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Die Pulp Magazines – Amerika im Bann der Kurzgeschichte - 3. Glanzzeit und Untergang der Pulps

PulpsDie Pulp Magazines
Amerika im Bann der Kurzgeschichte (Teil 3)

Wenn man in Deutschland bekennt, dass man »Pulp fiction« liebt, wird man sofort als Tarantino-Fan betrachtet. Dabei ist sein berühmter Filmtitel einfach eine Hommage an eine Literaturform, die nahezu ein halbes Jahrhundert die USA beherrschte und hier fast unbekannt ist. Von 1896 bis 1955 gab es sie allerorten, die grellbunten Hefte. Manche deutsche Leser glauben, es handle sich dabei um eine Art amerikanische Variante des Groschenhefts.


Doch die Ähnlichkeit ist gering.

3. Glanzzeit und Untergang der Pulps
Zu diesem Thema gibt es jede Menge langweilige Diagramme, Analysen und Statistiken. Diese Seite der Pulps ist gut erforscht. Dabei fällt eine Ungeheuerlichkeit ins Auge, die auf den ersten Blick an der Seriosität der Untersuchungen zweifeln läßt. Die Diagramme verhalten sich nämlich durchaus nicht so, wie man es eigentlich erwarten würde. Während die amerikanische Wirtschaft nach dem Börsenkrach 1929 kräftig durchgeschüttelt wurde und fast alle Industriezweige dramatische Einbußen verzeichneten, kletterten die Pulp-Kurven in die Höhe! Es begann die Hochphase der Pulps. Tatsächlich sind diese Magazin-Verlage die eigentlichen Gewinner der Krise. Zur Illustration – 1934 kam es zu einem kurzfristigen wirtschaftlich bedingten Einbruch der Pulp-Umsätze. Die waren aber immer noch deutlich höher als in den prosperierenden Jahren 1924/25! Einen nie wieder erreichbaren Höhepunkt der Umsätze erreichten die Pulps in den Jahren der höchsten Arbeitslosigkeit, vor allem 1937/38.

Beliefen sich die verkauften Exemplare solcher Magazine wie Argosy schon in den frühen 20ern auf mehr als eine 500.000 pro Ausgabe, lagen jetzt die Zahlen sogar über der  Millionen-Grenze. Nie wieder vorher und nachher tummelten sich so viele verschiedene Ausgaben auf dem Markt wie in den Dreißigern.

Des Rätsels Lösung liegt auf der Hand – die Leute suchten in düsteren Zeiten Trost und Ablenkung von den Alltagssorgen. Pulps waren dafür das ideale Medium: Sehr, sehr preiswert (10-20 cent), sehr umfangreich, sehr unterhaltsam. Konkurrenz gab es praktisch noch nicht: der Comic steckte noch in den Kinderschuhen, das Fernsehen in der Experimentierphase.

Und genau hierin sehen die meisten Forscher auch den Grund für den Niedergang. Ab Kriegseintritt 1941 fällt der Umsatz rapide ab (was allerdings auch mit den Papier-Restriktionen zu tun hatte), fängt sich aber noch einmal und stabilisiert sich in den Jahren 1945-50, um dann die rasante Talfahrt wieder aufzunehmen. Bereits 1949 stellte einer der größten Pulp-Verlage, Street & Smith, die gesamte Magazin-Produktion ein. Für die geschockten Autoren und Leser gab es zunächst noch eine Notbremse: Der Riese Popular Publications kaufte die Rechte und führte einige Magazine weiter. Doch der Wendepunkt war unweigerlich eingetreten. Ab 1950 begann das rasante, fast epidemische Sterben der Pulps. 1955 waren nahezu alle Pulp-Magazine verschwunden. Ab 1960 ist keines mehr nachweisbar. Die einzigen Überlebenden, einige SF-Magazine, wandelten sich in Aussehen und Anmutung komplett zu „seriösen“ Digest-Formaten. Der Comic und das Fernsehen hatten die Pulps vernichtet.

So jedenfalls die gängige These. Es gibt auch andere Erklärungsmodelle. Vielleicht hat sich das Medium in einer rauschhaften Klimax selbst aufgezehrt? Man bedenke: allein die 20 langlebigsten Magazine brachten es auf mehr als 14.500(!) verschiedene Ausgaben – nun stelle man sich vor, dass unzählige auch kurzlebige Magazine und Verlage von 1900 bis 1949 permanent Hefte auf den Markt warfen! Allein im SF-Sektor buhlten zeitweise mehr als 20 Magazine um die Aufmerksamkeit des Lesers – ganz zu schweigen von den zahllosen Liebesschnulzen-, Western- und Krimi-Heften. Haben sich die Pulps einfach zu Tode geboomt ? Hatten die Sammler am Ende so viele Regale voller Hefte, dass mehr einfach nicht ging?

Sicher hat das schnelle Sterben auch zu tun mit der unpopulärer werdenden Short-Story. Mit dem 1939 aufkommenden billigen Taschenbuch ging der Trend hin zum längeren Roman.

Tragisch war diese Entwicklung vor allem für die vielen Autoren, die vom Absetzen ihrer Geschichten lebten. Manche, wie Robert Bloch, verlegten sich auf Romane. Andere verstummten einfach, wie Clark Ashton Smith. Viele verarmten. Ihre Ära war ebenso vorbei wie die der Kurzgeschichte. Nur wenigen gelang der Sprung in die viel übersichtlichere und hart umkämpfte Digest-Kultur. Durchblättert man die wenigen Erben der Pulps, etwa das Magazin Fantastic, stellt man fest: Der Sozialdarwinismus hat böse gewütet. Übriggeblieben sind die Stärksten - Autoren wie Robert Bloch, John Wyndham oder Henry Slesar – und die Angepasstesten, Autoren, die jeden Modewandel überlebten wie Rog Phillips.  

