Ringo´s Plattenkiste - Rupert Hine - Immunity
Manchmal ereignet es sich im Rockzirkus, dass ein Künstler im Laufe seiner Karriere eine Drehung um 180°macht, alles Bisherige über Bord wirft und etwas völlig anderes produziert und sich in – oberflächlich betrachtet – seichtere Gewässer begibt. Aber genau damit den Erfolg hat, der ihm zuvor verwehrt blieb, bzw., in geringerem Umfang zuteil wurde. Die niederländische Band Earth & Fire (Ringo wird berichten) mit ihrer Frontfrau Jerney Kaagmann, einer Art unbeholfen zuckendem weiblichem Proto-Axl-Rose war so ein Fall. Aber um die geht es heute nicht, sondern um Rupert Neville Hine, einen Burschen mit Betonkinn und dezentem Lispeln, geboren Ende der Vierziger in London.
Hine entdeckte seine Liebe zur Musik schon recht früh. In der ersten Hälfte der Sechziger tingelte er zusammen mit David MacIver-Robinson unter dem originellen Namen Rupert & David durch die Londoner Clubs und Bars. Gelegentlich traten sie dort auch gemeinsam mit dem zu dieser Zeit noch unbekannten Paul Simon auf. 1965 wurde eine Single produziert, eine Coverversion von Paul Simon`s Klassiker Sound of Silence, die allerdings kaum erfolgreich war. Bei den Aufnahmen spielte auch der spätere Led-Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page mit.
Sechs Jahre später erschien dann ein erstes Album unter seinem alleinigen Namen: Pick Up a Bone, ruhiger Folk-Rock mit spärlich eingestreuten Progtönen, aber ohne nennenswerte Höhepunkte. Eher ein wenig seicht und verschmust. Beteiligt war sein alter Weggefährte MacIver-Robinson, der Gitarre spielte und die Texte schrieb, sowie ein gewisser Herr namens Roger Glover, der das Album auch produzierte. Die Orchesterarrangements stammten von Del Newman, mit dem Roger Glover einige Jahre später auf The Butterfly Ball and the Grasshoppers Feast zusammenarbeiten sollte (Ringo berichtete). Zwei Jahre später folgte ein zweites Album, Unfinished Picture, das Hine auf den ausdrücklichen Rat Roger Glovers selbst produzierte. Die Besetzung war diesmal eine andere.
Die Kompositionen stammten ausnahmslos wieder von Hine, zu denen sein Freund McIvers die Texte schrieb. Glovers Rat schien Wunder bewirkt zu haben, denn das Album wirkt ausgereifter und eigenständiger als der Erstling. Beteiligt waren unter anderem John Perry von Caravan und Michael Giles von King Crimson. Die süßen Streicher stammten vom Martyn Ford Orchestra, das später ebenfalls auf Glover`s The Butterfly Ball and the Grasshoppers Feast vertreten sein sollte. 1973, ermutigt vom Resultat des eigenen Albums, fungierte Hine als Produzent von Yvonne Ellimans Album Food of Love. Auf der Platte wirkten neben Hine selbst noch etliche andere Musiker aus seinem Umfeld mit: Giles, Perry, Cooper und andere. Erwähnenswert ist auch John Gustafson am Bass, der später an (natürlich) Glover`s The Butterfly Ball and the Grasshoppers Feast mitwirkte. Auch Ellimans Karriere zeigt also Berührungspunkte mit Roger Glover, bzw. seinem Umfeld. 1971 war sie auch auf Jon Lords Gemini Suite zu hören. Auch der spätere Procol-Harum-Gitarrist Mick Grabham gab sich die Ehre, sowie kein Geringerer als Pete Townshend von The Who. Die Songs stammten teilweise von Hine und seinem Spezi McIvers.
Die niedliche Yvonne war damals beileibe keine Unbekannte, sondern ziemlich angesagt. Sie spielte nämlich die Maria Magdalena in Jesus Christ Superstar und sang den erfolgreichen Titel I Don't Know How to Love Him. Einen Nummer-1-Hit hatte sie mit dem Bee-Gees-Song If I Can't Have You, der vom Soundtrack zu Saturday night Fever stammte. Zurück aber zu Rupert (dem Musiker, nicht dem Paradummy des Zweiten Weltkriegs.
