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Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland

Der Transsibirienexpress ist eines der großen Mysterien seiner Zeit. 1880 berichtet Valentin Rostow in seinem Handbuch als Erster über die Reise mit dem Transsibirienexpress auf seinem Weg durch das Ödland.

Er war an Bord des Zuges, als dieser am ersten Jahrestag seiner Streckeneröffnung von Peking nach Moskau unternahm.

Wer sich auf den Weg von Peking nach Moskau mit dem Zug macht, legt sechstausend Kilometer zurück, einen großen Teil davon durch das Ödland.

Das Ödland ist eine riesige Wildnis, die verlassen ist (oder zu sein scheint), die voller seltsamer Naturereignisse ist. So sehr, dass es konkrete Gefährdung für das Wohl der Passagiere gibt. Die Wagen werden an der Zufahrtsschleuse versiegelt, der Zug durchquert ein stabiles Tor in einer Mauer und ist dann auf sich gestellt, bis er auf der anderen Seite des Ödlandes wieder eine Mauer trifft, diese durchquert und dann überprüft wird, ob der Zug evtl im Ödland etwas "aufgegabelt" hat.

Insgesamt besteht der riesige Zug aus 22 Wagen, mit dem Kohle- und Wassertender direkt hinter der Lok, gefolgt von Lager- und Gartenwagen, in dem auch Hühner gehalten werden. Es folgen die notwendigen Wagen für den Captain und die Crew, dann die Wagen der dritten Klasse. Bis dann nach den Wagen der ersten Klasse noch der Salon folgen und - ganz wichtig - das Labor des Kartographen mit seinem Aussichtsturm, von dem die Wachen des Zuges die Situation außerhalb des Zuges beobachten, und der fast gläserne Aussichtswagen für die Passagiere.

Die Fahrt dauert insgesamt ca 20 Tage, während des größten Teils der Zeit ist der Zug auf sich allein gestellt und auf dem einzigen Gleis durch das Ödland unterwegs. Um die Passagiere vor den Auswüchsen des Ödlandes zu schützen, ist der Zug wie gesagt verschlossen, die Reisenden dürfen im Ödland den Zug nicht verlassen. Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen ist es jedoch möglich, von dem sogenannten "Ödlandweh" ergriffen zu werden, einer mysteriösen körperlichen und seelischen Krankheit, die man versucht an Bord des Zuges in der Krankenstation zu behandeln. Man soll nicht zu lange aus dem Fenster schauen, sich nicht (zu sehr) auf das konzentrieren, was man da draußen zu sehen glaubt.

Als der Zug 1899 zu einer erneuten Fahrt ab Peking aufbricht, ist es die erste Fahrt nach einem größeren Zwischenfall, bei dem das Glas einzelner Fenster gebrochen ist, Auswüchse des Ödlands eindringen konnten, und es beinahe zur großen Katastrophe gekommen wäre.

An Bord dieses Zuges befindet sich während dieser Reise die unterschiedlichsten Passagiere: Vor allem in der ersten Klasse tummeln sich Neugierige aller Altersgruppen, die sich von dem Nervenkitzel der Reise in dem Zug mitreißen lassen wollen, darunter eine Witwe, eine ältere Dame der besseren Gesellschaft und ein Naturforscher, der in Ungnade gefallen ist. 

Gemeinsam mit ihnen an Bord ist natürlich eine große Crew, die sich vor allem um den Zug und die Passagiere der ersten Klasse kümmern sollen, Stewards, Köche, Zugbegleiter.

Der Captain, der Führer des Zuges, soll selbst aus dem Ödland stammen ...

"(...) Eins jedoch scheint sicher zu sein, nämlich dass ihre Familie aus dem Landstrich stammt, der jetzt direkt hinter der Mauer liegt; dass sie dort ihr Vieh geweidet und ihre Pferde geritten haben, bis die Veränderungen begannen und sie von dort vertrieben wurden. Die Haut ihrer Tiere wurde durchsichtig, Vögel fielen vom Himmel, Sämlinge schossen aus dem Boden, so schnell, dass man seinen Augen nicht traute, und brachten fremdartige Blätter hervor. (...)"

Zu der Crew des Zuges gehört die Waise Weiwei, die im Zug geboren wurde, während ihre Mutter direkt nach der Geburt starb, und seitdem eine Art Glücksbringer ist. Inzwischen ein junges Mädchen, huscht sie durch den Zug, von Wagen zu Wagen, und erfüllt die kleinen, notwendigen Aufgaben, passt immer auch ein wenig auf die Passagiere auf und kennt alle Mitarbeiter der Crew. Sie entdeckt, dass sich eine blinde Passagierin an Bord geschmuggelt hat und muss sich entscheiden, ob sie das Mädchen meldet oder sie versteckt.

Immer mehr Veränderungen treten auf, die nicht alle sogleich bemerken. Jedoch greift Nervosität um sich ... was hat das zu bedeuten? Die Katastrophe, der Einbruch des Ödlandes in den Zug, scheint unausweichlich.

Das Buch von Sarah Brooks hat mich wirklich mitgenommen. Ich habe es von der ersten bis zur letzten Seite genossen und kann es nur empfehlen, wenn man ein Faible für ungewöhnliche Fantasy und die Zeit der Jahrhundertwende hat. Es ist ein in sich abgeschlossener Roman, sogar der Erstling der Autorin, und hat gleich großes Interesse und Begeisterung ausgelöst.

Verwirrt - im besten Sinn - hat mich das Ende, mit dem ich in der Form überhaupt nicht gerechnet hatte, aber das im Verlauf der Geschichte eigentlich das einzig sinnvolle Ende darstellt. Ich bin mir immer noch unschlüssig, ob ich es wirklich gut finde, oder ob es besser gewesen wäre, im Kosmos der Geschichte zu bleiben ... es fällt mir schwer mehr darüber zu schreiben, ohne zu viel vom Ende zu verraten.

Ich habe das Buch sehr genossen und war richtiggehend enttäuscht, dass das Ende weitere Romane eher unwahrscheinlich machen wird. 

 

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
von Sarah Brooks
Verlag: C. Bertelsmann
Hardcover, Pappband mit Schutzumschlag
416 Seiten, 13,5x21,5cm
Erschienen: 24.07.2024
ISBN: 978-3-570-10500-9
Ausgabe: Deutsche Erstausgabe

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