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Die Muse im Allgäu, Mark Twain und Kaugummi - Juni/Juli 2014

Auf eine Mail mit Uschi ZietschDie Muse im Allgäu, ...
... Mark Twain und Kaugummi

Im Juni haben wir eine vorgezogene Sommerpause eingelegt, daher gibt es heute eine extralange Doppelausgabe unserer Kolumne.

Uschi erzählt, was sie in den letzten zwei Monaten mit ihrer Bleibe angestellt hat und was sie von Mark Twain hält. Und ganz am Schluss reden wir noch über Kaugummipapier und ein besonderes Jubiläum.


Andreas
: Während unserer vorgezogenen Sommerpause habe ich an der Ostsee Urlaub gemacht, während du wesentlich fleißiger warst und dein Domizil renoviert hast. Du wohnst und arbeitest in einem Bauernhof mit Mann, Hunden und Pferden. Habt ihr bewusst diesen Ort wegen deines Berufs ausgesucht oder war das unabhängig davon euer Traum?
Uschi:
Dass wir hier im Allgäu gelandet sind, war tatsächlich reiner Zufall. An und für sich haben wir schon Anfang der 90er nach einem kleinen Domizil auf dem Land gesucht, aber die Preise für noch dazu heruntergekommene Höfe waren damals so lachhaft überzogen, dass wir dann andere Prioritäten gesetzt haben, eine kleine Wohnung in Königsbrunn bei Augsburg fanden und München doch verlassen konnten. Als ich dann neben dem Reisen mit dem Reiten anfing, erwuchs unser eigentlicher Traum, nach Andalusien auszuwandern, was aber wegen unserer Arbeit, ich stand damals ja auch noch in Knechtschaft, nicht so schnell umsetzbar war, sondern quasi für die Rente angedacht wurde. Wir haben also nicht mehr weiter in Deutschland gesucht – bis mir 2004 die Anzeige für unseren jetzigen Hof ins Auge sprang; es musste wohl so sein, denn das Haus hat über ein Jahr auf uns gewartet. Schon bei der Anfahrt habe ich sofort gesehen: das ist es. Hier können wir alle einschließlich der Pferde einziehen. Dann war allerdings noch die Frage, wie es bei meinem Mann mit der Arbeit ginge, denn ich war ja nunmehr längst freiberuflich und örtlich ungebunden, aber bei ihm war das noch anders, und er ging zudem schon so langsam auf die 50 zu. Also habe ich eine ganze Nacht lang herumgerechnet, Kosten verglichen und festgestellt: Es ist machbar, insofern er die Fahrtstrecke auf sich nimmt, und das war es ihm zum Glück wert.
Hinzu kam, dass die Gegend hier perfekt für Spazierenreiter im Gelände ist, man kann Stunden unterwegs sein, zur idyllischen Katzbruimühle auf ein Bier reiten oder sogar die Tasche für einige Tage packen, weil es Wanderreitstationen gibt. Da haben wir gar nicht mehr lange überlegt, sondern sofort zugegriffen, und heute kann ich sagen: ich bin angekommen und es ist mein Traum..

