Wie nah am Original muss sein? - Poldark, Graham und der Missbrauch
Wie nah am Original muss sein?
Poldark, Graham und der Missbrauch
Poldark Staffel 2
Denn: Sie barg Zündstoff für jede Menge Diskussionen und Bashing - egal, wie die Macher sich entscheiden. Die Fans von Winston Graham und der Geschichte um Poldark ahnen vielleicht bereits, um welche Szene es geht. Nein, kein Gewinnspiel dazu.
Wer die Geschichte um Poldark kennt, auch wenn man die Bücher vielleicht noch nicht gelesen hat, weiß, dass es eine Szene gibt, in der sich Ross an Elizabeth Poldark, seiner Jugendliebe, vergeht. Und ist nicht sehr überrascht darüber, dass sie natürlich auch in der Serie auftaucht, denn sie stellt natürlich eine Schlüsselszene in der Geschichte dar. Zu dem Missbrauch kommt es nach dem Tod von Francis, Elizabeths erstem Mann, einem Cousin und Geschäftspartner von Ross, und vor ihrer Hochzeit mit Ross Poldarks Erzfeind, George Warleggan.
Wie kaum eine andere Szene in den Romanen von Winston Graham zeichnet diese Vergewaltigung nicht nur die relativ geringe Bedeutung nach, die der (sexuell) körperlichen Unversehrbarkeit/Selbstbestimmung einer Frau zu damaligen Zeiten zugemessen wurde, sondern auch einige kritische Charakterzüge von Ross Poldark.
Sichtbar wird nicht nur die fatale Neigung von Ross, sich seinen emotionalen Stürmen zu ergeben, sondern auch seine Unfähigkeit, über sich und seine Emotionen zu sprechen und zu ihnen zu stehen, ohne sturköpfig durch die Wand gehen zu wollen.
Im Roman "Warleggan" ist diese Szene zu Beginn des letzten Drittel des Buches platziert, Kapitel 5 in "Book Three" des Romans. Warleggan ist der vierte Roman der Serie.
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Der Originaltext liest sich wie folgt:
He kissed her. She turned her face away but could not get it far enough round to avoid him.
When he lifted his head, her eyes were lit with anger. He'd never seen her like it before, and he found, pleasure in it. (...)
He caught her again, and this time began to kiss her with intense passion to which anger had given an extra relish, before anger was lost. Her hair began to fall in plaited tangles. She got her hand up to his mouth, but he brushed it away. Then she smacked his face, so he pinioned her arm.
She suddenly found herself, for a brief second nearly free. 'You treat me like a slut'
'It's time you were so treated-'
'Let me go, Ross ! You're hateful, horrible! If George-'
'Shall you marry him?'
'Don't! I'll scream! Oh, God, Ross.... Please....'
'Whatever you say, I don't think I can believe you now., Isn't that so?'
'Tomorrow'
'There's no tomorrow,' he said. 'It doesn't come. Life is an illusion. Didn't you know? Let us make the most of the shadows.'
'Ross, you can't intend... Stop ! Stop, I tell you.'
But he took no further notice of the words she spoke. He lifted her in his arms and carried her to the bed.
Chapter Six
Demelza stayed awake till four and then woke again at six to hear him come into the house. He did not come upstairs, and that confirmed what she already knew. For she had known it from the moment he left.
In dieser Szene ist fast alles enthalten, was wir heute bei einem Mann als verachtenswert empfinden. Nicht nur betrügt er seine Ehefrau, die er ja angeblich so sehr liebt, mit der es süße, versöhnliche, liebenswerte Szenen gab wie diese:
(...) It was months, almost years, since there had been this sort of thing between them, that odd fusion of desire and affection for which there is no substitute; Her eyes in the gathering dark-ness glowed at him. They stayed for a while hardly moving, he kneeling and she leaning; back in the chair. His hands were cool on her legs. Remember this, she thought. In the times of jealousy and neglect, remember this.
He said : `So you are not to be rid of me, my love.'
'I am not to be rid of you, my love,'
Und dann das?? Ein Mann, der seine Frau liebt, hat seine Triebe unter Kontrolle zu halten. Noch schlimmer als der Betrug an sich ist der Missbrauch einer Frau, egal wie die Beziehung zwischen dem Mann und dieser Frau auch sein mag, auch wenn sie ihm - für die damalige Zeit natürlich nur sehr dezent - Avancen gemacht hat. Sich einer Frau sexuell aufzuzwingen ist heute gesellschaftlich indiskutabel, in der damaligen Gesellschaft wurde es je nach gesellschaftlicher Stellung des Mannes und der Frau durchaus unterschiedlich bewertet. Wenn ein Peer/Arbeitgeber etc eine weit unter ihm stehende Frau nahm, war es mehr oder weniger ein Kavaliersdelikt, die Frau hatte die Schande zu (er)tragen, im schlimmsten Fall auch noch das Kind auszutragen. Geschah so etwas wie hier zwischen Ross und Elizabeth, war es zwar gesellschaftlich verwerflich und der Mann, der dieses tat, wurde geächtet. Aber wer sollte anklagen? Die Frau hielt in der Regel ihren Mund und schwieg. Vielleicht gab es Möglichkeiten der Rache, aber größtenteils war es eben ein "Schicksal", das eine Frau zu tragen hatte.
