Die Pulp Magazines – Amerika im Bann der Kurzgeschichte - 4. Sind Pulps Schund?
Die Pulp Magazines
Amerika im Bann der Kurzgeschichte (Teil 4)
Doch die Ähnlichkeit ist gering.
4. Sind Pulps Schund?
Diese Diskussion über den literarischen Wert von abenteuerlichen Geschichten könnte der eigenen hierzulande ähneln, so sehr sich Heftromane und Pulp-Magazine auch sonst unterschieden. Man könnte einwenden, dass „Schund“ ein polemischer Begriff ist, der eine hochkonstruierte und vorurteilsbelegte Vorstellung von dem voraussetzt, was kein Schund ist. Heute in Zeiten der Postmoderne wissen wir: Wir können uns zurücklehnen und gelassen auf jede Art Literatur schauen ohne zu allzu streng zu werten. Alexandre Dumas, einst verfemt als „König der Leihbibliotheken“ ruht seit 2005 im Pariser Pantheon, in guter Nachbarschaft von Zola, Rousseau und Hugo. Niemand wagt es mehr, ihm die Ehre abzusprechen, zu den größten Autoren Frankreichs zu zählen. Andererseits sind so manche Literatur-Nobelpreisträger völlig vergessen. Oder haben Sie je von José Echegaray oder Karl Gjellerup gehört?
Doch im Falle der Pulps ließe sich doch einiges Weitere und Gewichtige zur Verteidigung anführen. Da wären zunächst die wirklich großartigen Magazine, deren weltliterarischer Anteil den Ausschuß deutlich überwiegt, allen voran Astounding Stories und Weird Tales.
Aber, so der Einwand vieler Kritiker – das sind wenige Magazine von vielen hunderten!
Macht gar nichts. Denn auch das Umgekehrte gilt – so wie sich in fast allen großen Heften immer eine Story findet, die absoluter Trash ist, gibt es kaum ein Pulp-Heft, das nicht wenigstens eine gute Geschichte enthält. Zumindest gilt das für die Pulps der großen Verlage; die Ausgaben von Trittbrett-Fahrer-Magazinen sind noch nicht so gründlich erforscht. Tatsächlich überrascht bei vielen Stichproben die gute Durchschnittsqualität der Hefte, die – das muss hier mal ganz deutlich gesagt werden – die der meisten deutschen Heftromane ganz locker übersteigt. (Das betrifft vor allem den Western- und Horror-Sektor). Ein weiterer Vorteil der Pulps gegenüber den deutschen Heftromanen war, dass sie sich nicht dezidiert an ein jugendliches Publikum richteten. Im Gegenteil – Magazine wie Astounding Stories oder Marvel Science Stories wendeten viel Mühe auf, um das jugendliche Publikum zu vergraulen und die Erwachsenen anzulocken, die einen durch pseudowissenschaftliche Ergüsse in den Erzählungen, die andern durch Sex. Andere setzten auf besonders brutale Geschichten. (Ich erinnere mich an eine Story im vergleichsweise harmlosen Magazin „Fantasic Adventures“, wo ein fieser Siriusbewohner zu seinem gefangenen Ami sinngemäß sagt: „So, du machst jetzt den Kaplitations-Servo-Desintegrator sauber. Vorsicht, der letzte Menschensklave ist in die Schwungräder gefallen. Solltest du Teile von ihm finden, mach die gleich mit weg.“ Schwer denkbar in einem deutschen SF-Heftroman der 50er...)
Natürlich – auch in den USA gab es Bestrebungen, allzu brutale Pulps aus den Kiosken verschwinden zu lassen. Allerdings gab es (noch) keine zensurähnliche Institution wie die Bundeprüfstelle bei uns. Shudder-Pulps wurden etwa boykottiert, indem organisierte Gegner mit gespendetem Geld konsequent die Kioske abgrasten, alle Hefte aufkauften und dann verbrannten.
1954, als die harschen Bestimmungen der (Selbst)Zensur für Comic- und Heftliteratur in den USA eingeführt wurden, lag der Pulp längst im Sterben – bis zur endgültigen Durchsetzung der neuen Gesetze Anfang 1955 war er ganz tot. Er entging dieser Schikane durch rechtzeitiges Ableben. Und die armen Comics bekamen die Wucht der Zensur fast allein zu spüren.
Auch die freizügige Schreibe, der persönliche Stil der Autoren und eine gute Redaktion sorgten dafür, dass die Lesbarkeit vieler Pulps bis heute hoch und extrem vergnüglich ist.
Hinzu kam, dass der Autoren-Andrang auf den Markt enorm war. Mangel an Manuskripten dürfte nie geherrscht haben. Bedenkt man, wie viele Manuskripte von Starautoren abgelehnt wurden, kann man sich vorstellen, wie es erst den andern Unbekannteren erging. Freilich – es mag auch zurechtgehobelte und geglättete Stories gegeben haben oder manchen Schatz, der ungedruckt liegen blieb. Vergleicht man aber z.B. die Originalmanuskripte der Conan-Geschichten Howards für Weird Tales mit den Fassungen nach den Umarbeitungswünschen von Wright, kann man Wright nur gratulieren.
