Eine wahre Geschichte – Frei erfunden und erlogen? (Februar 2015)
Aber ist es denn wirklich passiert? Oder ist das nur ein Etikettenschwindel, weil die Wahrheit stark verbogen wird, um eben einen spannenden Film zu ergeben? Wir diskutieren das heute anhand des Films „The Imitation Game“. Dabei erfahren wir auch, welcher andere Film Uschi Zietsch in diesem Zusammenhang auf die Palme bringt!
: Nun, es heißt ja, dass der Film auf wahren Begebenheiten beruht. Das bedeutet nicht automatisch, dass er authentisch ist. Ich habe ihn nicht gesehen, aber da du sagst, dass der dargestellte Alan Turing nicht den Tatsachen entspricht, hat man sich bei den „wahren Begebenheiten“ wohl auf die zwei Thematiken bezogen, die Dechiffrierung und die Strafbarkeit der Homosexualität. Das scheinen mir nach allem, was ich bisher darüber gelesen habe, die Zentralthemen zu sein. Und diese wurden dann mit künstlerischen Mitteln ausgeschmückt.
Was nicht unbedingt heißt, dass der Film dadurch gelungen ist, weil er durch den Hinweis auf die reale Person, um die sich alles dreht, den Eindruck der Authentizität erweckt. Deine Kritik teilen übrigens viele, wie ich mitbekommen habe, und ehrlich gesagt, ist das für mich ein Grund, den Film nicht anzusehen, weil ich mich darüber ärgern würde. (Mal abgesehen von Keira Knightley, die ich einfach nicht abkann, egal, wie viel Mühe sie sich gibt.)
Aber es ist doch so: Handelt es sich bei der Hauptperson um jemanden, der real existiert hat, erwartet man natürlich schon eine gewisse Authentizität, um sich ein Bild machen zu können. Stimmt dieses Bild filmisch nicht mit der Realität überein (von den einen oder anderen dezenten Interpretationen abgesehen, die sind im geringen Maße erlaubt), dann haben wir es nicht mit „beruht auf“, sondern „inspiriert von“ zu tun und ein vollkommen fiktives Werk mit realen Themen, aber einer fiktiven Hauptperson.
Es wird hier also ein Bezug zur Historie vorgegaukelt, was berechtigte Erwartungen erweckt, und am Ende stellt sich heraus: ist ja Lüge! Das hat mit künstlerischer Freiheit nichts zu tun, dann muss man das ganze anders deklarieren. Vielleicht weil man Preise einheimsen will, „schummelt man eben ein bisschen“ und biegt alles passend hin.
Exkurs: Das war übrigens genau das, was mich an „300“ so auf die Palme gebracht hat. Frank Miller tut so, als würde er eine historische Begebenheit nacherzählen, was aber bis ins letzte Detail kompletter Schwachsinn ist, einschließlich des merkwürdigen riesigen kreisrunden Lochs in einem Dorf und eines Perserkönigs, der so gar nie nicht niemals ausgesehen haben kann. Natürlich ist die Action toll gemacht, und das Testosteron quillt aus allen Poren. Wäre es als pure Fantasy deklariert worden, hätte ich mich bestens amüsiert. Aber allein mit den Nennungen der Spartiaten, des Königs Leonidas und so weiter, was einschließlich der Lebensweise und der Klamotten alles völlig falsch dargestellt wurde, kann ich mich nicht einfach entspannt zurücklehnen, sondern ärgere mich pausenlos, weil „so war das nicht!“ Will ich was Historisches machen, halte ich mich an Fakten, oder ich lasse es bleiben.
Abgesehen davon muss man natürlich genauso beim Film wie beim Buch differenzieren zwischen Dokumentation (Sachbuch) und Spielfilm (Roman), und dann gibt es noch die Spielfilm-Dokus wie von Kathryn Bigelow, die dieses Genre beherrscht wie sonst niemand. Wir wissen, es sind Schauspieler, es wird nach Drehbuch agiert, doch die Darsteller spielen eine reale Begebenheit authentisch nach, und so fiebern wir mit und empfinden eine unerträgliche Spannung, selbst wenn wir den Ausgang schon kennen, ohne dass die üblichen Mittel von Action und Drama eingesetzt werden müssen. Dies gelingt ab und zu auch mal in Büchern. Salman Rushdie hat das in seiner aktuellen Autobiographie versucht und dazu, um alles richtig zu machen (oder sich von sich selbst zu distanzieren?) das Stilmittel der dritten Person gewählt, doch sein erzählerisches Talent konnte sich nicht wirklich mit einem „Biopic“ verbinden. Es ist eine sehr schwere Disziplin.
Bill Bryson hingegen ist so einer, kein Romancier, sondern der geborene populärwissenschaftliche Unterhalter, der Tatsachen und staubtrockene Informationen derart aufbereitet, dass man lacht, zu Tode betrübt ist, alles vor sich sieht, dabei ist. Sicherlich verwendet er dabei auch dramaturgische Kniffe à la „so war das in Wirklichkeit nicht, sondern eigentlich ganz banal“, aber das spielt keine Rolle, solange der reale Hintergrund und „der Lexikoneintrag“ sachlich richtig sind. Und solange es so hätte stattfinden können.
