Ringo´s Plattenkiste - Burundi Black
Ohrwürmer. Oft geschieht es im bunten Rockzirkus, dass man eine ganz bestimmte Melodie oder den dazugehörenden Song kennt, ohne zu wissen, von wem er eigentlich stammt. Eine Erfahrung, die wohl jeder von uns kennt. Oder? „Hab ich schon mal gehört“ oder „kenne ich von irgendwoher“. Wer hat sich das nicht schon mal gedacht. Hand hoch, wer eine Ron-Geesin-LP gewinnen möchte. Hand runter, wer lieber in Ruhe weiterlesen und vielleicht ein musikalisches Geheimnis gelüftet haben möchte.
Da Ringos Plattenkiste immer für eine Überraschung gut ist, wird ein solches Geheimnis heute mal ein wenig genauer betrachtet; außerdem geht es diesmal nicht wie üblich um ein Album, sondern ganz bescheiden um eine Single. Muss auch mal sein.
Wie schon oft zuvor handelt es sich bei der heutigen Scheibe um eine Veröffentlichung aus den Siebzigern. Sogar aus den ganz frühen Siebzigern. Rock ist es diesmal keiner, auch kein Prog. Vielmehr handelt es sich bei dem heutigen Plättchen (ein Diminutiv)um ein sehr frühes Stück Weltmusik, auch Ethno genannt. Was hat es damit auf sich? Werfen wir - wie üblich – einen Blick zurück, und einen weiteren auf den schwarzen Kontinent.
1967 unternahmen Michel Vuylsteke and Charles Duvelle, zwei Pioniere auf dem Gebiet der Weltmusik, einen Ausflug nach Afrika, um dort Musik aufzunehmen. Während ihres Aufenthaltes waren sie zu Gast bei einem Stamm der Ingoma in Afrika, die im Osten des Kontinents im Staat Burundi ansässig sind.
Burundi ist relativ unbekannt, tatsächlich ist dieser extrem kleine Staat aber einer der am dichtesten besiedelten Staaten des afrikanischen Kontinents überhaupt. Geografisch liegt der Zwergstaat zwischen dem Victoria- und dem Tanganijkasee. Im Norden liegt Ruanda. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Land kolonisiert, sprich: unter Beschlag genommen. Bis 1916 war es Bestandteil von Deutsch-Ostafrika. Der erste Weltkrieg setzte dem ein Ende, was aber keineswegs Freiheit bedeutete. 1916 wurde das Land von Belgien besetzt und später vom belgischen Kongo verwaltet. Hauptbevölkerung waren die Hutu und die Tutsi.
Michel Vuylsteke and Charles Duvelle wurden auf ihrer Reise durch den Schwarzen Kontinent auf eine Trommlergruppe aufmerksam, den Royal Drummers of Burundi, einem Ensemble aus 25 Männern, das bei Geburten, Beerdigungen und anderen zeremoniellen Anlässen auftrat. Die Combo spielte auf traditionell aus ausgehöhlten Baumstämmen und mit Tierfellen bezogenen Trommeln, den Karyenda. Die Trommel symbolisiert sowohl den Staat Burundi, als auch dessen König, den Mwami. Die Karyenda ist auch das Zentralsymbol der Staatsflagge Burundis.
1962 wurde von König Mwambutsa IV Burundi sogar ein elitärer Orden gegründet. Die Trommler und die Trommeln waren etwas besonders, letztere sogar gewissermaßen heilig.
Sie wurden in besonderen Behausungen aufbewahrt, den so genannten Trommelhäusern. Die Heiligtümer wurden hauptsächlich von Hutu-Familien bewacht, die die einzigen waren, denen der König erlaubte, die Trommeln herzustellen, zu spielen und aufzubewahren. Diese Hutu wurden Abatimbo genannt, das bedeutet "die, die hart schlagen". In jedem Trommelhaus thronte eine heilige Trommel, die streng bewacht wurde.
