Fried, Johannes - Das Mittelalter - Geschichte und Kultur
Das Mittelalter - Geschichte und Kultur
von Johannes Fried
Ich liebe Bücher, bei denen ich nicht ohne Stift und Notizpapier auskomme um mir Notizen zu machen und Stellen zu unterstreichen. Dieses Buch bietet jede Menge Stoff hierfür.
Immer wieder zog es mich an die elektronischen Lexika im weiten Netz oder an meinen Bücherschrank um das eine oder andere in anderen Büchern nachzuschlagen.
Johannes Fried (* 1942) ist einer der großen Experten für Mediavistik und arbeitet nach einem Studium in Heidelberg und einer Professur in Köln inzwischen seit über 20 Jahren in Frankfurt an der Goethe-Universität, derzeit als Professur für Mittelalterliche Geschichte I - Geschichte des Früh- und Hochmittelalters (siehe Internetpräsenz des Fachbereichs). Dort ist auch eine Liste seiner umfangreichen Veröffentlichungen zu finden. Neben seiner Professur ist er in einer ganzen Reihe von Forschungs- und Expertenzirkeln aktiv, zum Beispiel ist er Mitherausgeber Deutschen Archivs zur Erforschung des Mittelalter.
In dem vorliegenden Buch schlägt Johannes Fried einen weiten Bogen des Mittelalters, beginnend bei den spätantiken Wurzeln, (geschildert am Beispiel von Anicius Manlius Severinus Boethuis, der aus einem der vornehmsten Geschlechter Roms stammte, unter dem Ostgotenkönig Theoderich hingerichtet wurde, und als Konsul und Minister in Ravenna wirkte). In die Geschichte eingegangen ist Boethius allerdings als Philosoph. Er unternahm den Versuch Werke von Aristoteles und Platon aus der Antike in das beginnende Mittelalter zu retten, was ihm nur unvollständig gelang, schrieb verschiedene Werke, darunter das Letzte direkt vor seinem Tod im Kerker "Der Trost der Philosophie".
So wie sein persönlicher "Niedergang" den Niedergang der antiken Kulturen Rom und Griechenland markiert, zeigt er gleichzeitig den Aufstieg des mittelalterlichen Europas.
Weitere Stationen sind Gregor der Große - ein geniales Kapitel zum Thema Bildung im Frühmittelalter - und die Erringung der Kaiserwürde, die Papstschismen und die Position der damals bekanntlich ausgesprochen wichtigen römisch-katholischen Kirche - trotz der Schismen und faktisch immer wieder vorhandener Entmachtung - hin zum Entstehen einer eigenen Rechtssprechung, die Stauferzeit und die Habsburger.
Stark eingedampft sind die Informationen und Fakten, unvermeidlich notwendig bei einem so umfangreichen Thema.
Dennoch schafft es Johannes Fried immer wieder, nicht (nur) Jahreszahlen zu bringen und Herrscher an einem vorüber ziehen zu lassen, sondern lebendige Vorstellungen zu wecken. Selbstverständlich noch einmal ganz anders als das eher "populärwissenschaftlich angelegte" (nicht als negative Wertung verstanden!) Buch von Kay Peter Jankrift zum Alltag einer mittelalterlichen Stadt.
Der Epilog, der knapp 23 Seiten umfasst, ist ein Rückblick und ein Ausblick.
Fried beginnt diesen Epilog mit einer Anekdote:
(...) Friedrich Wilhelm von Preußen, der Soldatenkönig und Vater Friedrichs des Großen, gebot, dem Thronfolger einen gute Geschichtsunterricht zuteil werden zu lassen, verbot ihm aber das Studium der Antike und des Mittelalters. Die alten Römer mochten vielleicht noch angehen (...). Immanuel Kant teilten die Bedenken, machten aber noch gravierendere geltend und verdammten das Mittelalter vollends (...) (S. 536)
In jedem Fall erwähnen will ich ein großartiges Beispiel für die (kulturellen) Leistungen des Frühmittelalters, die hervorragend illustrieren wie wenig "dunkel" das Mittelalter tatsächlich war.
Im Zusammenhang mit dem Aufstieg der Karolinger an die Macht unter Karl dem Großen schildert Fried die Bemühungen des großen Königs um die Schaffung und Bewahrung von Bildung. Ob beabsichtigt oder nicht, wird Karl der Große so zum Begründer einer mittelalterlichen Kultur, die sich bis heute in unserem Leben wiederfindet. Fried beschreibt die Diskurse, die Karl der Große mit Alkuin führte.
Alkuin, ein aus dem englischen York stammenden Gelehrter, lebte lange Jahre am Hof von Karl dem Großen und wirkte als Berater des Königs/Kaisers. Er gründete zudem mehrere Schulen (Skriptorien), verfasste eine große Anzahl unterschiedlichster Werke und wurde zu einem der herausragenden Begründer einer fränkischen Lehre.
Besonders die Dialektik, die aus den Beschreibungen von Fried deutlich werden, haben mich unglaublich beeindruckt.
Die Beschreibung der Dialoge erinnert sehr an moderne Formen der Dialektik und Rhetorik und sind dabei doch im Denken und Handeln mittelalterlicher Menschen verhaftet. Unglaublich interessant, gerade auch im Hinblick auf die immer wieder aufkommende Diskussion um die "frauenbewegte Apothekerin, die so ein Mittelalter-CSI abzieht" (siehe Interview mit Rebecca Gable auf der Buchmesse 2007).
Ich werde zweifelsohne das Buch oft zur Hand nehmen, um zu schmökern, mir Anregungen zu holen, Fakten nachzulesen und ein Gespür zu bekommen für "Geschichte und Kultur" des Mittelalters.