Auf den Geschmack gekommen, arbeitete Hine zunächst weiter als Produzent, unter anderem für Kevin Ayers. Nebenbei gründete er zusammen mit John Perry und Trevor Morais die Band Quantum Jump, die zwar flugs auch ein Album aufnahmen, das aufgrund diverser Komplikationen aber erst 1976 erschien und eine völlige Abkehr von Hines ursprünglichem Stil darstellte. Keine Spur mehr von Folk, dafür fanden sich nun Funk- und Jazztöne.
Auf dem Debutalbum wirkte erstmals Jeanette Obstoj mit, die für einen Song die Lyrics beisteuerte, und so begann eine Zusammenarbeit, die noch viele Jahre währen sollte.
Hine war mit Jeanette auch lange Zeit liiert. Sie war eine vielseitige Künstlerin, die nicht nur Texte und Gedichte verfasste, sondern auch als Malerin und Video-Künstlerin tätig war. Der Name Obstoj hat übrigens slawische Wurzeln und bedeutet – je nach Herkunft – entweder Existenz oder Umstand.
Die Platte selbst war zwar durchaus interessant, aber nicht weltbewegend. Einen Fortschritt stellte das folgende Album, Barracuda, dar.
Entspannt, groovy und seiner Zeit voraus. Für Barracuda schrieb Obstoj vier Songtexte. Begleitet wurde die Band vom Penguin Café Orchestra, gegründet von Simon Jeffes und Steve Nye, mit denen Hine schon früher zusammen gearbeitet hatte. Quantum Jump war leider nicht besonders erfolgreich, deshalb war der Band auch keine lange Lebensdauer beschieden. Einen Erfolg konnten sie erst 1979 verbuchen, als das Album “Mixing” erschien, das aufbereitete Versionen alter Songs enthielt. “The Lone Ranger” vom Debut schaffte es überraschenderweise sogar auf Platz 5 der British Charts. “The Lone Ranger” ist ein recht schräger Song in bester 10CC-Manier, der das damals längste Wort der Welt (lt. dem Guiness Buch der Rekorede) im Intro verwendete:
“Taumatawhakatangihangakoauauotamateapokaiwhenuakitanatahu”. Das ist der Maori-Name für einen Hügel, der übersetzt etwa wie folgt lautet: “Der Ort, an dem Tamatea, der Mann mit den großen Knien, der Berge hinabrutschte, emporkletterte und verschluckte, bekannt als der Landfresser, seine Flöte für seine Geliebte spielte”.
Unverständlich, dass Hine für den Song lieber den faden Titel “Lone Ranger” wählte.
Wurscht, nachdem Taumatea seine Flöte gespielt hatte, war dann Schluß mit Quantum Jump. Hine machte wieder als Produzent weiter. Sein Klientel wurde schnell prominenter, die Erfolge größer. Unter seiner Regie entstanden Platten von Camel, Greenslade, Anthony Phillips, Murray Head und auch Jona Lewie. Wie der treue Plattenkisten-Leser weiß, hatten sich die musikalischen Zeiten inzwischen radikal geändert und viele Künstler und Bands torkelten Ende der Siebziger orientierunglos umher und wussten nicht wie ihnen geschah, bzw., wohin sie sollten.
Rupert Hine war davon nicht betroffen, ganz im Gegenteil, er war progressiver als all seine Prog-Kollegen, die den alten Zeiten nachweinten. Er selbst beschritt immerfort neue Wege und entwickelte sich ständig weiter.