Beim Spielen gibt es neben einer zentralen Trommel, Inkiranya genannt, Amashako-Trommeln, die einen kontinuierlichen Beat liefern, sowie Ibishikiso-Trommeln, die dem Inkiranya-Rhythmus folgen. Begleitet wurden diese Haupttrommeln von kleineren Trommeln, den so genannten Ingendanyi sowie von einer Reihe weiterer, untergeordneter Trommeln, die mit den Haupttrommeln gespielt wurden. Die Spielweise der Burundi-Trommler ist seit Jahrhunderten dieselbe und ihre Techniken und Traditionen werden vom Vater an den Sohn weitergegeben. Die Mitglieder des Ensembles spielen abwechselnd Inkiranya, tanzen, ruhen sich aus und spielen die anderen Trommeln, die sich während der gesamten Show ohne Unterbrechung in drehenden bewegungen gehalten werden.
Zu Beginn eines Auftritts balancieren die Schlagzeuger die schweren Trommeln auf ihren Köpfen, während sie singen und spielen. Zusätzlich gibt es nicht-trommelnde Mitglieder, die dekorative Speere und Schilde tragen und die Darbietung mit ihrem Tanz begleiten. Es wird stets eine Reihe festgelegter Rhythmen gespielt, von denen einige von Gesängen begleitet werden. Ist die Darbietung zu Ende, verlässt das Ensemble die Bühne auf die gleiche Weise: sie tragen die Trommeln auf dem Kopf und spielen. Eine komplizierte Angelegenheit also, die nicht jedermann beherrschen dürfte.
Der Sound der Trommler ist hypnotisch, einzigartig, eingängig und unverwechselbar. Kein Wunder also, dass europäische Forscher und Musikproduzenten auf sie aufmerksam wurden. 1968 erschienen die Feldaufnahmen Vuylstekes & Duvelles auf der Platte „Musique du Burundi“. Die Burundi-Drummer waren unter dem Namen „Ensemble de Tambours“ mit einer 7-minütigen Aufnahme vertreten. Der Rest der Platte war eine bunte Mischung aus typisch afrikanischen Gesängen und Musikstücken. Nach den Aufnahmen für Michel Vuylsteke and Charles Duvelle wurden die Trommler bald einem größeren, internationalen Publikum bekannt und bereisten auf ausgedehnten Tourneen die stets nach exotischen Genüssen gierende Welt.
Aber um diese kuriose Platte geht es heute nicht, zumindest nicht direkt. Sie ist aber dennoch wichtig für unser heutiges Thema. Der Burundi-Drumtrack aus diesem Album hat einen jungen Franzosen dazu inspiriert, etwas ganz Neues daraus zu machen, mit dem er sehr erfolgreich werden sollte. Der junge Musiker Michel Bernholc entdeckte 1971 auf dieser obskuren Platte einen Track, der ihn faszinierte.
Der am 10. Juli 1941 in Paris geborene Bernholc, übrigens ein Freund von Michel Polnareff aus frühen Kindertagen, besuchte das Pariser Musikkonservatorium, wo er unter anderem eine Auszeichnung für Klavier, Musiktheorie und Harmonie erhielt. Nachdem er zunächst eine Karriere als Konzertmusiker begonnen hatte, lernte er bald Michel Berger kennen und wandte sich der Popmusik zu. Bernholc war in den 1970ern mit Künstlern französischer Lieder stark präsent, er selbst war in verschiedenen Pseudonymen oftmals Autor oder Komponist für bekannte Künstler. Unter anderem war er für so bekannte Acts wie Véronique Sanson, Françoise Hardy, France Gall, Michel Jonasz, Catherine Lara, Julien Clerc, Jean-Jacques Goldman, Alain Chamfort, Claude François, Michel Sardou, Gilbert Bécaud und Michel Delpech tätig. Bernholc war aber auch als Solist aktiv, so veröffentlichte er 1971 unter dem neuen Pseudonym Steiphenson die hymnische Instrumentalnummer Harmony Sounds N° 1, eine verdammt eingängige Instrumentalnummer, die von seinem typischen Pianosound lebt.
