Die Welt der Lilian Jackson Braun
Lilian Jackson Braun
So spielen denn auch der Mittlere Westen der USA (Pickax = Bad Axe) mit all seinem Lokalkolorit und das Zeitungsmilieu in ihren Romanen eine wichtige Rolle. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass sie auch privat eine Katzenhalterin ist.
Es begann in den sechziger Jahren. Zwischen 1966 und 1968 erschienen drei Romane von Lilian Jackson Braun. Obwohl die Reihe durchaus Anerkennung erfuhr, passierte danach fast zwanzig Jahre nichts mehr. Angeblich entsprachen die Werke der Autorin nicht mehr dem zeitgenössischen Verlangen nach Sex, Gewalt und "schmutzigen Ausdrücken". Erst 1987 erschienen wieder weitere Bände, seitdem aber jedes Jahr ein bis zwei Romane.
Allgemein als Katzenkrimis eingeordnet, wenden sich die Romane an ein Publikum, das die klassische Detektivgeschichte schätzt. Umrahmt von allerlei Wissenswerten aus dem Katzenleben, werden Kriminalfälle (meistens Morde) in mühevoller Kleinarbeit durch Beobachtung, Gespräche und meist durch Hinweise des übersinnlich begabten Katers gelöst. Action-Fans gehen leer aus. Eingebettet ist das Ganze jeweils in eine detailfreudige Schilderung von Personen, Orten und Lebensstilen, liefert einen tiefen Einblick in Einstellungen und Lebensweisen der Oberschicht der amerikanischen Provinz mit ihren Clubs, Kommitees und gemeinnützigen Aktivitäten.
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"Im Laufe der Zeit machte die Reihe eine tiefgreifende Wandlung durch. So spielten die ersten Romane noch in der Großstadt und die Hauptfigur hatte durchaus eine gewisse Nähe zu den Helden des Film Noir. Ein Mittvierziger, also ein Mann in den besten Jahren, der nach Alkoholproblemen und einer gescheiterten Ehe einen Neuanfang versucht. Der ehemals gefeierte Starjournalist heuert bei einer Zeitungsredaktion an und wird dort mit typischen Frauenthemen wie Kultur, Kunst oder Antiquitäten betraut, obwohl er viel lieber als Sportjournalist oder Polizeireporter arbeiten würde. Der in überaus ärmlichen Verhältnissen zur Miete wohnende Journalist hat Verhältnisse mit jüngerene Frauen und wird zunächst eher gegen seinen Willen zum Besitzer eines überaus verwöhnten Siamkaters. Seine Erfahrungen mit den "Frauenthemen" und sein Verhältnis zu dem scheinbar übersinnlich begabten Kater machen den besonderen Reiz der frühen Romane aus.
"Er war eine eindrucksvolle Erscheinung, wenn er so in der Stadt herumging, Leute interviewte und der Zeitung Freunde gewann. Er war um die fünfzig, groß, gut gebaut, hatte beneidenswert volles, grau meliertes Haar und einen ebensolchen Schnurbart von prachtvollen Ausmaßen. Doch das Besondere an ihm war nicht nur der unverwechselbare Schnurbart; seine traurigen Augen, der teilnahmsvolle Gesichtsausdruck und die stete Bereitschaft, zuzuhören, erweckten in den Menschen das Gefühl, sich ihm anvertrauen zu können."
Dann jedoch macht Qwilleran eine Erbschaft und wird zum reichsten Mann in einem kleinen Provinzstädtchen im Mittleren Westen (Band 5). Von nun an sind Finanzprobleme ein Fremdwort für ihn und seine journalistische Tätigkeit beschränkt sich auf das Verfassen einer Kolumne für das Provinzblättchen, dessen Geldgeber er selbst, bzw. der von ihm ins Leben gerufene Klingenschoenfonds ist. Er führt nunmehr das Leben eines reichen Müßiggängers und seine Frauengeschichten werden kurz darauf beendet, als er eine feste Beziehung mit einer ebenfalls ältlichen Bibliothekarin eingeht (Band 7). Nach und nach werden ein paar der alten Figuren, wie z.B. sein Schulfreund und Kollege bei der Zeitung Arch Riker, nach Pickax geholt. Die neue Wendung hat zunächst ihren Reiz, versteht die Autorin doch geschickt, das provinzielle Leben mit all den dazugehörigen Marotten wie beispielsweise Pickups und Baseballmützen aus dem Blickwinkel des Großstadtmenschen zu schildern. Ausserdem gibt es ja noch die sehr fein ausgeklügelten Kriminalfälle, die mit Kokos Hilfe gelöst werden. Nach einigen Bänden übernimmt der Protagonist dann jedoch selbst die provinziellen Sichtweisen samt den Vorurteilen gegen alles großstädtische. Er zieht z.B. den anfangs noch belächelten Schottenrock an und beteiligt sich intensiv am entsprechenden Clubleben.
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"Auch mit diesen Veränderung hätte man noch leben können, aber in den letzten Bänden treten jetzt auch noch die Kriminalfälle immer weiter in den Hintergrund. Die Autorin ergeht sich stattdessen in der ausführlichen Beschreibung von Klatsch und Tratsch sowie der örtlichen Speiselokalitäten und der dort erhältlichen Menus oder wirft mit Limericks um sich. Auch stilistisch fallen die häufigen Wiederholungen in den Romanen auf. Was die Geschichten vielleicht noch rettet, sind die eingebauten Ergebnisse einer in den achtziger Jahren durchgeführten Zeitzeugenbefragung, also "oral history". Da geht es um einen großen Brand im neunzehnten Jahrhundert, Schiffsunglücke, Bergwerkskatastrophen oder einfach Inschriften auf alten Friedhöfen. Auch die gelungene Erneuerung in der Aufmachung der Reihe (weg vom bunten Farbenfrohen Erscheiungsbild, hin zu einer edleren Optik) kann die zunehmenden inhaltlichen Defizite nicht ausgleichen.
Fazit: Eine großartige Reihe, die aber leider ihren Höhepunkt überschritten hat. Für Leser, die eine Abwechslung vom Üblichen suchen und die ausgetretenen Pfade einmal verlassen wollen, sind vor allem die älteren Bände nach wie vor empfehlenswert.
alle jeweils aus dem Englischen übertragen von Christine Pavesicz
Bastei Lübbe Taschenbücher in der Verlagsgruppe Lübbe
Kommentare
@Ingrid
Wie bist Du auf diesen schon etwas älteren Artikel gestoßen?