1981 ging er dann auch wieder selbst ins Studio und nahm 8 Jahre nach seinem letzten, ein neues Solo-Album auf: Immunity. Unsere heutige Platte. Aufnahmeort war das Farmyard Studio, das Rupert schon seit 1975 gehörte und in dem neben den Quantum-Jump-Alben auch Kevin Coyne seine wenig erfolgreiche Musik aufnahm. Auch die weiter oben erwähnten Acts, für die Hine als Produzent tätig war, nahmen ihre Alben dort auf. Man sieht, Rupert war nicht nur musikalisch und kreativ, sondern besaß auch einen tüchtigen Geschäftssinn. Das Studio war übrigens top ausgestattet. An den Reglern saß Stephen Tayler, der auch als Co-Produzent genannt wird. Produziert wurde natürlich von Rupert selbst.
Hine spielte alle Instrumente (vor allem die Synthesizer) selbst, wurde auf einzelnen Tracks aber unterstützt von:
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Die Musik stammt ausnahmslos von Hine, die Texte hat Jeanette Obstoj geschrieben.
Phil Palmer war ein gefragter und vielbeschäftigter Sessionmusiker, der zuvor schon für so unterschiedliche Künstler wie Joan Armatrading, Shakin Stevens, David Essex, Steve Harley und viele andere gearbeitet hatte. Die Musik wurde Palmer schon in die Wiege gelegt, da er ein Neffe der Davies-Brüder von den Kinks ist.
Phil Collins kennt natürlich jeder. Zur Zeit der Aufnahmen zu Immunity hatte er sich bereits als Frontmann von Genesis etabliert und sein erstes Soloalbum Face Value veröffentlichte.
Die legendäre Marianne Faithfull war schon seit den Sechzigern aktiv im Musikbusiness, wurde aber hauptsächlich als Geliebte von Mick Jagger bekannt. Auf Immunity hat sie nur einen ganz kurzen Auftritt.
Trevor Morais arbeitete schon zu Quantum-Jump-Zeiten für Hine. In den Sechzigern soll er angeblich als möglicher Drummer für die Beatles im Gespräch gewesen sein. Ein interessantes What-if?-Szenario tut sich da auf…
Geoffrey Richardson spielte immer wieder mal bei Caravan mit, arbeitete aber auch für stilistisch völlig unterschiedliche Gruppen wie die Ozark Mountain Daredevils und die Punkband The Buzzcocks. Mit Hine war er auch bei Quantum Jump tätig. Auf Immunity ist er an der Bratsche (nicht) zu hören.
Ollie W. Tayler ist das Pseudonym von Stephen W. Tayler, einem Tontechniker und Produzenten, der zuvor schon für Gong, Brand X und Bill Bruford gearbeitet hatte. Für Immunity war er als Co-Produzent und Aufnahmetechniker tätig. Und spielte eine nicht hörbare Blockflöte und eine nicht wahrnehmbare Klarinette.
Hier die Tracklist des Original-Albums:
Das Album erschien 1981 auf dem renommierten A&M-Label in einer damals üblichen Aufmachung: kein Gatefold, dafür aber ein bedrucktes Inlay. Das Cover war in der für die damalige Zeit typische und unverzichtbare Farbe Pink getaucht und zeigte einen bandagierten Kopf mit einer Brille. Die Rückseite war noch pinker und zeigte Rupert Hine himself.
Das bedruckte Inlay wiederholte das Mumienmotiv des Covers in einer recht obszönen Pose. Vermutlich handelt es sich hierbei aber nicht um Rupert, sondern um seine Muse Jeanette Obstoj. Die Rückseite ist in Schwarz gehalten, auf ihr sind die Lyrics abgedruckt.
Das Kürzel A & M steht übrigens für Herb Alpert, einem Jazz-Trompeter der das Label zusammen mit Jerry Moss, ebenfalls Trompeter und ebenfalls 1935 geboren gründete. Stilistisch einordnen ließ sich das Label nicht, es veröffentlichte so verschiedenen Acts wie Cat Stevens, Joe Cocker, Procol Harum, Liza Minelli und viele andere. A&M war übrigens eines der ersten unabhängigen Label der Staaten, also ein Independent-Label- Anfang der Achtziger verpflichtete das Label namhafte Künstler wie Janet Jackson, Chris deBurgh und Bryan Adams, die schon bald zu Zugpferden avancierten. Mit der Single „We are the World“ vom kosmopolitisch-gutmenschlichem Projekt USA for Africa sowie dem Soundtrack zu „Good Morning Vietnam“ war das Label damals auf dem finanziellen – wenn auch nicht kreativen – Höhepunkt. Wurscht, oder? Labelgründer Alpert kann auf jeden Fall auf seine Rolle eines Vaters eines goldscheissenden Esels stolz sein. Ist ja auch keine Sünde. Abermals wurscht.