Andreas:  Bist du zufrieden mit der Renovierung? Und hast du hoffentlich dabei nicht deine Muse vertrieben?
UschiOh nein, die Muse hat trotzdem noch genug zu tun gehabt, ebenso die Verlegerin, und was sonst noch alles getan werden musste. Die Renovierung konnte nur „nebenher“ laufen, und just vor einer Stunde (29.6., 17:00 Uhr) bin ich mit den letzten Arbeiten fertig geworden und tanze im Geiste auf dem Tisch, während ich brav deine Fragen beantworte, damit die Kolumne nicht noch mal ausfällt. :-) Wir renovieren ja schon seit Jahren so nach und nach, aber aktuell die Wände und Decken der 5 Zimmer neu zu machen, das war wirklich das Schlimmste. Vor allem mussten aus meinem Büro 3000 Bücher raus (zum Glück nicht alle, das fest installierte Buchregal wurde nicht angerührt). Als Letztes war das Schlafzimmer dran, was 1 Woche Schlafen im Wohnzimmer bedeutet hat. Aber nun ist das Chaos endlich vorüber. Es gibt natürlich noch einiges zu tun, aber das erledigen dann die Handwerker. Ich freue mich sehr und bin glücklich, wie schön jetzt alles ist. Da macht das Schreiben/Arbeiten noch mal so viel Spaß. Nun kann ich wieder gestärkt und intensiv ans Schreiben gehen.
Andreas: Bereits vor meinem Urlaub wollte ich dich nach Mark Twain fragen, da ich weiß, dass du ihn schätzt. Er ist einer der wenigen Autoren, die auch mehr als 100 Jahre nach ihrem Tod noch oft gelesen werden. Selbst jetzt an der Ostseeküste bin ich mehrere Male über ihn gestolpert in Form seiner Bücher über Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Wir kennen ihn hauptsächlich als Autor dieser Geschichten, aber er war und ist viel mehr, oder?
Uschi: Oh ja, da er ein sehr gewissenhafter scharfäugiger Beobachter war und zudem viel auf Reisen unterwegs, veröffentlichte er nicht minder scharfzüngige Berichte unter anderem für die Zeitung seines Bruders. Er reiste auch lange durch Deutschland und hat seine Beobachtungen, insbesondere in Hinblick auf die deutsche Sprache, sehr detailliert, manchmal durchaus boshaft und überzogen, aber dennoch liebevoll analysiert und dadurch, weil wie gewohnt großartig und sehr humorvoll geschrieben, mit Genuss zu lesen in einigen Aufsätzen niedergelegt. (Ja, er hat freiwillig Deutsch gelernt und meines Wissens auch ein paar Sachen ins Englische übersetzt.) Er war mehrmals, sogar Jahre hindurch, in Europa unterwegs und fühlte sich, was Deutschland betraf, vor allem in Heidelberg wohl. Er hätte natürlich nicht so viel in Abenteuer verpackte (zumeist zur Publikation zensierte) Gesellschaftskritik erzählen können, wenn er nicht selbst ein Abenteurer gewesen wäre – Lotse auf Mississippi-Dampfern, woraus wohl sein Künstlername „Mark Twain“ entstand, da er ja eigentlich Samuel Langhorne Clemens hieß, Soldat im Sezessionskrieg, Reporter, politisch Aktiver; also irgendwie immer unterwegs und mittendrin. Er konnte vortreffliche Bonmots von sich geben (das berühmteste ist sicherlich „der Bericht über meinen Tod war eine Übertreibung“; der Widerruf seines Todes kostete ihn allerdings einiges an Geld, weil der Zeitungsverleger eisern daran festhielt, seine Zeitung berichte nun mal immer die Wahrheit) und besaß Witz und einen scharfen Menschenverstand. Stets nahm er gesellschaftliche Missstände aufs satirische Korn.
Eine Zeitlang, da er wie die meisten von uns reich und berühmt werden wollte, war er ein erfolgreicher Geschäftsmann, bevor die Firma bankrott ging, und er wurde zudem von vielen Schicksalsschlägen gebeutelt. Das verarbeitete er natürlich auch in seinem Werk, das dadurch viel an Atmosphäre gewinnt.
Also in jedem Fall war er ein durchwegs interessanter Zeitgeist, der die USA durch seinen schriftstellerischen wie politischen Einsatz entscheidend mitgeprägt hat; natürlich, wie alle Künstler seiner Art, war er nicht unumstritten, aber von meiner heutigen Warte aus betrachtet war er einer der ganz Großen, dem ich schon mal gern die Hand geschüttelt hätte.
Neil Gaiman hat ihn übrigens im Sandman gewürdigt, und auch bei Star Trek Next Generation gab es eine Hommage an ihn.
Andreas: Ja, ich erinnere mich gerne an die Next-Generation-Folge, Time’s Arrow hieß sie. Wo wir vom Reisen sprechen: Im Urlaub führe ich penibel ein Tagebuch. Was ich schreibe, das bleibt ... mir in Erinnerung. Das hat auch einen schönen Nebeneffekt: Während ich zu Hause mühselig nach Ideen für neue Geschichten schürfen muss wie im Bergbau, fallen sie mir im Urlaub regelrecht in den Schoß. Geht dir das ähnlich?
Uschi: Ja, und ob, denn man erhält ja viele fremde Reize, die unwillkürlich den Inspirationsmotor in Gang setzen und die kleinen Hirnrädchen zum Rotieren bringen. Dadurch, dass man nicht auf die Arbeit konzentriert ist und so gut wie keine Ablenkung hat, bekommen die Ideen Gelegenheit, herbeizuspazieren und sich zu entfalten, ohne dass sie zurückgedrängt werden müssen, weil man dies und das und jenes gerade zu tun und keine Zeit für solche Spintisierereien hat.
Ich habe früher, in der analogen Zeit, immer Reiseberichte verfasst, die ich dann zu den Bildern im Fotoalbum geklebt habe. Damit ist's nun vorbei, weil ich es einfach nicht schaffe, Fotobücher anzulegen. Aber besondere Eindrücke notiere ich auch weiterhin; und einmal musste ein Kaugummipapier für eine Idee herhalten, weil gerade nichts anderes greifbar war.

Kaum zu glauben, in 4 Monaten werden wir 50! Oder genauer gesagt: Im November feiern wir unsere 50. Kolumne! Unter allen Lesern, die ab heute bis einschließlich November einen Kommentar zu unserer Kolumne posten, verlosen wir anlässlich dieses Jubiläums ein Dankeschön. Macht mit und lasst euch überraschen!

Kommentare  

#1 RoM 2014-07-13 12:22
Servus, Andi.
Apologeten des reinen Zynismus' äußern gern ihr Mantra, daß Literatur nichts zu einem Besseren zu verändern vermag. Eine Sicht, vermutlich dem Blick auf das 50/50-Wasserglas geschuldet.
Ich denke Literatur bringt Menschen auch dem positiven Gedanken näher, befördert individuelle Einstellungen, verweist auf den pain in the ass.

Nicht von der Hand zu weisen ist wohl, daß Mark Twain das Staaten-Pendant zu Charles Dickens ist.

bonté

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