The Glass Books of The Dream Eaters
Gordon W. Dahlquist
„The Glass Books of the Dream Eaters“
Gerade bei den etablierten deutschen Verlagen ist der Steampunk-Trend noch nicht angekommen, aber die brauchen ja gern mal etwas länger, wenn sie nicht mit der Nase drauf gestoßen werden.
Die Glasbücher bieten diese Zusammenstellung und wollen den Leser in ein Abenteuer entführen, wie es aus der Feder eines Conan Doyle, Charles Dickens oder Henry Rider Haggard hätte stammen könne – plus Prisen von Bloch oder Horrorfilmen der Fünfziger mit dem klassischen „Mad Scientist“.
Wird das Werk diesem Anspruch und den – wie immer – euphorisch klingenden Umschlag-Anreißertexten von Lesern und anderen Autoren gerecht?
Nur zum Teil.
Dahlquist schafft es, die „gute alte“ Zeit vor dem Leser auszubreiten und bedient sich hierbei einer Sprache, die ich als „behutsam an die Moderne angepaßt aber dennoch stimmig in seinen altertümlichen Begriffen“ bezeichnen möchte (wie in der Überschrift angedeutet habe ich die englische Fassung des Wälzers gelesen, kann also keinerlei Aussagen zur Qualität der Übersetzung machen; da die von Kempen ist, der schon den Herrn der Ringe versaut hat, ahne ich Schlimmes). An der Art der sprachlichen Darbietung ist in dieser Hinsicht kaum etwas auszusetzen, doch leider, leider neigt der Autor zum Schwadronieren, zum Labern, zum ausschweifenden Begutachten von Details und Geistesstimmungen, die nicht wirklich immer in dieser Ausführlichkeit begutachtet werden sollten oder müssten. Der Hinweis auf den "Wälzer" ist nur zu berechtigt, das Werk hat über 700 eng bedruckte Seiten, von denen Dahlquist sich locker 200 – wenn nicht mehr – hätte sparen können.
Die Geschichte spielt offenbar in Großbritannien, zu einer nicht näher benannten Zeit, allerdings kann man den Zeitrahmen aufgrund der Beschreibungen und der Tatsache, dass es eine Queen gibt, eingrenzen. Ob es sich tatsächlich um unsere Welt, unser Universum, handelt, bleibt offen, aber es werden Namen für Ländereien und Gegenden benutzt, die einem nicht bekannt vorkommen – was daran liegen dürfte, dass sie vom Autoren frei erfunden wurden. Auch die Namen etlicher Personen klingen zumindest eigenartig, was zum Teil darauf zurückzuführen sein dürfte, dass Dahlquist Deutsche (oder besser gesagt Macklenburger, ja, mit „a“) mit Namen versehen möchte, die Umlaute enthalten. Ich bin mir nicht sicher, ob Namen wie „Herr Flaüss“ oder Duke of Stäelmaere (der ist übrigens Engländer) mir gefallen, weil sie absichtlich abgefahren gewählt wurden, oder ob ich mich ärgern soll, weil er nicht hinreichend recherchiert hat – wie insbesondere bei amerikanischen Autoren üblich, die ihre Geschichten mit falschen Umlauten oder völlig inkorrekten Übersetzungen aus dem Deutschen „würzen“.
Doch kommen wir zu den Protagonisten. Hier liegt der große Reiz der – nennen wir es mal zur Handlungszeit passend – „Räuberpistole“: Dahlquist verzichtet auf den klassischen Helden in der Art beispielsweise eines Sherlock Holmes, der sich überlegen durch ein Abenteuer hangelt und immer weiß, was Sache ist. In den Glasbüchern haben wir es mit drei völlig unterschiedlichen Hauptfiguren zu tun, die in den ersten Kapiteln unabhängig voneinander agieren und erst im späteren Verlauf des Buches zusammenfinden – um auch mal wieder getrennt zu werden. Und meist ahnungslos sind...
Wir haben:
Miss Celestial Temple (genannt Celeste, ihr Vater war Hobbyastronom), eine behütete junge Dame aus reichem Haus, die - wie damals durchaus üblich - in einem Hotel lebt und sich von Mägden bedienen läßt. Celeste ist zwar völlig unerfahren, was das „wahre Leben“ angeht, jedoch keinesfalls dumm und von einigem Durchsetzungsvermögen. Bei ihr findet die umfangreichste Charakterentwicklung statt, kein Wunder, sieht sie sich doch mit Realitäten konfrontiert, vor denen man sie bislang behütet hatte.
