Ringo´s Plattenkiste - Alan Parsons Project: Tales of Mystery and Imagination
Alan Parsons Project: Tales of Mystery and Imagination
Der Name Edgar Allan Poe ist aus der Schauerliteratur nicht mehr wegzudenken, hat er doch ganze Scharen seiner Nachfolger inspiriert, geprägt und auch beeinflusst. 1975 fühlten sich dann schließlich auch zwei junge Musiker dazu berufen, diesem Autor Tribut zu zollen und ihm gleich ein ganzes Album mit Songs zu widmen. Die Rede ist von „The Alan Parsons Project“ und ihrem meisterhaften, aber nichts dennoch auch sehr durchwachsenen Debütalbum „Tales of Mystery and Imagination“, das 1976 erschien und ein Welterfolg wurde. Die Namen der beiden Musiker sind Alan Parsons und Eric Woolfson.
Der Kopf und Namensgeber des Projects war in den Siebzigern bereits ein bekannter, versierter und sehr gefragter Tontechniker. Er war beispielsweise an den beiden letzten Alben der Beatles beteiligt, und arbeitete mit Pink Floyd an Atom Heart Mother und The dark Side of the Moon zusammen.
Eric Woolfson war ein talentierter Pianist und versierter Songschreiber, der unter anderem für The Tremeloes und Marianne Faithfull komponierte. Bevor er das Project mitbegründete, arbeitete er als Manager für Carl Douglas (Kung Fu Fighting). 1974 lernet sich die Woolfson und Parsosn schließlich im Beatles-eigenen Abbey Road Studio kennen, wo jeder für sich an unterschiedlichen Acts arbeitete. Die beiden kollaborierten dann zusammen mit Al Stewart, John Miles, The Hollies und der heute unbekannten Band Pilot, die dann später komplett für den Erstling des Projects engagiert wurde.
Bei der Zusammenarbeit mit Al Stewart wurde auch der Kontakt zu Andrew Powell geknüpft, dem inoffiziellen dritten Mitglied des Projects. Powell war ein klassisch ausgebildeter Musiker, der hauptsächlich als Arrangeur für Orchester tätig war und unter anderem für Cockney Rebel, John Miles, Leo Sayer, David Gilmour arbeitete. Die Liste ist lang, und es sind nicht viele Unbekannte darunter.
Derart komplettiert, machte man sich dann ins Studio auf, um gemeinsam ein Konzeptalbum zu produzieren. Da beide Köpfe des Projects große Bewunderer des Werkes von Edgar Allan Poe waren, beschloss man, ihm ein musikalisches Denkmal zu setzen.
Nach Abschluß der Gesamtkonzeption und der Kompositionen schickte das Project ein Skript an den legendären Orson Welles, mit der Bitte, den Text auf Band zu sprechen, da man es als Intro für die beiden Instumentals des Albums verwenden wollte.
Welles kam dem nach und schickte das Band an die beiden Musiker zurück. Kurioserweise sind Welles Aufnahmen aber nicht auf der Platte zu hören, sie wurden zunächst nur für Werbezwecke, und erst 1987 für die neu abgemischte CD-Version verwendet. Aber dazu später mehr.
Die an dem Album beteiligten Musiker (hauptsächlich an den Keyboards und Backing Vocals) der Platte waren natürlich Parson und Woolfson, die auch für das Songwriting verantwortlich zeichneten. Den Rest besorgte in erster Linie die komplette Band Pilot, bestehend aus:
Ergänzt wurden diese Musiker unter anderem von den Mitgliedern der Band Ambrosia und bekannten Gastmusikern wie etwa Francis Monkman. Für die Lead-Vocals der einzelnen Songs engagierte man Berühmtheiten wie Arthur Brown (Fire!), John Miles (Music) und Terry Sylvester von den Hollies. Eine geballte Ladung an hochkarätigen Musikern also. Das Project profitierte ganz eindeutig von seinen Kontakten aus voran gegangenen Arbeiten und schöpfte aus dem Vollen! Alle Tracks stammten aus der Feder des Duos Parsons & Woolfson, lediglich das Instrumental The Fall of the House of Usher nennt Andrew Powell als Co-Autor und weist Zitate aus eine unvollendeten Oper Claude Debussys auf.
