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Ringo`s Plattenkiste: Budgie - Bandolier

Budgie - Bandolier

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht        man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten  Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

Der heutige Beitrag ist für die Harten unter uns, denn er entführt uns in die Anfangszeiten des Heavy Metal, als Musiker und vor allem Plattenfirmen stets auf der Suche nach neuen Ufern und Trends waren. Es gab viele Wegbereiter für die neue Härte im Rock, wie z.B. Blue Cheer, Gun (Ringo berichtete) oder Black Sabbath (Ringo berichtete) und eben auch die heutige Band. Klar, dass sie aus good old England kam, wo die meisten guten Trends ihren Anfang nahmen.

Fliegen wir einfach mal über die Nordsee und richten unsere Aufmerksamkeit auf Wales. Das dortige Klima ist zwar gemäßigt, aber dennoch sehr wechselhaft und feucht. Cardiff ist Geburtsort von Dave Edmunds, Ken Follett, Andy Fairweather Low von Amen Corner und auch John Burke Shelley. Den kennt jetzt niemand, aber das wird sich gleich ändern.

1968 gründete Shelley mit 2 weiteren Musikern in Cardiff, einer sehr alten Stadt im Südosten von Wales, deren Wurzeln bis ins Jahr 4000 vor Christus zurückreichen, eine Band mit dem Namen Hills Contemporary Grass, der aber ein Jahr später schon wieder geändert wurde zu Budgie. Ein gutes Beispiel dafür, dass englische Namen, ins Deutsche übersetzt, einfach blöd klingen. Eine Rockband mit dem Namen Wellensittich? Kein Kaufanreiz, oder?

Für kurze Zeit lautete der Name Six Ton Budgie, der sich aber nicht lange hielt. Shelley gefiel der Widerspruch zwischen dem niedlichen Namen und der lauten und harten Musik, die sie spielten. Die Besetzung war auf das Wesentlichste reduziert: Gitarre, Bass und Schlagzeug. Ein Power-Trio ohne Sperenzchen!

1968 nahmen die Sittiche einige Demos auf, die sie an Plattenfirmen verschickten und recht bald Erfolg hatten: MCA bot ihnen einen Vertrag an, den sie natürlich gleich unterschrieben.

1971 erschien ihr unbetiteltes Debutalbum, das unter der Regie von Rodger Bain, dem Black Sabbath-Produzenten aufgenommen wurde. Die Musik war bluesorientierter Hardrock und wurde von den Käufern gut aufgenommen. Das Cover zeigte das bunte Bildchen eines berittenen Kriegers mit Sittichkopf. Der Schöpfer war ein gewisser David Sparling (nicht Sperling), über den ich nichts Näheres in Erfahrung bringen konnte.

1972 erschien der Nachfolger „Squawk“ mit schickem, verkaufsförderndem Roger Dean Cover, das eine Lockheed SR 71 mit Vogelschädel zeigt. Dean war zu dieser Zeit fasziniert von der Verschmelzung mechanischer Elemente mit organischen. Ein gutes Beispiel hierfür ist der biomechanische Reiter des Paladin-Albums „Charge“ (Ringo berichtete). Als Vorlage für die Zeichnung des Vogel-Flugzeugs diente ein Modellbausatz, den Dean mit einem echten Schädel kombinierte. Sein Wunsch war es ursprünglich, ein S/W-Photo davon als Cover zu verwenden, diese wurde aber vom Label verworfen. Die Musik auf diesem Album war in ähnlichem Stil wie das Debut angelegt, wies aber stellenweise Parallelen zu den Beatles (kennt die jemand?) auf.

1973 ging es weiter mit „Never turn your back on a Friend“. Die Musik auf diesem Album war härter als auf den Vorgängern und enthielt den Song „Breadfan“, der viele Jahre später von Metallica gecovert wurde, was der Band in den späten Achtzigern einen neuen Popularitätsschub lieferte. Das Cover stammte abermals von Dean und zeigt eins seiner in den Siebzigern bekanntesten Motive.

Ray Phillips hatte die Band inzwischen verlassen und wurde für das Album „In for the Kill“ durch Tony Boot ersetzt, der aber bereits im Folgejahr ausschied und durch Steve Williams ersetzt wurde, mit dem auch das Album eingespielt wurde, um das es heute geht: Bandolier. Phillips gründete übrigens später eine eigene Band mit dem Namen „Six Ton Budgie“.

Aufnahmeort war wieder das Rockfield Studio, wo bereits alle Vorgängeralben eingespielt wurden. Produziert wurde das Album diesmal von der Band selbst. An den Reglern saßen Pat Maran, Ray Martinez und Richard Manwaring.

Maran war schon am Vorgängeralbum als Toningenieur dabei. Martinez war Sessionmusiker und arbeitete nebenbei als Toningenieur. Mitte der Achtziger war er Mitglied der Glamrockband Showaddywaddy. Und Manwaring saß vorher für Status Quo, Bee Gees und Chick Corea am Mischpult.