Dennoch kam es schon unmittelbar nach der Pulp-Ära immer wieder zu bösen Abqualifizierungen der Hefte, die die Haltung des literarischen Establishments nachhaltig geprägt haben. Sicher waren auch die grellen Cover daran schuld, die oft leichtbekleidete Damen in Not, widerliche Monster oder reißerische Action-Szenen zeigten - sie ließen vermuten, dass der Inhalt ebenso grobschlächtig und/oder sexlastig sei. Bei einigen Magazinen traf das auch zu, mitunter waren die Cover sogar besser als die Erzählungen, aber das sind wirklich Ausnahmen. Viel mehr Schaden fügte die sogenannte New-Wave-Bewegung den Heften zu, eine Gruppe von Autoren, die vor allem in der Phantastik ab Mitte der 60er Jahre mehr Experimentiefreude und bessere Charakterzeichnung forderte. Absurderweise war es eine Splittergruppe der Trivialliteraur, die sich selbst als nicht trivial postulierte und nun die Pulp-Hefte angriff, ihr Oberflächlichkeit und zu geringe literarische Qualität vorwarf, um die eigenen Produkte aufzuwerten. Alles Äußerliche wurde verdammt, Spannungsliteratur per se diskreditiert.
Dies ist ein Vorwurf, der immer noch an dieser Literatur klebt - als wollte die Pulp-Literatur je Weltliteratur sein! (Ironischerweise ist sie es mitunter trotzdem geworden - man denke an Lovecraft oder Hammett...) Was schnell vergessen wurde: Die Herausgeber und Redakteure der Hefte waren ganz (selbst)bewußte Pulpisten - sie wollten beste Unterhaltung mit originellen Wendungen, schrille Plots und schöne Twists, aber sie wollten weder die Literatur noch die Welt revolutionieren. Liest man heute die Leserkontaktseiten in den Heften, ist man überrascht, wie ernst die Herausgeber die Leser nahmen. Es entsteht der Eindruck, dass Herausgeber und Autoren sich eher in der Rolle von Magiern sahen, die alles: Technik, Plot, Idee, dem einen großen Leitgedanken unterordneten: Den Leser (oder die Leserin) zu blenden, zu veblüffen, bei der Stange zu halten. Grade in der federnden Leichtigkeit, ihrer Biegsamkeit und stählernen Stringenz liegt der große Reiz der (guten) Pulp-Stories. Sicher - Autoren wie Simak, Bradbury und Woolrich brachten am Ende der Ära auch eine neue Traurigkeit mit, Sturgeon sogar eine weltliterarische Qualität, einen Hauch von Maupassant und Scott-Fitzgerald - doch sind diese Geschichten wirklich noch "pulpish"? Das muß jeder für sich entscheiden. Fest steht, dass man auch das Bunte, Laute, den herrlichen Lärm, die fröhliche Unbekümmertheit dieser vielen gut gestrickten Geschichten wieder würdigen sollte - ebenso wie die bedrohliche schwarze Düsternis, den immensen, gar nicht wohldosierten Schrecken in Horrorstorys von Burke, Keller, oder Cave. Nicht so sehr um der Geschichten willen, sodern um unseretwillen - uns Lesern entgeht so viel, wenn wir die snobistische Haltung der New-Wave-Bewegung einnehmen! Denn viele Erzählungen haben nicht nur keinen Staub angesetzt, sondern wirken heute, in der Distanz oft noch reizvoller als für die Leser der Gegenwart.
Also unterm Strich – wer englisch kann und spannende Abenteuer liebt, wird eine ganz neue Welt entdecken, die ihn in vielen Fällen wirklich beglücken dürfte. Und selbst der Trash hat zuweilen noch einen großen Reiz; ich kann mich an wirklich bescheuerte Geschichten von den Gebrüdern Binder oder David H. Keller erinnern, die mir dank ihrer fröhlichen Schwachsinnigkeit den Abend gerettet haben.
Kommentare
Ich weiß nicht, ob man die Nachkriegsmagazine wirklich mit den Pulps der Vorkriegszeit vergleichen kann und sollte. Viele der einflussreichen SF-Magazine sind erst in den 50ern in einem ganz anderen Umfeld entstanden. Und neben dem literarischen Vorbehalt der New Wave ging es viel um politische Inhalte, da die Magazine stockkonservativ waren, beim Thema Vietnam vor allem Pro War. Und dieser Kulturkampf, um es mal so nennen, war doch auf das eigene Glashaus begrenzt. Da hat keiner über den Tellerrand geschaut.
die Verlagszensur war aber sicher stärker, da stimme ich Dir zu...