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»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Bleigeflüster als Finale (G-man Jerry Cotton 217)

Schön war die Jugendzeit? -  Ausflüge in die RomanheftvergangenheitAusflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Bleigeflüster als Finale«
G-man Jerry Cotton 217 von Jerry Cotton (n.n.)

Und ich bin wieder auf Sendung!

Notgedrungen und aus diversen privaten Gründen werde ich künftig die Frequenz meiner Beiträge ein wenig runter drehen müssen, insofern gibt es in der Folge seltener Beiträge, aber ich hoffe, ich finde dann immer was besonders Schönes.

Aber ein paar Schmankerl hab ich ja auch noch gar nicht angerührt, insofern machen wir jetzt mal wieder eine kleine Karussellfahrt quer durch die Krimilandschaft.

Und da kommen wir auch gleich zum Königsthron überhaupt gebuckelt, denn während der Krimi als Heftroman ja inzwischen ein noch schemenhafteres Schattendasein als andere Genres führt, hat König Jerry Cotton alles in diesem Bereich erfolgreich an sich gerissen und schwimmt fröhlich jenseits der Nr. 3000 dem Horizont entgegen. (So kleine Ausnahmen wie „Cherringham“ will ich dabei natürlich nicht vergessen, aber das ist halt ein ganz anderes Kaliber!)

Wenn ich also die alten Knarrenschwinger durchschauen möchte, muss ich in der Vergangenheit graben, doch warum nicht gleich mit König Jerry persönlich anfangen, den ich mangels vermeintlicher Originalität erst mal gar nicht in Betracht gezogen hatte.

Aber dann greife ich nicht in den großen Beliebigkeitspool, sondern kann mir aus einem Gebrauchtstapel tatsächlich einen Originalroman Nr. 217 aus der 1.Auflage zocken, der laut meiner Recherchen wohl im August 1961 auf den Markt gekommen ist. Also Oldschool, insofern genau das, was ich wollte, möglichst nicht überarbeitet und nicht korrigiert.

Wer der Verfasser war, lässt sich augenblicklich nicht darstellen, aber das macht letztendlich auch nicht, denn wenn sich die Cotton-Autoren auch noch so strecken mit Details aus der Übersichtskarte von Manhattan, Kleinigkeit aus dem Leben der Amerikaner und wunderschöner Extras, die man sonst nur in Krimiserien bewundern konnte, es bleibt dann doch immer sehr deutsch, vor allem, wenn die Texte wie zum überwiegenden Teil aus Jerrys Perspektive erzählt werden.

Der gibt zwar immer vor, ein knackiges Kerlchen zu sein, progressiv und tolerant und so ein Zeugs, doch im Kern und im Ton kommt immer wieder angeritten, welcher konservative Puritaner hier zwischen doll gefährlichen Gangstern aufräumt, weil der verabscheuungswürdige Dreck von der Straße muss.

Natürlich auch eine der Produktionszeit geschuldete Saubermann-Attitüde, die im Wiederaufbaudeutschland bestimmt bombig ankam: Exotik (das Amerikanische!!!) und deutsche Tugenden!

Das wirkt jetzt aber hier nicht anbiedernd, sondern einfach nur noch putzig und kurios, wenn man es mit fast 60 Jahren Abstand liest und bedenkt, wie diese Generation von Autoren schon längst den Weg allen Fleisches gegangen sind.

Da muss ich natürlich im Gegenschuss demnächst noch mal den „Cotton moderne“ untersuchen, aber bleiben wir mal heute bei Opas Puschenkino, angefixt mit den ersten lockeren Sprüchen, die die Synchronautoren auch 1961 schon in deutschen Wohnzimmer untergebracht hatten, etwa bei „77 Sunset Strip“ und ähnlichen TV-Serien.

Ich habe vor Urzeiten wohl mal einen Roman der Serie gelesen (wieso auch immer), ansonsten kannte ich nur die unsäglich faden Verfilmungen mit George Nader, die man zwischen 1965 und 1968 auf den Markt schmiss, die aber mit Rückprojektionen und hölzernen Gangsterplots kaum verhüllen konnten, wo sie inspiriert worden waren: in deutschen TV-Krimi-Schmieden.