In der ersten Verfilmung von 1975-77 mit Robert Ellis hatte man sich enger an der Vorlage gehalten. Wie der Buchtext zeigt, hat auch Graham den Vollzug des Missbrauchs nicht beschrieben, zum Zeitpunkt des Erscheinens des Bandes Warleggan 1953 war dies noch viel weniger möglich/üblich/denkbar als heute, sondern ihn lediglich angedeutet. Die Tatsache, dass die Szene eben an dieser Stelle abbricht, als Ross Elizabeth auf das Bett wirft, macht klar, dass es für diese Situation keinen anderen Ausgang geben wird, und überlässt den Rest der Einbildungskraft. Die Serie von 1975 beenden die Szene ebenfalls vorzeitig, auch zu jener Zeit war ein deutlicherer Hinweis auf den Missbrauch nicht möglich. Dennoch wird immer eins deutlich: Es ist nicht einvernehmlich. Entsprechend wurde diese Szene auch in der neuen Verfilmung mit Spannung erwartet, und bereits im Vorfeld umfangreich diskutiert.
Charles Palmer (Regisseur unter anderem auch bei Folgen von Doctor Who aus 2007 oder Lark Rise to Candleford) und die Drehbuchautorin Debbie Horsefield, die für alle bisherigen Poldarkfolgen als Autorin verantwortlich zeichnet, haben sich für einen anderen Weg entschieden. Bereits vor der Erstausstrahlung der Staffel im September 2016 wurde bekannt gegeben, dass man hier von der Romanvorlage abweichen wird. In der Sun erklärte Aidan Turner am 03. August 2016:
"Sie reden miteinander, und es sieht so aus als gäbe es da noch diesen Funken zwischen ihnen, dieses unerledigte emotionale Thema. Auf jeden Fall ist dies das, was Ross fühlt. Er zwingt sich ihr nicht auf."
Damit verändert sich natürlich nicht alles von Grund auf, natürlich bleibt weiterhin die Tatsache, dass Elizabeths zweites Kind nicht das Kind von George Warleggan sein wird, sondern von Ross. Und sollte Ross Poldark kein anderer Sieg über Warleggan bleiben, wird zumindest dies bleiben: Am Ende wird ein (genetischer) Nachfahre von Ross Poldark das Vermögen der Warleggans erben und Herr über Trenwith sein.
Tatsächlich ist in der aktuellen Verfilmung die Einvernehmlichkeit des Geschlechtsaktes der tragende Aspekt. Elizabeth wehrt sich eine gewisse Zeit halbherzig, dieser "Funke zwischen ihnen, dieses unerledigte emotionale Thema" bricht bei beiden auf, und sie ergibt sich der sexuellen Anziehung letzten Endes.
Die Serie erhielt jede Menge Schläge für diese Entscheidung, nicht nur von Graham/Poldark-Liebhabern, sondern auch von Organisationen, die sich dem Schutz vor sexueller Gewalt verschrieben haben. Ihre Argumentation ist ebenso unsinnig wie nachvollziehbar: Dem Publikum sei bekannt, dass in der Geschichte von Graham der Geschlechtsverkehr zwischen Elizabeth und Ross nicht wirklich einvernehmlich war. Wer dies vorher nicht wisse, bekäme es spätestens mit den Diskussionen um die Serie mit und könne sehen, dass Ross mit ein wenig Druck Elizabeths Widerstand durchbrechen konnte, und sie sich ihm dann trotz des anfänglichen "nein nein" doch hingab. Die meisten Seher würden sich nicht wirklich mit der Tatsache beschäftigen, dass die Macher von der Darstellung eines Missbrauchs im Roman zu Einvernehmlich gewechselt hätten. Dies würde den Eindruck fördern, dass eine Frau, die "Nein" sage, letzten Endes doch "Ja" meinen würde, man müsse sie nur "überzeugen".
Ich will mich in diese Diskussion gar nicht einklinken, ich halte den Kampf gegen Missbrauch von Frauen (und Männern) für unglaublich wichtig, und finde es sehr schade, dass sich die Produzenten und Mammoth Screen um diesen Teil der Geschichte zu drücken versucht haben. Mich interessierte hier bei Poldark viel mehr die Entscheidung an sich und die künstlerische Umsetzung.
Für den Verlauf der Serie macht dies keinen großen Unterschied, es ändert nichts an dem, was im weiteren Verlauf geschieht und es verhindert nichts, aber es macht für mich eines deutlich: In der Serie wird von den Machern (zu) sehr darauf geachtet, dass Ross Poldark der Held bleibt, als der er präsentiert werden soll.
