenz, um die anderen Teilhaber verdrängen und selbst die volle Kontrolle über das Geschäft übernehmen zu können. Er gründete im April 1857 in der Stadt New Haven in Connecticut zunächst die Firma „New Haven Arms Company“, aus der später die „Winchester Repeating Arms Company“ hervorgehen sollte.

Winchester war klug genug, sich weiterhin der Dienste des findigen Benjamin Tyler Henry zu versichern. Henry wurde der erste Chef der Fabrik und beantragte am 16. Oktober 1860 das Patent für sein „Henry Repetiergewehr“ im Kaliber .44 Randfeuer. Die ersten Henry Rifles verließen 1862 die Werkstatt in New Haven.

Zu dieser Zeit tobte der Bürgerkrieg. Die Beschaffungsbehörde der Armee bestellte die ersten Henrys – aber der geschäftliche Erfolg hielt sich in Grenzen. Zum einen waren diese neuen Gewehre relativ teuer, auch die Randfeuerpatronen hatten ihren Preis, zum anderen vertrat die Armee die Meinung, dass Repetiergewehre die Soldaten zur Munitionsverschwendung verleiten würden. (Das war später auch ein Problem für das Spencer-Gewehr.) Die Verkäufe an das Miitär waren daher eher bescheiden.

1864 wurde Tyler Henry immer unzufriedener mit den wirtschaftlichen Bedingungen. Er glaubte, dass Oliver Winchester nicht ehrlich zu ihm war und ihm einen angemessenen Anteil an den Verkäufen der Gewehre vorenthielt.

Der Streit zwischen den beiden Männern gipfelte darin, dass Henry eine Klage gegen Winchester einreichte und die Übergabe der „New Haven Arms Company“ an ihn verlangte, weil die gesamte Produktion auf seinen Patenten beruhte. Er richtete sogar eine Petition an das Parlament von Connecticut und verlangte ein Gesetz, dass ihm das Eigentumsrecht an der Firma übertragen sollte.

Oliver Winchester reorganisierte die Firma daraufhin, stellte andere Büchsenmacher ein, die das Design der Henry-Gewehre veränderten und nannte die Waffe „Winchester 1866“. Technisch basierte das Gewehr noch immer auf den Henry-Patenten, aber es erhielt ein etwas anderes Aussehen und ein neues Röhrenmagazin, sowie den seitlichen Ladeschlitz, um sich vom Henry-Patent zu unterscheiden. Damit wurden Henrys Forderungen gerichtlich abgewiesen. Die Modifizierungen wurden von dem Ingenieur Nelson King entwickelt, der damit die Henry-Erfindungen unterlief.

Zwischen Benjamin Tyler Henry und Oliver Winchester kam es damit zum endgültigen Bruch. Henry eröffnete seine eigene Büchsenmacherwerkstatt, wo er individuelle Waffen herstellte. Der geniale Erfinder betrieb dieses kleine Geschäft bis zu seinem Tod am 8. Juni 1898, während die Winchester-Waffen – die auf seinen Überlegungen beruhten – einen Siegeszug um die Welt antraten und im Volksmund zu den Gewehren gehörten, „die den Westen gewannen“. Genau wie „Colt“ ein umgangssprachlicher Begriff für einen Revolver wurde, wurde „Winchester“ zu einem festen Begriff für Repetiergewehre, obwohl Oliver Winchester nie ein Gewehr konstruiert hatte. Winchester war Geschäftsmann und Politiker (zeitweise stellvertretender Gouverneur von Connecticut). Er war kein Erfinder..

Der Name „Henry“ wurde zu einer Art „Fußnote“. Die Geschichtsschreibung kann sehr ungerecht sein.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

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