Hier nun die Tracklist des Albums. Die den Songs zugrunde liegenden Werke Poes sind auf Deutsch daneben in Klammern gesetzt:
Das Instrumental A Dream within a Dream läutet das Album stilvoll und pochend ein, baut sich langsam auf, erreicht seinen unheilvollen Höhepunkt und leitet mit Vocoder-Vocals nahtlos den nächsten Song ein. Die eigentlichen Vocals des Songs stammen übrigens nicht von einem professionellen Musiker, sondern von Leonard Whiting, einem britischen Schauspieler. Whiting stand 3 Jahre zuvor als Victor Frankenstein in der Fernsehproduktion „Frankenstein – wie er wirklich war“ vor der Kamera. The Raven blieb meines Wissens nach sein einziger Ausflug in musikalische Gefilde. Die Vocoder-Vocals steuerte Alan Parsons selbst bei. Raven war übrigens der erste Rocksong, bei dem ein solches Gerät eingesetzt wurde.
Dream und Raven haben einen sehr hohen Wiedererkennungswert und wurden in der Folge vielmals in diversen Film- und Fernsehproduktionen eingesetzt. Dream ist auffallend zeitlos und weist 1976 bereits Elemente des sehr viel später aufkommenden Downtempo-Stils auf, dessen bekanntesten Vertreter die beiden Österreicher Kruder & Dorfmeister sind.
Beiden Songs liegen Gedichte Poes zugrunde, während der nächste Track eine Kurzgeschichte vertont: The Tell-Tale Heart – das verräterische Herz. Es ist ein gnadenloser und grandioser Rocksong, fast schon eine Mini-Oper. Der Grundrhythmus erinnert stark an One of these Days von Pink Floyd. Die Lyrics werden äußerstt leidenschaftlich, glaubwürdig und verzweifelt dargebracht von Arthur Brown, der Ende der Sechziger einen einzigen, aber dafür umso bemerkenswerteren Hit hatte: Fire! Der God of Hellfire beschwört, schreit, winselt hier meisterhaft und überzeugend über mehrere Oktaven hinweg seine Lyrics und bringt die Grundstimmung von Poes Geschichte und seiner Hauptperson scheinbar spielerisch auf den Punkt. Der ruhige und stimmungsvolle Mittelteil wird übrigens nicht von Brown gesungen, sondern von einem gewissen Jack Harris, der einen guten Gegensatz zu Brown bildet.
Heart steht in ganz krassem Kontrast sowohl zu den vorangegangenen Tracks, als auch zum nächsten.
The Cask of Amontillado beginnt sehr ruhig, getragen und melancholisch wie eine Ballade, die ein wenig an einen Beatles-Song denken lässt, nur um sich dann zu feinstem – und stellenweise auch bombastischen - Klassik-Rock mit großem Orchester und Chor zu entwickeln. Dargebracht wird der Track von John Miles, der mit Music bereits einen ganz großen Hit in den Siebzigern hatte. Miles´ Stimme ist hier klagend, fast flehend und leidvoll, was ausgezeichnet zur Poe´s Story passt und diese kongenial umsetzt. Auch hier sind wieder Orchester und Chor zu hören, arrangiert von Andrew Powell.
Auch das nächste Stück (The System of) Doctor Tarr and Professor Fether wird von Miles gesungen. Der selbst Song ist vordergründig geradlinig und eingängig, fast schon AOR. Dennoch bietet er aber viele Facetten und verspielte Details. Das Arrangement ist sehr komplex und abwechslungsreich. Zum Finale des Songs schwirren überraschend einige Soundfetzen von „The Raven“ durch die Boxen, und die Platte endet ähnlich, wie sie begonnen hat. Der Kreis hat sich geschlossen.
