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Wer liest mehr Bücher? Frauen oder Männer? Und wer schreibt häufiger? - August 2014

Auf eine Mail mit Uschi ZietschWer liest mehr Bücher? Frauen oder Männer? 
Und wer schreibt häufiger?

Gleich am Anfang stelle ich Uschi Zietsch eine sehr epische Frage und erwarte von ihr, sie eben schnell in einer Mail zu beantworten. Es geht um nicht weniger als die Geschlechterverteilung beim Schreiben. Und dann sprechen wir auch noch über die verschiedenen Typen von angehenden Schriftstellern und so ganz nebenbei über Tucholsky. Na ja, worüber man halt so eben mal plaudert ...


Andreas
: Während deutlich mehr Frauen als Männer lesen, scheint es beim Schreiben ausgewogener oder sogar eher umgekehrt zu sein. Vielleicht mit Ausnahme der Kinderliteratur, da tummeln sich viele Frauen. Kommt „Schreiben wollen“ nicht von „Lesen mögen“? Haben einfach mehr Männer als Frauen Geltungsbewusstsein? Haben Frauen geringere Chancen auf Veröffentlichung? Oder wird die Sicht durch Bestseller-Statistiken verzerrt?
Uschi:
Au Backe, Andi, das ist aber ein weites Feld, das du da gesteckt hast! Dafür reicht eine Monatskolumne ja gar nicht aus ... und ich denke auch, dass es da ausführlicher Untersuchungen bedarf, um genaue Rückschlüsse ziehen zu können, weil viele Einflüsse dabei eine Rolle spielen – historische und gesellschaftliche allen voraus.
Vor dem zwanzigsten Jahrhundert gab es natürlich wenige weibliche Schriftsteller (immer auf westliche Literatur bezogen), weil die Frau auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter reduziert war. Sie durfte offiziell im öffentlichen Leben keine Rolle spielen, hatte nur begrenzte Möglichkeiten, einen eigenen Beruf auszuüben und sich selbst zu ernähren. Höchstens Frauen der gehobenen Schichten hatten die Zeit und die Möglichkeit, zu schreiben, oder sie verlegten sich darauf, Künstler um sich zu scharen und diese zu unterstützen. Die Veröffentlichungsmöglichkeiten, wenn es denn einmal soweit war, dass ein Buch, Lyrik oder Prosa, vollendet war, waren denkbar gering. Wie für die meisten Autoren, die männlichen nicht weniger, und nicht wenige mussten den Erstdruck selbst finanzieren.
Geht man dann ins 20. Jahrhundert in den Bereich der Science Fiction, so war es dort allerdings in den Anfängen zunächst geradezu ausgeschlossen, als Frau publiziert zu werden. Weil Gefühle in der SF nichts verloren haben und Frauen ja nur Romanzen schreiben können. Ganz schlimme Vorurteile ausgerechnet in diesem Bereich, wo über zukünftige Gleichberechtigung in der Gesellschaft spintisiert wurde, von Raumschiffkommandantinnen erzählt, und so weiter. James Tiptree jr. hat es ihnen allen gezeigt, und zwar so sehr, dass nicht wenige Autorenkollegen felsenfest davon überzeugt waren, hinter diesem Pseudonym könne nur ein Mann stecken, weil eine Frau nicht so schreiben könne.
Es gab also früher wirklich sehr viele Hürden für Frauen zu publizieren, aber das ist heutzutage nicht mehr der Fall. Meiner Erfahrung nach spielt das Geschlecht bei der Auswahl eines Titels heutzutage keine Rolle mehr. Das Buch wird genommen oder nicht, und es gibt nicht wenige Frauen, die in den Bestsellerlisten stehen. Dass das Verhältnis unausgewogen erscheint, ist meiner Ansicht nach nur ein verzerrter Eindruck und entspricht nicht den Tatsachen, da nicht alle Verlage ihre Auflagenhöhen melden und es dadurch „heimliche“ Bestseller gibt, die nie auf den Listen erscheinen.