Bernholc entdeckte danach die erwähnte Burundi-Platte und griff den Drumtrack des Albums auf, verwendete ihn als Basictrack und versah ihn mit diversen Overdubs, unter anderem einem hypnotischen Pianoriff, ähnlich wie auf seiner ersten Single.
Veröffentlicht wurde dieses sehr frühe Stück Sample-Musik dann 1971 auf dem französischen Label Barclay, der damals führenden Plattenfirma Frankreichs. Erwähnenswert ist sein Independent-Status, den es sich bis 1978 bewahren konnte. Danach wurde es vom Branchenriesen PolyGram geschluckt. Barclay war seinerzeit wegweisend und bahnbrechend. Das Label entdeckte und förderte künftige Legenden wie Charles Aznavour, Jacques Brel, Francoise Hardy und Juliette Greco. Barclay war marktführend und hatte einen enormen Anteil an der Entstehung des französischen Chansons. Auch die fusslige Kelly-Family war später bei Barclays unter Vertrag. Labelgründer Eddie Barclay, eigentlich Édouard Ruault, war übrigens neunmal verheiratet.
Die unter dem Namen Burundi Steïphenson Black veröffentlichte Single wurde sehr erfolgreich und erreichte Platz 31 in der UK Singles Chart und Platz 74 in Australien. Die 7“ steckte in einer der damals üblichen Papierhülle, die 2-farbig bedruckt war und trommelnde Männer zeigt.
Die Tracklist ist diesmal recht bescheiden:
Auch die Credits der 7“ sind eher dürftig. Es finden sich auf der Rückseite lediglich einige Angaben zur Entstehung der Songs, sowie ein Verweis auf den Ursprung der Trommelaufnahmen. Bernholc-Steïphenson werden Piano, Orchestration und Direction, also Produktion, zugeschrieben.
Die Songs sind mit je 3 Minuten und 45 Sekunden Single-typisch sehr kurz.
Wie erwähnt bilden die Trommeln der Burundi den rhythmischen Background, zusammengeschnitten und gefrickelt aus den Originalaufnahmen des 1968er Ocura-Albums, die von Bernholc klanglich verbessert und aufbereitet wurden. Die Drums klingen auf dem Album nämlich ein wenig dröhnend und scheppernd.
Bernholc mischt dazu seinen musikalischen Beitrag, der teilweise dem Rhythmus selbst nacheifert, andererseits in gewolltem Gegensatz dazu steht: Schwebende und perlende Piano-Einsprengel, klassisch angehaucht und ein verzerrtes E-Piano wechseln sich ab, schließlich lässt eine dezente E-Gitarre mit ihrer Melodie an einen Soundtrack von Morricone denken. Dies liest sich vermutlich so, dass das alles nicht wirklich zusammenpasst, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Bernholc gelingt es spielerisch, all diese scheinbar unvereinbaren Elemente zu harmonisieren und gleichberechtigt zu erklingen. Nichts wirkt aufgesetzt oder unpassend, alles fügt sich zu einem eingängigen Stück Musik zusammen, das man sich, sobald es zu Ende ist, gleich wieder anhören mag.
Part 2 ist identisch mit Part 1, was die Drums betrifft, weicht aber insofern ab, da diesmal die Drums dominieren: Part 2 bietet Rhythmus pur, gänzlich ohne Bernholcs Overdubs.
Insgesamt eine faszinierende Platte mit einem kultigen Ohrwurm. Burundi Black erschien in diversen Auflagen immer wieder, dazu kamen unzählige mehr oder minder gelungene Remixe. 1981 wurde ein neues Arrangement von "Burundi Black" vom Schlagzeuger Rusty Egan (Visage) und dem französischen Plattenproduzenten Jean-Philippe Iliesco aufgenommen und in Großbritannien und den USA veröffentlicht, wo es zu einem Dancefloor-Hit wurde.
Bernholc veröffentlichte als Burundi Black B 2 Jahre später eine neue Single mit dem Titel Marabunta, der aber kaum mehr als eine Variation des Vorgängers war, ebenso wie die Flipside, die diesmal aber noch stärker an Morricone erinnert. Unnötig zu erwähnen, dass die Single floppte uns Bernholc sich anderen Projekten zuwandte.