Insgesamt ist Seite 1 – wenn auch üppig mit Orchester und Chor unterlegt - sehr Rock-orientiert, mit eingängigen und schönen Arrangements.
Auf Seite 2 sieht das aber ganz anders aus. Hier dominiert eine überwiegend klassisch instrumentierte Suite, aufgeteilt in 5 Sätze: The Fall of the House of Usher. Das Project versucht auf diesem Viertelstünder die Atmosphäre von Poes bekannter Story musikalisch einzufangen und wieder zu geben, was allerdings nicht so recht gelingt: zu verschieden sind nämlich die musikalischen Stile der einzelnen Sätze.
Die Einleitung Prelude plätschert 7 Minuten lang orchestral eher belanglos vor sich hin, und dann in einem Kunstkopf-Gewitter und aufdringlich-sakraler Orgel das Arrival einläutet. Die Komposition weist übrigens Zitate von Claude Debussys unvollendeter Oper La chute de la maison Usher auf, und stammt somit nicht ausschließlich aus der Feder des Projects. Bei Prelude wird übrigens auch Powell als Co-Autor genannt.
Arrival klingt mit dem sich hier wiederholenden Sound der ersten Seite ganz anders. Das Instrumental könnte fast schon eine Alternativversion von The Raven sein, so sehr ähneln sich Sound und Komposition.
Das folgende sehr kurze Intermezzo ist wieder klassisch instrumentiert, aber sehr dissonant und fragwürdig. Wozu nach relativ kurzer Zeit eigentlich schon ein Intermezzo?
Den Höhepunkt der Suite bildet Pavane, band- & songorientiert aufgebaut mit sehr schönen, von Mandolinen getragenen Melodieläufen. Dieser Sound sollte später zu einem Markenzeichen des Projektes werden. Pavane ist ein eingängiges aber grandioses Instrumental, das in der Usher-Suite leider verwirrend deplaziert wirkt, und wesentlich besser für sich alleine stehen könnte.
Die Suite endet nach diesem musikalischen Höhepunkt mit Fall, einem wüsten, orchestralen Durcheinander. Dann ist Schluß mit dem verfluchten Haus von Usher, aber noch nicht mit dem Album.
Der letzte Song des Albums - To one in Paradise – ist eine schnulzige, von Terry Sylvester von den Hollies gesungene Ballade. Belanglos wie leider vieles, das man Jahre später vom Project zu hören bekommen sollte. Besonders kitschig ist der klebrige Kinderchor.
Nach einem komplette Durchhören erweist sich das Album als sehr durchwachsen. Ist Seite 1 noch wegweisend und grandios, fällt die Qualität mit Seite 2 doch sehr stark ab. Hier dominiert zu sehr der selbstverliebte Hang zum Schwulst und Bombast. Woolfson & Parsons wollen hier anscheinend demonstrieren, zu welch ausgefeilten Kompositionen sie fähig sind. Allerdings misslingt dieses Vorhaben überwiegend. Die einzelnen Parts der Usher-Suite passen einfach nicht zueinander, sind sie in sich jeweils doch zu verschieden. Es gibt kein durchgehendes Thema, das sich weiterentwickelt und die Komposition tragen könnte. Auch die Instrumentierung ist zu unterschiedlich. Usher könnte wohl durchaus mehr sein, wäre es homogener und auch kürzer.
Die Platte erschien am ersten Mai 1976 im Fold-out-Cover mit einem eingehefteten, sehr schönen Booklet, das Lyrics und Credits beinhaltet, aber auch zu den Songs passende S/W Photos zeigt, die sehr stil- & kunstvoll sind. Ergänzt werden die einzelnen Seiten durch Darstellungen eines in Tonbänder eingewickelten Menschen, der an eine Mumie erinnert.