Cardinal Chang ist nicht sein richtiger Name, den erfährt man auch nicht. Chang wird er genannt, weil er eine Verletzung der Augen erlitt, die ihm ein asiatisches Aussehen verlieh, den Beinamen „Kardinal“ verschaffte ihm seine Kleidungswahl, eine Art roter Gehrock, der an Geistliche erinnert. Cardial Chang ist etwas, das man heutzutage als Auftragskiller bezeichnen würde, wobei er auch andere Aufträge übernimmt. Nicht eben Standardmaterial für einen Helden. Interessanterweise ist Chang trotz seiner Profession ein durchaus ehrenhafter Mann mit ethischen Grundsätzen, aber auch Realist genug, um seine Chancen im Kampf gnadenlos auszunutzen, da alles andere unweigerlich zum Tode führen würde. Alles in allem ist die Figur des Cardinal Chang, der aufgrund seiner Augenverletzung immer eine dunkle Sonnenbrille tragen muss, durchaus sympathisch.
Dritter im Bunde ist der „macklenburgische“ - also deutsche - Doktor und Offizier Abelard Svenson, man kann aufgrund des Namens nur eine schwedische Abstammung vermuten. Angenehm die Tatsache, dass in diesem Buch nicht die Deutschen automatisch die Bösen sind. Im Gegenteil, der kettenrauchende Svenson ist zwar so gar nicht der Heldentyp, versteht sich eigentlich überhaupt nicht auf den Kampf und hat Höhenangst, aber er ist immer schnell bei der Hand, wenn sich eine Dame in Gefahr befindet. Dr. Svenson hat eine höchst undankbare Aufgabe: Er ist der Leibarzt – und damit quasi das Kindermädchen – des macklenburgischen Kronprinzen Karl-Horst von Maasmärck. Die Aufgabe ist keine leichte, denn der gute Karl-Horst rennt hinter allem her, was Röcke trägt und ist auch dem Alkohol und anderen Sinnesfreuden durchaus nicht abgeneigt – im Gegenteil.
Ich will auf Details der Handlung nicht eingehen, um niemandem den Spaß zu verderben, aber Andeutungen – und deutliche Kritikpunkte – seien erlaubt.
Alles beginnt damit, dass Miss Temple in keinster Weise erfreut darüber ist, dass sich ihr Verlobter, der Ministeriumsangestellte Roger Bascombe, unerwartet die Verlobung löst. Sie entschließt sich, die Hintergründe herauszufinden, vermutet – na logisch – eine Rivalin. So folgt sie Roger inkognito und höchst spontan und geht dabei auf eine Bahnreise in einem absonderlichen Zug, in dem sich Personen aufhalten, die Gesichtsmasken tragen. Ohne genau zu wissen, auf was sie sich einlässt, schließt sich Celeste dieser Personengruppe an und erlebt Verstörendes in einem festungsähnlichen Haus. Personen mit eigenartigen, kreisrunden Narben um die Augen, die sich eigentümlich benehmen, ein Toter, ziemlich unzüchtige aber angeblich wissenschaftliche Vorstellungen auf einer Art Theaterbühne, die auch einen Tisch mit Lederriemen beherbergt. Sie wird fast enttarnt und soll getötet werden, kann aber fliehen. Und dann geht’s fast kontinuierlich rund, da wird geklettert, geflohen und gerannt, was das Zeug hält, immer wieder jedoch auch unterbrochen von ruhigeren Passagen und da setzt in aller Regel Dahlquists Logorrhoe ein.
Im Verlauf der weiteren Geschehnisse wird klar, dass hier höchst mysteriöse Geschehnisse um eine Gruppe von Verschwörern vor sich gehen, die mit Karten und Büchern aus einer Art blauen Glas zu tun haben. In den Glasgegenständen scheint man Gedanken, Erlebnisse, Erfahrungen von Menschen speichern zu können, denn berührt man sie, dann erlebt das, was andere erfahren haben, als sei man selbst dabei gewesen.
Weiterhin werden Menschen durch einen so genannten „Prozess“ verändert, der prominente runde Verletzungen um die Augen zurücklässt, die jedoch nach einigen Tagen wieder verschwinden.