Sehen wir uns die einzelnen Tracks aber mal wieder genauer an.
Die Platte beginnt mit , einem elektronisch pumpenden New-Wave-Song voll düsterer Atmosphäre und Melancholie, der ein wenig an Ultravox erinnert. Hine singt verzweifelt und gleichzeitig äusserst gleichgültig darüber, wie er auf einem Hochhaus steht, das Leben unter sich betrachtet und einen Sprung als die beste aller Lösungen ansieht: einen Weg, loszulassen. Er wartet nur noch seinen Schwindel ab…
I hang on ist ein gewagter Opener für ein Album, gleichzeitig aber auch der vielversprechendste. Allerdings ist es auch der einzige Song auf dem ganzen Album, der in diesem Stil gehalten ist. Der Song wurde auch als Single veröffentlicht, mit Samsara als Flipside.
, der nächste Song, ist musikalisch leichtfüssiger, typisch 80er Synthie-Pop, textlich aber melancholisch und nachdenklich. Der Song handelt von Liebe, die – ohne den Blickwinkel zu verraten – zumindest einseitig nicht unbedingt aufrichtig, tief und ehrlich ist. Auf diesem Track hat Marianne Faithfull ihren ganz kurzen Auftritt. Mit ihrer rauchigen und leicht brüchigen Stimme haucht sie einige Textzeilen ins Mikro und verschwindet dann wieder in der Garderobe um sich die Nase zu pudern.
ist ein langsamer Song, sehr melancholisch und ein wenig leidend vorgetragen. Musikalisch eher sparsam instrumentiert, rhythmisch untermalt von den Klängen einer fahrenden Eisenbahn (Dodeskaden, Dodeskaden!).
Hines Stimme erinnert wieder frappant an Ultravox und auch die damals aufkommende New-Romantic, deren bekannteste Vertreter die Band Visage mit ihrem Hit Fade to Grey waren. Hat mit 50 Shades of grey aber nix zu tun.
Der Text ist schwer zugänglich, kryptisch und symbolisch. Samsara ist im Hinduismus der ewige Kreislauf des Lebens, des Werdens und Vergehens. Das Leben gleicht einer endlosen Reise und der Eisenbahn-Rhythmus wurde von Hine wohl nicht zufällig gewählt. Wie bereits erwähnt war der Song die Flipside der ausgekoppelten Single I hang on to my Vertigo.
Der nächste Song, poltert schräg und hypnotisch-monoton daher, bis dann der Refrain in typischer 80er Manier einsetzt. Der Text ist erneut vieldeutig und regt zum Nachdenken an. Was wäre Halloween ohne Kürbis, was wäre, wenn wir die Oberflächenspannung des Lebens und der täglichen Maskerade durchbrechen und sinken? Eine dünne Haut trennt uns lt. Obstoj vor dem Bodenlosen, auf der wir insektengleich nur auf einer dünnen Haut herumspazieren.
schließt die erste Plattenseite ab. Ein düsterer, bedrohlicher und anklagender Song voller beunruhigender und schräger Sounds, garniert mit Hines verzweifelter Stimme. Der Song ist abwechslungsreich, in seinem Aufbau schon progressiv. Rhythmus, Tempus- und Melodiewechsel geben sich die Hand. Stellenweise erinnert der Song vom Sound her an The Residents. Der Text ist sehr düster und behandelt das Thema Lynchjustiz. Ein Mann wartet darauf, gehängt zu werden. Er hat die Ausgangssperre missachtet. Ein Song, wie er zum Soundtrack eines imaginären Corona-Westerns passen könnte. Genial ist die Sequenz, in der zu einer Art Kinderlied-Melodie die niederen Motive der Anklage besungen werden. So sind die Menschen eben, sonst wären sie keine. Trevor Morais spielt Schlagzeug.