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2016-02-21 14:03
Interessante Zusammenfassung.

Vermutlich war es weniger die Übersättigung als vielmehr der Krieg, der die Lesegewohnheiten der Leute geändert hat. Und nicht zu vergessen die Papierrationierung, die den Verlagen zusetzte und für einen Kahlschlag sorgte. Und nach dem Krieg und der Bombe hatte sich die Kultur schwer verändert.

Vernünftig leben konnten die wenigsten Autoren davon. Einen halben Cent pro Wort, bei Erscheinen und nicht bei Ankauf, und selbst das war nicht gewährleistet. Weird Tales schuldete Howard bei seinem Tod Hunderte von Dollar.

Keine Frage, zu den Krisenzeiten konnten einige Autoren wie Walter Gibson damit durchaus wohlhabend werden, aber für viele war die Schreiberei ein Nebenverdienst. Jemand wie Bloch, der ohnehin ein Nachzügler war, der war bei Kriegsbeginn gerade mal 24, hatte bis in die 50er einen Brotjob und war clever genug, sich nicht auf ein Genre zu versteifen.

Es ist schon interessant, dass eigentlich nicht mal der Krimi das Pulpsterben überlebte. Das einzige Magazin, das ausgerechnet im Krieg gegründet wurde und Bestand hatte, ist Ellery Queen's Mystery Magazine. Und das erscheint noch immer und ist sogar lesenswert verglichen mit den armseligen Weird Tales-Wiederbelebungsversuchen.
#2 Heiko Langhans 2016-02-22 10:42
Andreas, vielleicht weißt Du da weiter:
In einer Ausgabe des Comics Journal (Ende der neunziger Jahre) stand ein langer Artikel über die Krise eines Groß-Distributors, die etwa ab 1952 begann, sich über ein paar Jahre hinzog und mit der Pleite des Unternehmens endete. Dieser Grossist war nicht nur für einen Großteil des Pulp-Vertriebs, sondern auch für den der meisten US-Comics verantwortlich - und die erlebten Mitte, Ende der Fünfziger einen ähnlich heftigen Einbruch wie die Pulps, ohne allerdings ganz wegzusterben.
Die Details kriege ich nicht mehr zusammen, es ist auch knapp 20 Jahre her, seit ich den damals mir auch nicht allzu verständlichen Text gelesen habe - da wir ja große Überlappungen im Lesegeschmack haben: klingelt da was bei Dir?
#3 AARN MUNRO 2016-02-22 12:37
...obwohl die meisten Autoren ja hinreichend bekannt sind, hätte ich mir noch eine Namensauflistung der "Überlebenden" im Artikel zumindest gewünscht, dieser besser "angepassten" Schriftsteller...oder kommt diese noch im nächsten Teil ?
#4 Andreas Decker 2016-02-22 14:44
zitiere Heiko Langhans:
Andreas, vielleicht weißt Du da weiter:
In einer Ausgabe des Comics Journal (Ende der neunziger Jahre) stand ein langer Artikel über die Krise eines Groß-Distributors, die etwa ab 1952 begann, sich über ein paar Jahre hinzog und mit der Pleite des Unternehmens endete. Dieser Grossist war nicht nur für einen Großteil des Pulp-Vertriebs, sondern auch für den der meisten US-Comics verantwortlich - und die erlebten Mitte, Ende der Fünfziger einen ähnlich heftigen Einbruch wie die Pulps, ohne allerdings ganz wegzusterben.
Die Details kriege ich nicht mehr zusammen, es ist auch knapp 20 Jahre her, seit ich den damals mir auch nicht allzu verständlichen Text gelesen habe - da wir ja große Überlappungen im Lesegeschmack haben: klingelt da was bei Dir?


Ich habe irgendwann aufgehört, das CJ zu lesen. Ich weiß nur nicht mehr wann. Müsste ich mal nachsehen. So 90 rum. Erinnern tue ich mich eigentlich nur noch an das Ellison-Interview, das den Prozeß nach sich zog. :-)

Meinst du ANC? Die American News Company war der größte Print-Großhändler. Aber die Pleite von ANC, die wohl bis heute nicht wirklich geklärt ist, 1957 hat auch viele Comicverlage kaputt gemacht. Goodman, der Besitzer von Atlas Comics, woraus Marvel wurde, musste dann über Independent vertreiben, das aber DC gehörte. Da gab es dann Mengenbeschränkungen, wie viele Titel sie im Monat bringen durften. Aus dem Vertrag kamen sie lt Sean Howe erst 68 oder 69 raus.

Das große Comicsterben hatte wohl viele Gründe. Die Zensurhysterie,( EC und Wertham), 50% weniger Verkäufe dank des Fernsehbooms, und die Vertriebsprobleme. In diversen Biografien steht, dass die wenigen Beschäftigten, die auf dem Feld übrig geblieben waren, jeden Tag mit dem Ende rechneten.

Jemand sollte wirklich mal den Sean Howe Marvel Comics:The Untold Story übersetzen. Eine Fundgrube.
#5 Matzekaether 2016-02-22 17:34
Aarn, danke für den Hinweis, auch habe ein paar Namen im Text ergänzt. Beste Grüße1
#6 Heiko Langhans 2016-02-22 17:40
ANC - richtig, das war's.
#7 Heiko Langhans 2016-02-22 17:43
Witzig, dass Du das Ellison-Interview erwähnst: Meine erste CJ-Ausgabe war die mit dem Prozess-Transkript Fleisher vs. Ellison und dem herrlichen Shooter-Cover ("Our Nixon" - großartig!)

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