Ähnlich schizophren zwischen hartem Anspruch und kleinkarierter Ausführung kam allerdings auch dieser Roman rüber, insofern lagen die Filme wohl doch nicht so extrem unter dem durch die Serie vertretenen Niveau.

Aber jetzt mal zum Bleigeflüster…

Bleigeflüster als Finale»Die Beweise, die der FBI dem Gericht liefert, müssen hundertprozentig sein, es darf keine Irrtümer geben, besonders jetzt nicht, wo einige Schmierfinken glauben, unseren Verein angreifen zu können. In den Südstaaten meckern sie auch über uns, weil wir für die Rechte der Schwarzen eintreten und dem Ku-Klux-Klan auf die Finger klopfen. Jeder Irrtum eines G-man wird von diesen Schreiberlingen hemmungslos und mit Begeisterung ausgeschlachtet. Ich sehe schon die Schlagzeilen vor mir ›FBI verschuldet Justizmord und ähnlichen Unsinn‹!« (Lügenpresse anno 1960, heute so aktuell wie damals!)
Guten Morgen, New York!

Jerry Cotton, seines Zeichen „G-man“ beim FBI, ist schon frohgemut auf, weil sein bester Kumpelkollege Phil Decker ihn nicht nur aus den Federn geschmissen hat, sondern ihm auch noch ein opulentes Frühstück bereitet. Das sind Männer, das sind Kollegen, das müssen Singles sein.

In der Zeiten wird verlautet, dass der Rauschgifthändler Burt Shirk nun endlich laut Jury auf den „Electric Chair“ soll, weil er in einer einsamen Gasse einen Polizisten namens Jones erschossen hat, kurz bevor Jerry ihn auf der Fährte hat kaschen können.

Doch da bimmelt schon das Schicksal an der Tür und eine schwer verhüllte Dame klärt zum Morgenkaffee auf, dass Shirk unschuldig sei und sie selbst den armen Beamten erschossen hätte. Passend dazu hätte sie Beweise in ihrem Auto vor der Tür.

Jerry folgt ihr bedächtig auf dem Weg zu ihrem Handschuhfach und das rettet ihm das Leben, weil die Holde mitsamt ihres fahrbaren Untersatzes vor seinen Augen in die Luft fliegt.

Während die Dame komplett eingeäschert wird (???) bleiben aber von den papierhaften Beweisen so einige zwecks Identifizierung in akzeptabler Form (!!!). Die Experten sind fix mit der Lesbarmachung und so kann Mr. High schon bald seine besten Männer darüber informieren, dass das Opfer Vera Ulster hieß und schriftlich angab, den Polizisten selbst erschossen zu haben, dann aber Shirk die Waffe zur Flucht in die Hand gedrückt hatte. Demzufolge müsste Shirk freigelassen werden. (Klingt nicht überzeugend, oder?)

Das passt Jerry gar nicht, denn er hält wie Rumpelstilzchen an der Theorie fest, dass diese Wendung ein fingierter Schwindel sein soll (so isses dann auch…logo...Jerry irrt sich nie…).

Nachdem allerlei schwammige Theorien durchgekaut sind, ist die Höllenmaschine im Auto auch endlich von Q-Ersatz Bill Bury zusammengesammelt und als Fernzünder identifiziert. Also alles ein geplanter Anschlag – und offenbar sollte nur die Frau getroffen werden.

Hier kommt erstmals der Verdacht auf, dass jemand verhindern möchte, dass Material zur Unschuld Shirks an die Behörden gelangt, was natürlich auch nur bedingt Sinn macht, weil der Betreffende ja ein Rauschgiftgangster war und seine Kollegen ihn ja wieder haben wollen müssten.

Dennoch droht wohl die baldige Entlassung Shirks aus dem Staatsdienst (Echt jetzt, da könnte ja jeder so ein Briefchen schreiben...ts…?), was Jerry arg vergrätzt.