Seite Eins ist dann aus.
Seite Zwei beginnt mit dem Titeltrack des Albums. Scheinbar beschwingt und gutgelaunt besingt Hine seine Art und Weise seine Gefühle zu kontrollieren und eine Mauer aus Immunität gegenüber den Unbillen des Lebens und der Menschen aufzubauen. Die spielerische Leichtigkeit, mit der der Text vorgetragen wird, steht absichtlich in krassem Gegensatz zum Text. Auf gibt sich dann Phil Collins die Ehre und trommelt ein wenig herum.
ist sehr schräg und sehr komplex. Der Rhythmus ist treibend-monoton, Hines Gesang roboterhaft. Im Refrain und im Mittelteil mutiert der Track dann überraschend zu einer Art Musical-Song. Trevor Morais und Phil Collins trommeln abwechselnd im Hintergrund herum.
beginnt mit ein wenig Musique-Concrete: Die Rhythmus-Sektion wird von klirrenden Flaschen und ploppenden Kronenkorken bestritten, allesamt natürlich gesampled und zusammengefrickelt. Hine singt ironisch in bester Musical-Tradition über mentale Kapitulation, die aus Langeweile geboren wurde. Dazu ein “Hoch und lasst die Korken knallen” im Refrain: Boredom, Bordem – Psycho Surrender!
Auf diesem Song spielt Ollie Tayler lt. den Credits Klarinette und Blockflöte, allerdings gelang es mir auch bei mehrmaligem Hören nicht, diese herauszuhören.
schließt das Album dann mit einem sehr nachdenklichen Longtrack mit fast 6 Minuten über Sehnsüchte und Wünsche ab, die schon fast psychotisch anmuten. Es ist eine Art kleine und anspruchsvolle Suite, zusammengestückelt aus verschiedenen Melodien, Sounds und Effekten. Stellenweise ist die Komposition aber auch sehr hart und rhymthmusorientiert, manchmal dann wieder in krassem Gegensatz dazu sehr lyrisch und leise Töne anschlagend. Trevor Morais spielt hier erneut Schlagzeug, Geoffrey Richardson Bratsche. Letzteren kann ich aber ebensowenig wie Taylers Klarinette im vorangegangenen Track heraushören. Entweder sind die Instrumente im Mix untergegangen, oder sie wurden so stark verfremdet, dass sie nicht mehr zu erkennen waren.
Immunity war eine meiner Lieblingsplatten der ganz frühen Achtziger, mit denen ich musikalisch sehr wenig anfangen konnte. Zu sehr hing ich damals noch den vermeintlich guten, alten Zeiten nach. Die Prog-Bands gab es nicht mehr oder waren nur noch ein fades Abziehbild früherer Tage. Lediglich die überraschend wiedererstandenen King Crimson konnten mich überzeugen. Alles Andere an Neuerscheinungen war in meinen Ohren damals Müll, obwohl ich diese Meinung inzwischen revidieren konnte. Es gab durchaus hörbare, gute und innovative Musik. Man musste nur seinen Horizont ein wenig erweitern und über den Tellerrand blicken und lauschen. Wenigstens gelang mir dies mit unserem heutigen Album, das inzwischen auch schon 40 Jahre auf dem Buckel hat. Kennengelernt habe ich es damals durch I hang on to my Vertigo und erwartete vom ganzen Album natürlich ähnliches Material, das ich natürlich nicht vorfand. Wurde die Platte aufgelegt, lief dann auch meistens nur dieser Song in Endlosschleife. Was dem Album aber nicht gerecht wird, wie ich heute meine. Immunity hat weitaus mehr zu bieten als diesen – zwar genialen udn zeitlosen – Song, was die musikalische Komplexität und die Tiefe der Lyrics betrifft. Immunity ist nur vordergründig Synthie-Pop. Die Musik ist vielschichtig und komplex. Nichts ist dem Zufall überlassen, alles geschieht mit Sinn und Verstand. Hines Kompositionen begleiten die tiefgründigen und anspruchsvollen Texte kongenial und geben ihnen so die Möglichkeit einer optimalen Entfaltung. Hine selbst hat zwar die ausgelatschen Pfade des progressiven Rocks verlassen und beschreitet neue Wege, spinnt aber den Grundgedanken dieses Genres weiter und verpasst ihm ein zeitgemässes Gewand. Alles Herkömmliche hat er über Bord geworfen, was sowohl die Art der Instrumentierung betrifft, als auch das Gefüge der musikalischen Entstehung selbst. Man findet keine Band vor, man findet die Musik selbst. Man findet keinen Rock mehr, man findet anspruchsvolle Musik in modernem Outfit. Hine ist seinen Weg gegangen und hat alles richtig gemacht. Er lebte nicht in the Past, sondern war offen für alles. Er wiederholte sich nicht einfach, sondern definierte sich neu.