Das Rockfield Studio, ein umgebauter Bauernhof in Wales, war eins der ersten Tonstudios, das über Wohnräume für die Kunden verfügte. Besondere Berühmtheit erlangte das Studio durch die Aufnahmen von Queens „Bohemian Rhapsody“. Das Rockfield wurde nach und nach ständig erweitert und ausgebaut und existiert heute noch. Im Laufe der Jahre gaben sich dort Berühmtheiten wie Oasis, Simple Minds und Robert Plant die Klinke in die Hand.

Die Besetzung sah aus wie folgt:

Burke Shelley: Bass, Vocals

Tony Bourge: Guitars

Steve Williams: Drums

Bandolier erschien 1975 im Standard Sleeve mit einem wunderschönen Fantasy-Cover von Patrick Woodroffe (Ringo berichtete). Wooodroffe griff die Thematik des Kriegers mit Vogelkopf wieder auf, fügte aber einen neuen Aspekt hinzu, nicht ganz freiwillig, wie er erzählte:

Graham Maloney, der Manager der Band, reiste nach Cornwall, um das Bild für diese Platte zu besprechen. Die Anweisungen, die ich erhielt, klangen unmöglich. Ich sollte das Bild auf Planet der Affen abstellen, doch anstelle von Affenköpfen sollte ich die Köpfe von Wellensittichen nehmen. Die Wellensittiche sollten außerdem grimmig aussehen

Woodroffe fertigte das Bild also nach diesen Vorgaben an und machte das Beste daraus. Gemalt wurde es mit Gouache und Buntstiften auf Karton.

Die Rückseite der Platte zierten 3 Photos der Bandmitglieder sowie die Tracklist und die Credits.

Die Tracklist sah aus wie folgt:

Seite 1.

  1. Breaking all the House Rules
  2. Slip away
  3. Who do you want for Love?

Seite 2:

  1. I can´t see my Feelings
  2. I ain`t no Mountain
  3. Napoleon Bona part one
  4. Napoleon Bon apart two

Sehen wir uns die Songs ein wenig genauer an

Breaking all the House Rules eröffnet das Album mit einem ordentlichen Kracher. Der Song ist straight, die Riffs eingängig und die Musiker kommen gleich zur Sache. Wie es sich für einen ordentlichen Hardrocksong gehört, gibt es natürlich auch ein fetziges Gitarrensolo. Der Song ist aber nicht plump und dröhnt brachial aus den Lautsprechern, sondern ist in sich selbst sehr abwechslungsreich mit Melodie- und Tempuswechseln. Progressiver Hardrock eben. Mit über 7 Minuten ist dies auch der längste Song des Albums.

1982 haben sich die Scorpions mutmaßlich von diesem Track inspirieren lassen, als sie ihren Song „Can´t live without you“ aufnahmen, denn dort klingt ein Riff des Budgie-Songs nur allzudeutlich durch…

Slip away ist eine verträumte und wunderschöne Ballade mit Akustikgitarre, dezentem Schlagzeug und schwebendem Kopfstimmengesang. Man sieht, die Sittiche können auch anders.

Auf Who do you want for Love? Schlagen die Drei neue Töne an, denn sie spielen hier tatsächlich Funk, der mitreißender und cooler gar nicht sein könnte. Ein extrem cooler Song, in dem auch Shelleys Stimme kehlig und schwarz klingt. Budgie wären aber nicht Budgie, wenn sich der Song nicht schon bald zu Metal entwickeln würde, bei dem aber auch die Funkanleihen nicht zu kurz kommen. Eine frühe Art des Crossovers, könnte man sagen. Hart, eingängig, mitreißend, cool und tanzbar. Auch hier gibt es wieder einen sehr schönen und langen Gitarrenpart, der von Mundharmonikagejaule untermalt wird.

Seite 1 ist dann aus, drehen wir die Platte also mal um

I can´t see my Feelings haut uns wieder eingängige und knackige Riffs um die Ohren, die dazu beitrugen, Budgie als Vorläufer des Heavy Metal zu bezeichnen. In diesem Song steht passagenweise Shelleys Bass im Vordergrund. Viele Jahre später coverten Iron Maiden diesen Song.

I ain`t no Mountain ist eine Coverversion des 1974er Songs von Andy Fairweather-Low, dem ehemaligen Mitglied von Amen Corner, die mit „Bend me, Shape me“ einen Riesenhit hatten. Budgie interpretieren den Song auf ihre ganz eigene Art, die ein wenig an T. Rex erinnert. Witzig und gelungen. Und auch besser als das Original, das ein wenig primitiv wirkt.

