Was machst du, wenn du dich an nichts erinnerst? - Joy Fielding: Lauf, Jane, Lauf!
Was machst du, wenn du dich an nichts erinnerst?
Joy Fielding: Lauf, Jane, Lauf!
Sie wusste genau, wie viel Gramm Schokoladenpulver das Rezept vorschrieb, aber ihr eigener Name fiel ihr nicht mehr ein…“
So beginnt Joy Fieldings nervenaufreibender Psychothriller „Lauf, Jane, Lauf!“, der 1991 der internationale Durchbruch der kanadischen Schriftstellerin war. Fielding hatte schon als Kind und Jugendliche Geschichten geschrieben, die aber allesamt von den Verlagen abgelehnt wurden. Nachdem sie sich einige Jahre relativ erfolglos in Amerika als Schauspielerin versucht hatte, kehrte Fielding nach Kanada zurück und begann wieder mit dem Schreiben, zuerst noch finanziert durch Auftritte in Werbespots.
Fielding nimmt uns mit in Janes schrecklich Situation: blutbefleckt und die Tasche voller Bargeld hat sie jegliches Erinnerungsvermögen verloren. Jane reagiert verständlicherweise panisch, irrt eine Zeit lang durch die Gegend und wendet sich schließlich an einen Polizisten, der sie ins städtische Krankenhaus bringt. Dort wird sie erkannt und man holt ihren Mann Michael, einen bekannten Kinderarzt, zur Hilfe. Doch auch an ihn kann Jane sich nicht erinnern. Die Ärzte diagnostizieren eine hysterische Amnesie, die an ihrem Gedächtnisverlust schuld sein soll. Michael nimmt Jane mit nach Hause, wo sie ebenfalls nichts erkennt, und kümmert sich liebevoll um sie. Schon bald wird Jane aber misstrauisch: Warum soll sie das Haus nicht verlassen? Warum soll sie diese starken Medikamente nehmen, obwohl sie sich damit noch schlechter fühlt? Und wo ist ihre Tochter?
„Lauf, Jane, Lauf!“ ist klar und eingängig geschrieben und liest sich nur so runter. Ausnahmslos aus Janes Perspektive erzählt, ist für den Leser von der Handlung nicht mehr klar als für Jane selbst, was einen Großteil des Spannungsfaktors von der Story ausmacht. Wie auch für Jane herrscht für den Leser hauptsächlich Verwirrung und Unwissenheit. Es fesselt ungemein, dass über lange Teile des Buches nicht ersichtlich ist, was nun die Wahrheit ist: Ist Jane psychisch krank oder steckt etwas anderes dahinter? So ist der Plot eigentlich durchgängig spannend, wobei über manche Abschnitte eigentlich gar nicht so viel passiert.
Auch in psychologischer Hinsicht behandelt Fielding ein spannendes Thema: Wie funktioniert eigentlich unser Gedächtnis? Und was machen wir ohne es? Janes Geschichte zeigt auf beeindruckende Weise, wie wichtig unser Gedächtnis und unsere Identität für uns sind und wie furchtbar verloren und hilflos wir ohne werden.
Mich hat Fielding mit ihrer Jane mitgenommen, ich habe mitgelitten, gezweifelt, gefiebert und fand es ungeheuer spannend. Allerdings war „Lauf, Jane, Lauf!“ auch mein erstes und bisher einziges Buch dieser Autorin. Recherchiert man ein wenig, so findet man häufig die Kritik, dass viele ihrer Bücher nach einem ähnlichen Schema ablaufen wie dieses. Gut vorstellbar, dass für den bereits vorbelasteten Leser das Ende so ziemlich vorhersehbar wird, was ich aber an dieser Stelle nicht beurteilen kann. Falls man Fielding wie ich nicht kennt, ist ihr erster großer Erfolg uneingeschränkt zu empfehlen. Ein wunderbar spannender Thriller, der (fast) ganz ohne Blut und Gemetzel auskommt.
Lauf, Jane, Lauf!