Andreas:  Du hast schon viele Schreibseminare geleitet. Gibt es typische Charaktere, die sich zum Autoren berufen fühlen?
Uschi: Es gibt eine schier unbegrenzte Vielfalt, woraus der Wille zum Schreiben entsteht, und noch mehr Motivationen, damit nicht nur zu beginnen, sondern auch etwas zu Ende zu bringen. Angefangen bei der Vergangenheitsbewältigung, Geschichten, die man Kindern erzählen möchte, zu den Geschichten, die man selbst gern lesen möchte. Und dazu noch die Fanfiction, aus der dann mal ein „richtiges“ Buch geboren werden soll, und Geschichten zu den vielen Games ... nein, es gibt da keinerlei Merkmal, anhand dessen man sagen könnte: Hätt’ ich gleich gewusst, dass der/die Schriftsteller ist/werden will. Weder das Alter noch die Schicht oder die Bildung spielt eine Rolle. Höchstens vereint alle, dass sie Bücher lieben, aber nicht einmal da bin ich mir sicher, ob das auf alle zutrifft.
Da fällt mir ein kleines Bonmot von Tucholsky ein, das habe ich vor Jahrzehnten mal gelesen, und das ging ungefähr so: „Sie fragen mich, was ich lese? Ich lese doch nicht! Ich schreibe schließlich selbst.“ Das hat er natürlich nicht ernst gemeint, denn als Journalist und Rezensent hat er nicht nur viel geschrieben, sondern auch viel gelesen. Aber das hat mir so gut gefallen, dass es mir im Gedächtnis geblieben ist.

Andreas: Angeblich werden weniger Bücher gelesen. Sind die Zahlen bei denen, die ein Buch schreiben wollen, auch rückläufig?
Uschi: Nö. Und zwar gilt das für beides. Weniger Bücher gelesen? Dass ich nicht lache. Seit den eBooks nimmt das Leseverlangen wieder deutlich zu. Klar spricht man von Rückläufigkeit, wenn bei der ständig steigenden Veröffentlichungsmenge der Absatz zu sinken scheint, aber der verschiebt und verteilt sich einfach nur, denn die Käufer können nun einmal nicht diese Massen an Lesestoff bewältigen, selbst wenn sie Viel- und Schnellleser sind.
Diese Klage, dass nicht mehr gelesen wird, ist eine Jammerei, die es schon gibt, seit Bücher gedruckt werden. Millionenauflagen der Bestseller sprechen da eine andere Sprache.
Und durch die Möglichkeiten des einfachen, kostengünstigen Selfpublishing steigt ebenso die Zahl derjenigen, die nicht nur im stillen Kämmerlein schreiben, sondern auch veröffentlichen, ohne Verlagshürden nehmen zu müssen.
Also, wir können getrost davon ausgehen, dass das Buch trotz aller Unkenrufe und Konkurrenz durch Unmengen an sonstigen Freizeitmöglichkeiten uns noch eine ganze Weile erhalten bleiben wird. Und jemanden, der ein Buch schreibt, den wird es ohnehin immer geben.

Andreas:Vielen Dank. Und vielleicht greifen wir demnächst einen Aspekt meiner epischen ersten Frage noch einmal auf ... und fassen den Rahmen dieses Mal etwas kleiner. An dieser Stelle möchte ich gerne alle Leser an unseren Countdown bis November erinnern: An alle, die bis dahin einen Kommentar zu einer unserer Kolumnen abgegeben haben, verlosen wir eine Überraschung. Viel Glück!

Kommentare  

#1 RoM 2014-08-03 16:34
Salut, Andreas.
Inflexibilität in der Vorstellungskraft ist für Schriftsteller ein selbstgewähltes Hindernis; für SF-Autoren ein Armutszeugnis.
So betrachhtet hat Alice B. Sheldon den alten Herren eine ordentliche Nase gedreht.

bonté

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