Ballhaus, Alexander - Liebe und Sex im Mittelalter
Dies beginnt schon mit der Frage, was denn überhaupt "Mittelalter" ist, und ob man eine Epoche von so langer Dauer überhaupt mit einem Buch mit 285 Seiten in erschöpfender Tiefe abarbeiten kann. Zwangsläufig bleibt so ein Buch dann zwar auch interessant, aber ein wenig unbefriedigend.
Was habe ich erwartet? Dies zu sagen ist nicht ganz einfach, denn irgendwas weiß man ja schon über das Thema (siehe Einleitung).
Sei es die Behauptung, dass das "Ausmaß der Diesseitsverneinung und Jenseitshoffnung" im "Erbe der antiken Welt" und der "zügellosen Sinnlichkeit des späten Roms" (S. 14) zu suchen sei, oder die Abschnitte über die Thematik des Zölibats und die Realität sexueller Ausschweifung im Vatikan sowie real existierende Geschlechtlichkeit in Klöstern oder Pfarrhäusern.
Während Ersteres kaum für das gesamte mittelalterliche Europa behauptet werden kann, trägt Letzeres den reißerischen Titel "Venus im Vatikan" und wartet mit Sätzen auf wie "Es ist recht wahrscheinlich, dass (...) sich außerhalb der Klostermauern manches Gebüsch findet, wo man sich von der strengen Disziplin erholt" (S. 251). Die Aussage "Das Kloster schafft geradezu einzigartige Voraussetzungen dafür, dass ein sinnliches Klima entsteht. Große seelische und körperliche Spannungen bringen das sogenannte Laster zum Blühen" (S. 252). Eine Aussage, die mir ohne jede Begründung bleibt.
Bei einigen Behauptungen bleibt Ballhaus mir eine Anmerkung schuldig, in der er seine Aussagen begründet, so zum Beispiel bei dem "Ziel eines homogenen Weltbildes", das die Kirche versucht habe zu erreichen (S. 20).
Dieser ständig weiter treibende Absturz des Buches in Worthülsen ("Sexuelle Aktivität im Kloster läuft kaum anders ab als in den Bauernkaten, den Handwerksstuben, den Bade- und Freudenhäusern" S. 252) ist gerade deshalb so schade, da es eine ganze Reihe an wirklich interessanten und gut recherierten Darstellungen und Themenbereichen gibt, die man irgendwann nur noch marginal wahrnimmt.
Bei mir ging beispielsweise der Beichtspiegel des Jesuiten Antonio Escobat y Mendoza fast unter, da ich in dem Kapitel dann nur noch mehr oder weniger lustlos herumlas.
Dies ist gerade deshalb so schade, da ich zeitgleich das Buch "In Liebe und Zorn " zum Mittelalter las, in dem es sehr konkret um Leben und Alltag ging, dargestellt anhand von Originalbriefen aus jener Zeit. Die erhoffte Ergänzung und Bereichung durch ein "Begleitbuch" blieb in weiten Teilen aus.
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