Gemeinsam eilt man nun zur Heimstatt der Ulster, nachdem man mangels Internet mit dem Typen mit dem unglaublichen Gedächtnis gesprochen hat, den das FBI natürlich Extraschichten schieben lässt.

In einer bruchreifen Umgebung findet man nach einiger Zeit Einlass, dann ein paar Hinweise nach denen die Ulster tatsächlich an jenem Abend in Tatortnähe gewesen sein muss.

Leider findet man auch drei sehr geschwätzige Gangster rund um einen runden Tisch sitzen, die auf die Beamten schon gewartet haben und sie nun mit dem Tode bedrohen. Vielleicht wollen sie auch nur plaudern, so ganz klar wird das nicht in der Folge. Die Gangster behaupten jedenfalls, dass sie die gefundenen Beweise gegen Shirk gern verschwinden lassen wollen (was idiotisch ist, da sie bereits da waren und die Wohnung hätten ausräumen können), Jerry kämpft mit der latenten Verbrecherironie und darf den Einen immer schön „Affengesicht“ nennen, weil Gangster ja immer ziemlich verbrecherisch aussehen und am Ende weiß niemand, wohin diese bizarre Szene eigentlich führen soll.

Jerry probiert es dann mit einem ganz hohlen Bluff (es kommt Verstärkung, wenn ich mich in 5 Minuten nicht melde) und provoziert dann umständlich (aka gekonnt) eine Schlägerei, nach der man die drei schließlich überwältigen kann. Weitere Beweise finden sich nicht, dann dürfen die Gangster gehen (!!!!!!), weil sich die Anklage nicht lohnt.

Derweil bauen ein gewisser George und sein jüngerer Begleiter Bill unten auf dem Parkplatz eine Plastiksprengstoffbombe unter Jerrys Auto, die beim Erreichen einer bestimmten Geschwindigkeit hochgehen würde. George raucht Zigarre und Bill ist so ein bebrillter Anarchostudent und Bombenbastler. Nuff said!
Wegen erhöhten Verkehrs scheint die Sache dann doch auszufallen, aber schließlich gibt es einen Bums und die Insassen des Fords sind nicht mehr.

Leider waren das aber nicht Cotton und Decker, die nämlich ihren Wagen gar nicht mehr vorgefunden hatten, sondern ein paar dreiste Autodiebe (vielleicht auch die gehen gelassenen Gangster, so ganz klar wird das nicht mehr). Jerry ist sich aber sicher, dass die Wohnung mit den Beweisen präpariert wurde, damit die Beamten sie finden müssen. Nur Sinn und Zweck stimmen noch nicht ganz.

Da kommt auch schon die Nachricht von der Explosion ihres Fords ins Büro und flugs ist man unterwegs zum Tatort. Weil sie dort nichts mehr tun können, gehen die beiden erst mal Mittagessen in das nahe Restaurant „Moonlight“. Dabei werden sie von Bill und George entdeckt, die sich eigentlich nur vom Vollzug überzeugen wollten, was aber eher vor Schreck bei George einen halben Herzanfall provoziert. Tatkräftig ruft George darauf die 5.Kolonne herbei, um den Job zu vollenden.

In dem Restaurant/Diner ist es gerade menschenleer (wegen der Explosion) und die FBI-Beamten feiern gerade im Dienst bei etwas Whisky und Soda (!!!), weil „angemessenes Begießen“ nicht erlaubt sei. Verdammte Vorschriften!

Da kommen auch schon vier Männer mit Instrumentenkästen (Echt jetzt?) durch die Tür und verwandeln die Gaststätte in einen lustigen Schweizer Käse durch den Einsatz von Automatikwaffen. Phil und Jerry haben hinter der Bar einen schweren Stand, können aber einen der Gangster anschießen und so lange aushalten, bis die Gangster sich zurückziehen müssen. Der Angeschossene kassiert zusätzlich noch eine letale Kugel seiner Kumpane.

