Unterwegs zur Vergebung - Die Kreuzfahrerin von Stefan Nowicki
Unterwegs zur Vergebung
Die Kreuzfahrerin von Stefan Nowicki
Sie wird nur mit dem, was sie auf dem Leib trägt, davon gejagt, als ihre Schwangerschaft erkannt wird und der Jungbauer die Vaterschaft abstreitet.
Ursula gelangt nach Regensburg und findet dort in Hilde eine Freundin, die sie bei sich aufnimmt. Mit der Kräuterkunde und gelegentlichen Männerbekanntschaften bestreiten sie ihren Unterhalt. Ursulas Baby wird nur wenige Tage alt.
Dann folgt der Aufruf zum ersten Kreuzzug. Lange vor den Rittern macht sich ein Heer aus Besitzlosen auf den Weg, um die Vergebung aller Sünden zu erlangen. Unterwegs verhalten die sich aber keinesfalls christlich, sondern morden, plündern, vergewaltigen und brandschatzen auf dem Weg, weil sie sich ja auf Vergebung verlassen, sobald sie Jerusalem erreicht haben. Auch Hildes Haus wird von diesem Pöbel niedergebrannt. Mit nur wenig geretteter Habe machen sich auch die beiden Frauen auf den Weg, schon weil sie nichts mehr haben, für das zu bleiben sich lohnt. Sie gehen aber nicht in dem immer größer werdenden und überall marodierenden Zug der anderen Kreuzfahrer mit, sondern lassen sich die Donau hinunter von Flößern mitnehmen. Unterwegs stoßen sie an Land immer wieder auf Tote und Zerstörung, die die Kreuzfahrer hinterlassen haben. Das letzte Stück nach Konstantinopel müssen aber doch auf dem Landweg mit dieser Truppe ziehen, die allerdings inzwischen von Soldaten in Schach gehalten wird.
In Konstantinopel freundet Ursula sich mit der Kräuterkundigen Kyrilla an, bei der sie und Hilde wohnen können, und deren Enkel, Soldat der Wache, ihr rät, nicht mit dem Pöbel weiter zu ziehen, sondern auf das angekündigte Ritterheer zu warten und dort mitzureisen. Dies erweist sich als sehr guter Rat, denn von den Tausenden, die im Gefolge von Peter, dem Einsiedler ins Land der Seldschuken aufgebrochen sind, überleben nur eine Handvoll Männer die Angriffe der bewaffneten Reiter, Frauen und Kinder werden in die Sklaverei verkauft. Hilde und Ursula sind diesem Schicksal entronnen, weil sie in Konstantinopel sicher waren.
Mit dem Ritterheer ziehen Hilde und Ursula weiter, helfen den durch Angriffe und Schlachten Verletzten und leiden mit dem ganzen Heerzug Hunger und Durst. Doch Ursula trifft auch den Ritter Roderich, ihre große Liebe. Von ihm wird sie wieder schwanger.
Gleich zu Anfang habe ich beim Lesen gedacht: Na, toll, wieder nicht recherchiert. Da taucht nämlich der Ritter mit Topfhelm und Harnischrüstung auf, was erst 250 Jahre nach dem ersten Kreuzzug aufkam. Aber das blieb der einzige grobe Schnitzer. Stattdessen ist das harte, arbeitsreiche Leben der kleinen Leute sehr treffend dargestellt, sowohl auf dem Bauernhof als auch in Regensburg und unterwegs. Die kargen Mahlzeiten, die Armut, die schlechte Hygiene und die haarsträubenden Zustände während des Kreuzzuges sind lebensecht geschildert und kommen der Wahrheit sehr nahe. Das ist ein großer Pluspunkt des Buches, das keine romantische Verklärung aufkommen lässt, sondern die unangenehmen Seiten des Mittelalters deutlich genug zeigt. Wer das kennt, ist froh, heute zu leben.
Klar, die tatsächliche Frömmigkeit und Bereitschaft der unwissenden, kleinen Leute, jedes Wort von einem Priester zu glauben, wie der Glaube jeden Winkel des mittelalterlichen Lebens durchdrang, das kann man heute in keinem Buch darstellen, weil der moderne Mensch das absolut nicht mehr nachvollziehen kann. Der Autor hat dies in einem Kompromiss gelöst, indem er Ursula am Kreuzzug teilnehmen lässt, weil sie wirklich Vergebung ihrer Sünden erhofft. Hilde dagegen, die praktischer denkt, hat ganz andere Motive. Die beiden Frauen symbolisieren so die beiden Motivationen, die die Menschen damals angetrieben haben.
Ein bisschen mehr historische Hintergründe und die Strategien, die die Mächtigen aus Kirche und weltlicher Obrigkeit verfolgen, hätte ich mir schon gewünscht. Natürlich hätte man diese Information nicht aus Sicht Ursulas darstellen können, die davon niemals erfahren konnte. Auch die Zeittafel des ersten Kreuzzuges hätte gern etwas ausführlicher sein können.
Das Titelbild des Schutzumschlages, das nicht in die Zeit gehört und eher eine Johanna von Orleans darstellt als eine arme Magd aus dem ersten Kreuzzug, ist nicht ganz glücklich gewählt.
Ebenfalls nicht ganz glücklich ist die Erzählweise, die in nur wenigen Tagen vor und nach der Geburt von Ursulas zweitem Kind in der Wüste spielt und den absolut größten Teil in Rückblenden in ihre Lebensgeschichte zubringt. Viele Jahre in der der Rückblende, wenige Tage in der „Gegenwart“, für mich liegt da ein leichtes Missverhältnis vor. Aber das ist Ansichtssache, als handwerklichen Fehler des Autors sehe ich das jedenfalls nicht an.
Mein Fazit ist, dass das Buch sich nicht nur gut liest, sondern auch viel Hintergrundwissen über das tatsächliche Leben der kleinen Leute in dieser Zeit rüberbringt, ebenso über die Zustände beim Kreuzzug selbst.
Ich bewerte es absolut positiv, dass hier weder romantische noch religiöse Schwärmerei das Thema ist, sondern das tatsächlich mühevolle Leben in dieser Zeit. Dabei ist es gelungen, die Geschichte gut lesbar und nicht mit belehrenden Unterton zu erzählen. Es ist unterhaltsam und lehrreich zugleich.
Von daher kann ich es durchaus empfehlen und auf die Fortsetzung gespannt sein.