Ein gebrochener Held wird gern genommen, er darf durchaus nicht ganz glatt sein, darf sogar eine dezent aufmaskierte Narbe haben, aber er muss weiter als gut-aussehender, ethisch vertretbarer Traum der Frauen funktionieren. Auch wenn er nicht unbedingt als Jesus dargestellt wird, ist Poldark ein Held, ein Superheld sogar. Klar, er geht mal fremd, aber da ist doch dieses "unerledigte emotionale" Ding. Diese innere Haltung und die Kämpfe von Ross darauf zu reduzieren, halte ich für sehr unklug. Es ist die klare Konsequenz - und die Fortsetzung - der Entscheidung der Macher der Serie, Ross Poldark als Held zu inszenieren. Vom nackten Oberkörper (modisch gefordert sogar mit unbehaarter Brust) auf dem Feld bei der Ernte, über das feuchte Hemd auf gestähltem Oberkörper, die romantischen Bettszenen zwischen Ross und Demelza bis schließlich zu Ross Engagement für die armen, unterprivilegierten Familien der Bergarbeiter und einfachen Bauern. Bei diesem Versuch wird er zu einem fast unerträglichen Abziehbild.
Die Serie ist wunderbar gemacht, die drei Regisseure, Will Sinclair (Folgen 1-4), Charles Palmer (Folgen 5-8) und Richard Senior (Folgen 9-10) machen eine großartige Arbeit, ebenso wie die Ausstatter, Beleuchter und wer noch alles beteiligt ist. Es ist der Fernseh(n)suchtstrip für alle, die BBC-gemachte Historien-TV mögen (wozu ich definitiv gehöre), und sich an gut gemachten englischen Romanverfilmungen ergötzen. Aber die Serie verliert das, was sie an anderen Stellen gewinnt, wenn Ross ein Teil seines Charakters genommen wird, um den Held zu erhalten. Was Graham geschrieben hat war weit von einem Schurken im dunklen Cape entfernt. Ross und Demelza waren alles andere als ehrlos oder frei von Idealen, aber sie waren vielschichtig, so wie es mir in der zweiten Staffel bei Demelza eher gelang. So zum Beispiel in einer der Szenen, in denen Demelzas Wut deutlich sichtbar wird. In der Serie hat man diverse Szenen genutzt, um es zu zeigen. Im Buch ist es zum Beispiel zu finden in dieser Szene:
`You're spilling your tea, Demelza'
'Yes,' she said and deliberately dropped her cup on the floor. The most frightening blazing anger was alive in her now. It was not only Elizabeth that she could have killed but Ross. She could have thrown every piece of crockery at him, and knives and forks too. Indeed she could have attacked him knife in hand. Fundamentally there was nothing meek or mild about her. She was a fighter, and it showed now. She struggled with herself and gasped and met his grey gaze, Then she swung with her arm, knocking off teapot and milk jug and sugar basin and two plates, sweeping them all to the floor.
She went out.
(...)
All the week a great thunderbolt hung over the, house. All her life, Demelza's principle, though she did not know it as such, had been never to let the sun go down on her wrath. But she could very well have been buried with this wrath, because it came from a wound that knew no cure.
Es bleibt schade, dass man sich um die Ausarbeitung des Missbrauchs und der Auswirkungen herumgedrückt hat. Natürlich zerstört dies die Serie nicht, aber es zeigt meiner Ansicht nach das Problem des perfekten Helden contra Nähe zur Vorlage.
Poldark - Staffel 2
Kommentare
Ich kenne die Serie zwar nicht, aber es ist nicht unbedingt neu, dass die Engländer bei ihren historischen Serien die Originale umschreiben, um sich vor den oft hirnrissigen modernen Befindlichkeitskontroversen zu drücken oder auch um sexuelle Themen in den Vordergrund zu rücken. In den Agatha Christie-Verfilmungen gibt es plötzlich auffallend viele Homosexuelle, die es im Roman nicht gab.
Oder man nehme "Dracula", wo man für den Film grundsätzlich aus dem Vergewaltiger der Vorlage den "Verführer" gemacht hat.
Andererseits sind die Engländer nicht allein, wenn es darum, die Vergangenheit in Medien umzuschreiben. Siehe die John Sinclair-Neuauflage, die durch ihre Bearbeitung zur rauchfreien Zone mutiert.
gestern Abend habe ich (endlich mal) das Ende der 5. Staffel angeschaut.
Ich mag die Serie, kenne aber leider die Bücher noch nicht. Muss mal schauen, ob ich sie auf Deutsch bekomme. Der Unterschied zur Serie interessiert mich sehr. :)
Ich finde, in der letzten Staffel kommt die "Schurkenhaftigkeit" von Ross doch wieder zur Geltung.
Nach Deinem Artikel bin ich aber jetzt noch neugieriger auf die Bücher. :)
Liebe Grüße
Petra