Den toten Attentäter hat man bald identifiziert, ein gewisser Sam Tewes, der wie alle guten Gangster in New York natürlich eine feste und angemeldete Adresse hat.

Mit dem guten alten Jaguar jagt (hihi!) man also zur Williamsburg Bridge (Landmarken müssen erwähnt werden) hin, wobei man sich von einem schwarzen Studebaker verfolgt fühlt, den man mit halsbrecherischem Tempo abhängt (oder auch nicht).

In der Hafengegend finden sie dann die betreffende Adresse vor, dazu eine Katze und ein Pfund Kokain unter den Dielen. Kurz darauf dringen dann auch die Verfolger in die Wohnung ein, aber als es richtig eng zu werden droht, erkennen die Böslinge, dass die Beamten schon da sind und fliehen schnell mit ihrem Wagen.

Wegen des Kokains sieht sich Jerry jetzt doch genötigt, in der „Hell“-Bar (also „Höllenbar“, wie dem Englischunkundigen hier einmal per Textklammer übersetzt wird) nachzuforschen, da Vera Ulster ursprünglich am fatalen Mordabend dorthin wollte.

Während Phil die Beweise sichert und die Verstärkung alarmiert, geht Jerry schon mal allein vor in die höllisch dekorierte Bar, wo er bemüht ist, dem Gangstertreffen backstage beizuwohnen, dort aber dann von einem Sandsack niedergeschlagen wird.

Als Jerry zu sich kommt, sitzt er mit Waffe im Holster vor dem frisch entlassenen Burt Shirk, der aber ein viel zu großes Jacket trägt, das nicht ihm gehören kann. Nach allerlei Angezicke und dem Verprügeln der eigenen Leute durch Shirk, weil die ihn angeblich aus dem Weg hatten räumen wollen, stürmt Phil mit Verstärkung herbei und befreit den Titelhelden. Der macht noch richtig Heldenrabatz, als er mitbekommt, dass ihm Shirk zwar die Waffe gelassen, aber die Kugeln entfernt hatte. Leider macht ihn das nicht sympathischer, sondern verbohrter.

Wieder nimmt man niemanden fest, aber über den viel zu weiten Anzug Shirks will Jerry jetzt die Kontakte des Gangsters ermitteln lassen. Er ist auch überzeugt davon, dass die ganzen Tatorte gefakt waren, die Gangster in Tewes‘ Wohnung schon wussten, dass sie da waren und sich planmäßig zurückzogen.

Schon bald hat Superhirn Neville einen Namen für Jerry: der Anwalt Shirks, ein gewisser George Climm holt so offenbar Leute aus dem Gefängnis, indem er Schuldige präsentiert, die leider schon tot sind.

Neville entdeckt das, als er die Waffen überprüft, die man in Tewes‘ Wohnung gefunden hat und die zu einem Fall namens William Randall als Beweis gefehlt haben.

Natürlich ist George Climm der Zigarrenraucher vom Bombenbau und ist nun wegen der Jackett-Wahl Shirks total angepisst. Er weiß, dass ein helles Köpfchen wie Cotton ihm durch dieses Indiz bald auf die Schliche kommt. Da er einen baldigen Besuch der Beamten erwartet, lässt er von Bill eine weitere Bombe bauen, die just geliefert werden soll, wenn Decker und Cotton bei ihm im (leeren) Büro ankommen. Damit würde er sich selbst als Ziel des Anschlags da stehen und aus dem Schneider sein.

Am nächsten Tag entern unsere Helden tatsächlich die Villa des Anwalts in der Nähe des Central Parks, komplett mit baumlangem Negerdiener mit gebrochenem Satzbau (Oh Mann…). Weil sie noch ein Weilchen warten sollen, werfen sie einen Blick in Climms Büro und entdecken so die Akte Randall. Da kommt auch schon Bill mit der Bombe („Ein intelligenter Halbstarker`, dachte ich unwillkürlich.“), doch Jerry erkennt die maschinengeschriebene Adresse auf dem Absender als die gleiche, die auch für Randalls Akte verwendet wurde und „smells a rat“.