Um also zu beantworten, ob der Zweck die Mittel rechtfertigt, so war hier wohl der Zweck, für Golden Globes, Oscar oder was auch immer nominiert zu werden, und nein, gerechtfertigt ist es so nicht.
: JUuuuhhh, ich weiß nicht, ob ich mich auf dieses Eis hinaus wage. :-) Das ist natürlich ein jahrzehntelanges, unerschöpfliches, immer aufs Neue brisantes und provokantes Thema.
Ich beantworte den letzten Satz deiner Frage jetzt einfach mit einem ganz klaren „ja!“ und füge ein kleines „aber“ hinzu. Und das „aber“ heißt: In welcher deutschen Produktion ist denn ein E enthalten?
Aber betrachten wir mal die verschiedenen Seiten.
Das Volk der Dichter und Denker hat nicht einfach so Spaß, sondern muss intellektuell sein. Meint das Feuilleton, das niemals im 21. Jahrhundert ankommen wird.
Meinen skurrilerweise auch die Programmmacher, auch wenn sie gleichzeitig Shows wie „Dschungelcamp“ und andere Vorführ-Demütigungen en masse unters Volk bringen.
Gemacht ist alles gleich schlecht, gestelzt und unnatürlich, es wird vor allem nichts dem Zufall überlassen, sondern alles geschieht genau nach Drehbuch. Weil jeder, der gerade einen schwachsinnigen Dialog für die nächste „Verbotene Liebe in der Lindenstraße nachts im Großstadt-Revier“ schreibt, immer den drohenden Zeigefinger über sich schweben hat, dass er gefälligst auch ein „E“ reinbringen muss, weil er einen Bildungsauftrag hat, und weil der Deutsche nichts ohne Sinn und Zweck und Ertrag macht.
Merkt man ja an den öden Radiosendern, die wegen des Bildungsauftrags von 60 Minuten 45 Minuten lang quatschen, mit peinlicher Eigenwerbung, permanenter Wiederholung von drögen Ausschnitten uninteressanter Morning-Shows, mit Zuhörern telefonieren, mit Geld um sich schmeißen („wir zahlen Ihre Rechnung“), das sie von unserer Zwangsabgabe und Werbung erhalten, und so viel Schwachfug mehr, dass ich vermutlich allein mit den Begriffen als Volumen einen Roman zusammenbringen würde. Musik? Pah, Nebensache. Und dabei bekomme ich den Quatsch nur im Auto mit, zu Hause habe ich seit über 20 Jahren kein Radio mehr. Leider ist mein CD-Anschluss des sehr alten Gerätes im sehr alten Auto kaputt, sonst würde ich nicht mal das mitbekommen. Ach ja, aber dann fehlt nur noch der Herr Seitenbacher, und das ist dann doch der Moment, wo ich ausschalte, wer braucht schon den Verkehrsfunk, dann steh ich lieber im Stau. Also der Verkehrsfunk, der wäre dann das E im Radio.
Sorry, nun habe ich mich doch verrannt, aber das musste grad raus. Ende des Exkurses.
Dem Großteil der Zuschauer ist das E schnurz. Die wollen unterhalten werden, und zwar vom Fernsehen. (Und recht haben sie ja gewissermaßen, aber so wie heutzutage muss es doch nicht sein, oder?) Fernsehen muss daher kein Niveau mehr haben, es muss entspannen und wegführen und zufriedenstellen, mit Sport, Shows, scheinbar intellektuellen Diskussions-Runden, Telenovelas und Kurzkrimis. Ein schlechtes Gewissen hat eben keiner mehr, wenn das E fehlt, weil es ja schon lange abgeschafft ist. Denn Fernsehen gilt heutzutage nicht mehr als faulenzerische Sünde, also kann alles ausgestrahlt werden, was die Sendezeit füllt.
Es gibt natürlich auch gutes Zeugs, das jede Menge U und E enthält, und das nicht nur zur Befriedigung des schlechten Gewissens, etwas Sinnvolles tun zu müssen, sondern auch des Genusses wegen. Und der Belehrung vielleicht auch. (Das ist ein abgewandeltes Zitat von Karl Kraus: „Mit Genuss und Belehrung zu lesen.“) Das gute Zeugs, das ich mir – wenn ich es zeitlich schaffe – anschaue, das kommt allerdings nicht aus Deutschland ...
Kommentare
Speziell für den Filmmarkt in den Staaten wird ja gern in die Kitschliste gegriffen, um dem Pathos einer "realen" Story den Zuckerschock zu verpassen. Was Wunder wenn es da plötzlich US-Leichtmatrosen sind, die eine Enigma-Maschine als erste erbeuten können ('U-571').
Was die Reduktion der Teamleistung in Bletchley Park angeht, so ging man/frau bei der Co-Produktion wohl von dem skurilen Grundsatz (!) aus, das Kinopublikum nicht zu verwirren, oder zum Mitdenken zu nötigen.