Immunity ist in seiner Gesamtheit inzwischen eins meiner Lieblingsalben, was nicht zuletzt den Texten zu verdanken ist.
Das Album war zwar kein großer Wurf in kommerzieller Hinsicht, dafür aber begründete es Ruperts Ruf als herausragender Musiker und Produzent.
Immunity erschien gleichzeitig zum Album auch auf Kassette, 8 Jahre später auf CD. Diese Version beinhaltete die Songs in teilweise längeren Versionen und wartete sogar mit einem Bonustrack auf: Scratching At Success, der nahtlos aus Make a Wish entsteht und auf dem erstmals Jeanette Obstojs Stimme zu hören ist. Ein weiterer Bonustrack, Introduction To The Menace, fand sich dann auf dem 2001er Release. Ein sehr schönes und stimmungsvolles Instrumental, bei dem man dann auch endlich die Bratsche hören kann.
Was wurde aus den Beteiligten?
veröffentlichte noch weitere Soloalbe, so z.B. ein Jahr nach Immunity die Platte Waving not drowning, auf der er seinen Stil weiter entwickelte. Später veröffentlichte er unter dem Namen Thinkman ab 1996 3 Platten. Thinkman war eine Pseudo-Band hinter der Hine alleine tätig war, wie gehabt, unterstützt von Gastmusikern. Ganz nebenbei war er nach wie vor mit wachsendem Erfolg als Produzent tätig, unter anderem für Suzanne Vega, Rush, Bob Geldof und viele andere. 1992 war er unter anderem mit King Crimson`s Bassisten Tony Levin und seinem langjährigen Gitarristen Phil Palmer mit der Band Spin 1ne 2wo unterwegs. Die Band veröffentlichte nur ein einziges Album. Hine verstarb 2020 im Alter von 72 Jahren.
schrieb nach wie vor die Songtexte für Rupert, aber auch für Acts wie Tina Turner. Jeanette verstarb 2015 nach kurzer, schwerer Krankheit.
spielte für so bekannte und völlig unterschiedliche Bands und Interpreten wie z.B. Pet Shop Boys, Joan Armatrading, Dire Straits und Eric Clapton. Mit Hine war er in den Neunzigern in dem kurzlebigen Projekt Spin 1ne 2wo tätig.
war, blieb und ist immer noch Phil Collins, über den ich hier vermutlich nicht viele Worte verlieren brauche.
wurschtelte sich wie schon zuvor durchs Leben, veröffentlichte Platten und wirkte in diversen Filmen mit. 2020 erkrankte sie an COVID, überlebte aber ohne Schäden und Folgen.
spielte nach Immunity für Tina Turner und später auch live für Björk.
arbeitete weiterhin mit Hine und Thinkman zusammen, war aber auch für die Buzzcocks, Paul Brady, Murray Head, Penguin Cafe Orchestra und viele andere tätig.
arbeitete unter seinem richtigen Namen weiterhin als Produzent und Tontechniker für unterschiedliche Acts wie z.B Tina Turner, Suzanne Vega, Howard Jones, Bob Geldof und Justin Hayward.