Der Titel Marabunta in Kombination mit afrikanischen Trommlern ist ein wenig seltsam. Marabunta klingt zwar mit viel Phantasie afrikanisch, ist es aber nicht. Tatsächlich ist es die Bezeichnung einer südamerikanischen Art von räuberischen Wanderameisen. Da ich schon beim Verlassen des eigentlichen Themas bin, möchte ich noch gerne erwähnen, dass im Jahre 1998 ein trashiger Tier-Horrorfilm mit dem markerschütternden Titel „Marabunta – Killerameisen greifen an!“ gedreht wurde. Ein Kandidat für Kalkofes SchleFaz mit Mitch Pileggi, dem glatzköpfigen Direktor Skinner aus Akte X in einer der Hauptrollen. Der Streifen war aber auch keineswegs originell, ist er doch ein Plagiat des 1954er Streifens Wenn die Marabunta droht, mit Charlton Heston in der Hauptrolle. Produziert von George Pal, der 6 Jahre später mit Die Zeitmaschine einen Klassiker des Sci-Fi-Films drehte.
Zurück zum Thema.
Die Burundi-Drums wurden aber nicht nur von Bernholc verwurstet, sondern auch von Joni Mitchell in ihrem 1975er Song "The Jungle Line", 1989 dann von den Beastie Boys auf "59 Chrystie Street". 1982 trat die britische Band Echo and the Bunnymen live zusammen mit der Royal Drummers of Burundi beim WOMAD-Festival auf. Zu hören ist der mitgeschnittene Track Zimbo auf der B-Side der Maxi „The Cutter“.
Ein weiteres Beispiel für musikalische Mehrfachverwertung findet sich auch im Soundtrack zu Werner Herzogs Film Fitzcarraldo. Die deutsche Band Popol Vuh, die für die Filmmusik verantwortlich zeichnete, verwendete Auszüge aus Aufnahmen der Burundi-Drummer. Auf der Platte zum Film ist das Stück „Musik aus Burundi“ zu hören, was ein wenig seltsam anmutet, da der Film ja in Südamerika spielt.
Die Drums inspirierten auch Bands wie Def Leppard auf ihrem Song „Track Rocket“, und Adam and the Ants bei „Stand and deliver“.
Mir selbst kam das Stück Ende der Siebziger zu Ohren, wo es hin und wieder vom Radiosender Bayern 3 als Hintergrundmusik für irgendwelche Ansagen verwendet wurde. Die Musik blieb sofort bei mir hängen, aber leider wurde niemals erwähnt, von wem sie denn stammte. Das erfuhr ich erst einige Jahre später.
Mein Exemplar ist eine schmucke CD in einer sexy Leoparden-Plüsch-Hülle.
Auf der CD befinden sich 4 Tracks: Part 1, Part 2 (extended), sowie 2 unsägliche Remixe mit gekünstelten Rap-Vocals (this is the Voice of Africa) und dazugemischtem Tarzan-Schrei.
Leider muss erwähnt werden, dass die Ingoma-Drummer für alle Veröffentlichungen, auf denen sie zu hören waren, keinen Pfennig erhielten.
Was wurde aus Bernholc?
Der brachte 1972 als Mike Steiphenson eine Single mit dem Titel „Slalom“ heraus, die aber kaum beachtet wurde. 1975 folgte eine weitere, „Harlem in white“, die ebenfalls baden ging. Er legte seine Projekte Mike Steiphenson & Burundi Black auf Eis und arbeitete als Produzent, Arrangeur und Songwriter für bekannte Künstler wie z.B. Véronique Sanson, Julien Clerc, Françoise Hardy, Sydne Rome, Michel Berger und viele mehr. Nebenbei schrieb er Musik für Film und Fernsehen und orchestrierte Musicals. Bernholc nahm sich 2002 das Leben und ist auf dem Pariser Prominenten-Friedhof Bagneux begraben.