Das eigentlich perfide an '300' ist, daß spartanische "Tugenden" auf ein Podest gestellt & die Jungs als "Freiheitsgötter" verherrlicht werden. No way!
Einmal abgesehen davon, daß sich Leonidas selbst widerspricht, wenn er die Phalanx zum Absolutum erklärt (dem designierten Verräter), selbst aber bei erster Gelegenheit, zum Heldenposen, aus ihr hüpft.
Das dreiste Oscar-Geschiele hat noch keinem Film zur Perfektion gereicht. Als Auszeichnung eh irrelevant, da das Geschachere im offenen Hintergrund eher an Borgias Wahl zum Pabst erinnert.
bonté
Scheint mir bereits der zweite Kommentar zu sein, den die Sicherheitsabfrage gefressen hat... :-(
bonté
Arbeitet Deine Spam-Abwehr mit Zeitpuffer, oder stelle ich mich nur blöd an?
Diolch yn fawr jedenfalls. Dachte schon, daß die Zeilen umsonst getippt waren.
bonté
Gut zu wissen, daß der Benimm-Filter analog arbeitet. Sympathisch.
Sorry fürs "Quengeln"!
bonté
Wahre Begebenheiten authentisch zu erzählen, ist eben eine Sache. Sie so zu erzählen, dass es für Leser oder Zuschauer auch interessant ist, sieht schon manchmal ganz anders aus. Im wahren Leben bleibt manchmal das Happy End auf der Strecke, die Menschen haben ihre Macken, sind nicht alle strahlend schön, und sie müssen sich einen großen Teil ihrer Zeit mit nervenzermübenden Alltagssorgen herumplagen. Das will kein anderer sehen oder hören. Oder will der Zuschauer etwa zwei Folgen á 30 Minuten lang zugucken, wie Mutter Beimer einen Korb Wäsche bügelt und zusammenfaltet? Da muss doch mehr passieren, auch wenn die Arbeit mit der Wäsche nun mal zum echten Leben dazugehört.
Wenn man eine Geschichte nach einer wahren Begebenheit erzählt, sollte das auch einigermaßen stimmen. Diesen Anspruch habe ich jedenfalls, sonst fühle ich mich verarscht. Bei historischen Ereignissen, die schon lange zurückliegen, gibt es oft auch Wissenslücken, die auch die Forschung noch nicht füllen konnte. Das zwingt zu Interpretationen, aber dann will ich als Leser auch zumindest im Anhang erfahren, was gesichert ist und was sich der Autor ausgedacht hat.
@Kerstin: Als ich von einem Spiegel der Nation bei Lindenstraße, Tatort & Co. schrieb, hätte ich mich wohl etwas klarer ausdrücken müssen. Ich meinte nicht so sehr, dass der Alltag den realen deutschen Alltag spiegelt, sondern dass Themen aufgegriffen werden, die die Nation gerade beschäftigen. Wie z.B. das Thema Chrystal Meth in einem der letzten Tatorte. Die Qualität, mit der diese Themen aufgegriffen und verarbeitet werden, hat Uschi zu Recht in ihrer Antwort angezweifelt.
Eigentlich meinen wir wohl dasselbe.
Es ist auch nicht genau definiert, welchen Anteil die reale Begebenheit an einer Story haben muss. Beispiel Krimi: Da liegt halt eine Leiche. Leider sehr oft Realität. Schon die Ermittlungsarbeiten kann man kaum real darstellen, weil da viele Leute lange Zeit mit beschäftigt sich, auch noch nach der Verhaftung des Mörders. Das sind zu viele Leute, zu viele Details für ein Buch, erst recht für einen Film. Bei den Hintergründen, Motiv usw. muss man beim Nacherzählen auch Abstriche machen, weil das oft zu stark verwickelt ist. Mordprozesse, wo alles mögliche berücksichtigt wird, was zur Tat geführt hat, dauern ja auch erheblich länger als Raum wäre in einem Buch oder Film. Und dann kommen auch viele hässliche Sachen ans Licht. Lässt man die weg, mutiert das Gesamtbild zu schön. Bringt man sie, kotzt der Zuschauer auf seinen Fernsehsessel.
Selbst eine sehr gute Berichterstattung über einen realen Fall ist also notwendigerweise schon stark zusammengefasst. Damit ist sie aber nicht unbedingt unterhaltungstauglich. Soll also aus dem Bericht ein Roman werden, sind weitere Zutaten nötig, bei einem Film ist vermutlich noch anderes zu berücksichtigen, damit er Geld einspielt. Das sieht man ja auch schon an den Unterschieden, wenn ein bekanntes Buch verfilmt wird: Selten ist das einigermaßen textgetreu.
Das alles ist an sich nicht schlecht, aber dem Leser/Zuschauer muss erkennbar sein, dass er das nicht 1 : 1 bis ins letzte Detail glauben darf.
Leider kann man nicht unbedingt mit einen ausreichend hohen IQ beim Publikum rechnen, dass die Leute das von selber erkennen. Manchen mag es überdies egal sein.