Napoleon Bona part one & Napoleon Bona part two sind eigentlich ein einziger Song, der, um des Wortspiels Willen, als 2 Teile bezeichnet werden. Der Song beginnt wie eine ruhige Ballade, ähnlich wie Track 2 des Albums, legt dann aber ordentlich los und strotzt nur vor knallharten Heavy Metal Riffs und Gitarrensoli. Der Gesangspart ist bald schon zu Ende und der Song wird fast rein instrumental mit verzerrten und hallenden Gitarrensounds mit allerlei Stereoeffekten. Ein absolut grandioser Song, der nach 7 Minuten leider schon zu Ende ist.

Bandolier kam beim Publikum wieder recht gut an und erreichte in Großbritannien Platz 36 der Charts, brachte aber abermals nicht den erhofften Durchbruch.

Budgies Musik wurde gelegentlich als Mischung aus Rush und Black Sabbath beschrieben, was ich aber nur bedingt teile, denn tatsächlich waren sie eine eigenständige Band mit hohem Wiedererkennungswert. Burke gefiel der Vergleich mit Black Sabbath auch nicht besonders, da er gläubiger Christ war und sich stets von okkulten Texten distanzierte.

Shelley wurde gerne mit Geddy Lee von Rush verglichen: beide waren Bassisten und gleichzeitig Leadsänger in einem Power-Trio und sahen sich mit ihren langen Haaren und den großen Brillen auch optisch sehr ähnlich. Stimmlich lagen sie beide in einer Tenortonlage, beim Basspiel allerdings unterschieden sie sich: Lee zupfte, während Shelley ein Plektrum benützte.

Budgie wechselten ein Jahr nach Bandolier das Label und veröffentlichten bis 1982 weitere Alben, die zwar qualitativ gut waren, allerdings nie den erhofften Durchbruch ermöglichten. Gegen Ende der Siebziger wurde es dann besonders schwierig, da nun Disco, Punk und New Wave angesagt waren.

1978 stieg Tony Bourge aus und wurde durch John Thomas ersetzt.

Anfang der Achtziger wurden Lederkluft und lange Haare langsam wieder in, als die Geburtsstunde des Heavy Metal schlug. Bands wie Van Halen, Metallica, Saxon, Iron Maiden und viele andere schwammen ganz oben auf der Erfolgswelle. Leider blieb der ganz große Erfolg den Waliser Ziervögeln immer noch versagt, obwohl sie zweimal Headliner beim legendären Reading-Festival waren und Ozzy Osbourne als Vorgruppe begleiteten. Das Reading-Festival war bei seiner Gründung 1961 ursprünglich ein Jazzfestival, wechselte 1971 aber den Veranstaltungsort und das Musikgenre und wurde umbenannt.

Budgie war übrigens eine der ersten westlichen Hardrockbands, die hinter dem Eisernen Vorhang auftreten durften, als sie 1982 ein Konzert in Polen gaben. 1988 beendeten sie ihre Livepräsenz vorläufig, um sich vermehrt Studioprojekten zu widmen.

Kurioserweise hatte die Band in Texas eine außerordentlich große und treue Fanbase und bekam durch die Radio-DJ´s Joe Anthony and Lou Roney ausgiebiges Airplay.

In den Neunzigern fand sich die Band sporadisch zusammen, um Konzerte zu geben und Platten aufzunehmen. Das letzte Album erschien 2006.

Ich selbst kannte die Band lange Zeit nur durch die Roger Dean Cover aus dem Bildband „Views“, wie so viele andere Bands auch. Anfang der Achtziger erstand ich „Bandolier“ auf einem Flohmarkt in Marktredwitz, da mir das Cover gefiel und ich aufgrund der früheren Dean-Cover Prog darin vermutete. Leider war ich damals aber enttäuscht, als plötzlich Metal aus den Lautsprechern  dröhnte. Zu dieser Zeit war mein Musikgeschmack sehr Retro und auch sehr beschränkt. Was sich im Laufe der Jahre aber gottlob änderte, wie die Plattenkiste beweist.

„Bandolier“ ist inzwischen eine meiner Lieblingsplatten, die auch heute noch ihren Reiz hat und sich nicht abnützt.

Was wurde aus den Beteiligten?

Burke Shelley erkrankte während der 2010er Europatour an einem Aortenaneurysma und musste sich weitgehend vom Muszieren zurückziehen. Zudem litt er in seinen letzten Lebensjahren am Stickler-Syndrom, das eine Art Bindegewebserkrankung ist. Shelley starb 2022 im Alter von 71 Jahren im Schlaf.

Tony Bourge spielte später mit Ray Phillips in der kurzlebigen Metalband Tredegar,die nur ein einziges Album veröffentlichten. Bourge spielte in weiteren, erfolglosen Bands, bevor er sich vom Musikmachen zurückzog.

Steve Williams war, abgesehen von den Unterbrechungen, konstantes Mitglied bis 2020.

 

 © by Ringo Hienstorfer  (12/2024)

 

Das wars mal wieder für heute. Beim nächsten Mal geht es um eine Blutgruppe.

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