Bei diesem und anderen semi-technischen oder alchemischen Vorgehensweisen und Gerätschaften gibt der Autor alles, was das Genre braucht: Dampfende Messingrohre, leuchtend blaue Flüssigkeiten, dicke Lederhandschuhe und-Schürzen, Schutzhelme, die an Tiefseetaucher erinnern, einem luxuriösen Miniaturzeppelin, in die Erde gebaute Türme und dergleichen mehr. Leider – zumindest für mich – wird das hauptsächlich am Rande abgehandelt und dient vorgeblich als Handlungskolorit. Die für mich größte Enttäuschung des gesamten Buches ist, dass die Hintergründe der mysteriösen Verfahrensweisen vom Autor noch nicht einmal ansatzweise erläutert werden. Nicht nur, dass er nicht in technische Details geht, nein, er erklärt nichts, gar nichts über die eigentliche Herkunft der angewandten Verfahren. Und das, nachdem er dem Leser nach und nach immer abstrusere und unglaublichere Anwendungen für das und mit dem blauen Glas um die Ohren haut – immer wieder kinoreif beschrieben, mit zum Ende hin steigender Dramatik.
„Die Glasbücher der Traumfresser“ ist keinesfalls ein schlechtes Buch, aber definitiv eins mit diversen Schwächen. Ob zielgenaue und interessante Charakterisierungen der Protagonisten und reichlich grandioses Einfangen des Ära-Kolorit zusammen mit zum Teil Cliffhanger-ähnlichen Abenteuereinlagen die überzähligen Seiten und die fehlenden Hintergrunderhellungen aufwiegen, muss jeder letztlich für sich selbst entscheiden. Andere Leser mögen selbstverständlich auch die Schwafelpassagen völlig anders beurteilen – und das ist auch gut so, Geschmäcker sind glücklicherweise verschieden.
Als persönliche Einschätzung: Ich fühlte mich die ganze Zeit des laaaaaangen Lesens gut bis sehr gut unterhalten, bei den bereits genannten Einschränkungen durch des Autoren latente Schwadronierlust, habe mich nur am Ende aufgrund der fehlenden Erklärungen -wie bereits erwähnt - massiv geärgert. Dennoch ist das Buch originell, kurzweilig und vor allem „anders“ genug (denn es hebt sich gerade von der amerikanischen und deutschen Massenware wohltuend ab), dass ich hier im Prinzip eine Leseempfehlung ausspreche. Denn eins hat „The Glassbooks of The Dream Eaters“ ganz sicher: Eine Menge Charme. Die in den Rezensionen angekündigte Offenbarung in Sachen Abenteuerroman ist es aber nicht.
Das verwendete Englisch ist nicht ganz trivial, Leser ohne tiefe Kenntnisse dieser Sprache sollten möglicherweise lieber auf die übersetzte Fassung zurückgreifen (und dann hier gern kommentieren).
Abschließend entschuldige ich mich fürs Schwadronieren...
Englisch:
THE GLASS BOOKS of the DREAM EATERS
Gordon W. Dahlquist
Broschiert, 753 Seiten
Verlag: Penguin (2007)
ISBN-10: 0141034653
ISBN-13: 978-0141034652
Preis: ca. 11 Euro
Deutsch:
Die Glasbücher der Traumfresser
übersetzt von Bernhard Kempen
Broschiert, 896 Seiten
Verlag: Blanvalet
ISBN-10: 3764502789
ISBN-13: 978-3764502782
Preis: ca. 25 Euro
Kommentare
Grüße DarkKnight
Ansonsten könnte man in die Thematik einordnen:
* Bruce Sterling & William Gibson: Die Differenzmaschine - was wäre gewesen, wenn Charles Babbage seine Differenzmaschine (der erste mechanische Computer) zu Ende hätte bauen können? Extrem empfehlenswert. Dampfmaschinen-getriebene Lochkartenleser ...
* Keith Roberts: Pavane
* George R. R. Martin: Fiebertraum (eher ein alternativer Vampirroman)
* Der Zeitnomaden-Zyklus um Captain Bastable - von Michael Moorcock (Der Herr der Lüfte, Der Landleviathan, Der Stahlzar).
Lerchenlicht (wurde gerade an anderer Stelle auf dieser Seite rezensiert, den zweiten Band - Starcross - gibt es bislang nur auf Englisch).
Das waren deutschsprachige, es gibt international sicherlich eine erhebliche Menge mehr.
Filme: "Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen" oder "Wild Wild West"
als Beispiele für Steam Fantasy genannt
Keyes, Greg Der Bund der Alchemisten
Neal Steaphenson Der Barock-Zyklus