Cover-Design und Booklet stammen von Storm Thorgerson von Hipgnosis, die durch ihre Arbeiten für Pink Floyd, 10cc, Black Sabbath, Genesis, und viele andere bekannt wurden.
In den USA erschien das Album allerdings mit einem völlig anderen und künstlerisch anspruchslosen Cover.
1987 wurde Tales dann auf dem neuen Medium CD veröffentlicht, neu abgemischt und digitalisiert, sowie um die ursprünglich aufgenommenen Orson Welles Texte ergänzt, die Dream und Usher einleiteten. Neu aufgenommen und hinzugemixt wurden auch ein Gitarrensolo auf Raven, Synthesizer und Gitarren auf Tell Tale, Synthesizer und Kirchenorgel auf Cask und Doctor, sowie Synthesizers auf Pavane. Ob die Songs dadurch tatsächlich verbessert wurden, sei dahingestellt.
2007 erschien das Album erneut auf CD, diesmal im Doppelformat als Deluxe-Edition. Auf CD 1 gibt es das Original-Album zu hören. Als Bonus Material ist mit „Edgar“ ein durchaus hörenswerter, bisher unveröffentlichter Track enthalten sowie ein eine Demo-Version von „The Raven“. Zusätzlich gibt es ein Interview mit dem Project, sowie einen Radio-Spot mit Orson Welles`Stimme.
Auf CD 2 ist das Album in der neu bearbeiteten 1987er Version zu hören, ergänzt mit einigen unnötigen und überflüssigen Bonustracks, die in erster Linie Sound Effects, Dialoge und dergleichen sind.
2016 wurde das Album schließlich dann im 5.1. Mix auf Blue Ray veröffentlicht. Hierbei handelt es sich um die 1987er Version, also um die bearbeitete. Beigelegt ist ein schmales Booklet.
Während die Aufmachung der Disc eher dürftig ist, ist der Mix gelungen. Sogar die Usher-Suite weiß hier zu überzeigen, was aber einfach am schwirrenden Raumklang liegt, und nicht an der Komposition selbst. Begleitet werden die Songs auf dem Monitor von wechselnden Bildern aus dem Booklet vor einem leicht animierten Hintergrund im selben leichengrün, das auch das Cover trägt. Bonusmaterial gibt es leider nicht, sieht man von der ebenfalls enthaltenen LP-Version im Stereo-Mix mal ab.
Die Disc steckt in einem simplen Plastic-Case und macht optisch nicht viel her. Hier wäre ein Mediabook sehr schön gewesen, wie man es auch von den Anniversary-Editions von Jethro Tull her kennt.
Nach „Tales“ veröffentlichte das Project regelmäßig weitere Alben, die aber nie mehr die Klasse des Erstlings erreichten. Mit dem Nachfolger „I Robot“ wollte man das Konzept in ähnlicher Form aufgreifen und Stories des SF-Autors Isaac Asimov vertonen, was sich aber aus rechtlichen Gründen nicht wie geplant umsetzen ließ.
Die Platte selbst ist musikalisch leider auch nur ein müder Aufguss.
Kommentare
Bis EYE IN THE SKY waren die die Sachen auch recht gut hörbar (wenn auch manchmal etwas schnarchig).
Lucifer oder Hyper-Gamma-Spaces hatten ein Dauerabo für Dokus (Drachenfliegen, Weltraum Terra X) und laufen, glaube ich, auch heute noch im ZDF .
Meine erste Parsons war übrigens THE TURN OF A FRIENDLY CARD und die höre ich heute noch gerne-trotz Schlusenbaum-Effekt.
Überraschend fand ich später noch La sagrada familia (aber nur das eine Stück). Miles und Parsons Project passten irgendwie prima zusammen. Nervig wurde es später bei den zig Neuauflagen. Kann mir auch nicht vorstellen, dass da noch viele Fans übrig waren
Zitat: Auch deren frühe Werke sind empfehlenswert.
Vor allem das Debütalbum