Kontrolliert bringt man (hinter einem Sofa versteckt) die Bombe zur Explosion und lockt somit alle Verantwortlichen an, um sie dann zu verhaften.

Eigentlich basierte der Plan, mittels ermordeter „Täter“ und fingierter Beweise nur für den Fall Shirk und seine Rauschgiftorganisation, aber Climm entdeckte die Möglichkeiten – jetzt brachte ihn das zu Fall!

»Bei uns in Amerika müssen Möbel zuweilen weggeworfen werden die knapp ein Jahr alt sind, weil das Zeug aus den Fugen geht. Unsere Industrie liefert auf allen Gebieten teilweise regelrechten Schund, mit der Absicht, dass der Verbraucher möglichst schnell neue Sachen kaufen muss. Wirtschaftsplanung nennen die Fabrikanten das. Für mich ist das ganz einfach Betrug.« (Damals ein wohl eine Empfehlung für ›Made in Germany‹, heute prophetisch für praktisch jedes technische Gerät!)Ja, so lief das damals im ›Big Apple‹ mit den bösen Jungs: raffinierte Pläne, Kugelhagel, finstere Gesellen mit entstellten physischen Merkmalen – und jede Menge Kasperquatsch.
Ich hab es schon in die Inhaltsangabe einfließen lassen: raffinierte Pläne und hanebüchener Käse gehen hier meistens Hand in Hand.

Schwungvoll wird hier seitenweise Kokolores geredet, von bewaffneten Fieslingen, die aber nie ganz deutlich machen, weswegen sie denn nun da sind und ob nun Mord und Totschlag folgen oder nur amüsierte Drohgebärden.

Der gesamte Plot mit den gefälschten und platzierten Beweisen gegen inzwischen ermordete Überraschungsverdächtige ist irre löchrig und durchschaubar – so durchschaubar, dass man ihn kein drittes Mal hätte anwenden können, wenn es sich immer um Delinquenten des gleichen Anwalts gehandelt hätte. Dann wäre sogar die örtliche Polizei den Tätern drauf gekommen, auch wenn sie hier meistens nur damit beschäftigt ist, vor der Bundesbehörde ehrfürchtig stramm zu stehen (haha).

Schon der erste Anschlag sieht so übermäßig gestaged aus, dass man sich zwangsläufig fragen MUSS, ob da ein anderer Zweck verfolgt werden soll, als der allgemein Offensichtliche oder die mögliche zweite Ebene, die einem auch schon fast um die Ohren gehauen wird. Cotton ist sich aber nie so ganz sicher (der ist nur stur), Phil ist sich nie sicher (der ist nur lieb) und Mr. High streut nur Zweifel, erinnert an Beamtenpflichten und behauptet am Ende kackendreist, er hätte das ja genau so immer schon vermutet.

Wer denn nun das verminte Auto geklaut hat, wird in der raffinierten Abfolge nie so ganz geklärt, viel schlimmer wirkt hier offenbar ein namhafter FBI-Beamter, der in New York anno 1960 offenbar fahrlässig den Schlüssel hat stecken lassen und dessen Heftserie doch länger als fünf Folgen überlebt hat.

Aber der Plot braucht halt diese Explosion, um den ausgeklügelten Plan dann wieder um den geradezu enorm lächerlichen Auftritt des Maschinenpistolenquartetts erweitern zu können, der so sehr nach den „Unbestechlichen“ und „Elliot Ness“ stinkt, wie er 30 Jahre zu spät kommt.

Lösen tut den Fall übrigens letztendlich hauptsächlich Superhirn Neville, den man damals als eidetische Computeralternative benutzte, ehe die Behörde tatsächlich endlich mal Lochkartencomputer zur Arbeit heran zog.

Das liegt auch daran, dass ich Protagonist Jerry in diesem Roman nicht sonderlich sympathisch finde. Gut, der Mann ist so gerade gewachsen und hat so einen Stock im Arsch, dass ich Ironie von ihm per se schon gar nicht erwarte, aber dieses kleinkindhafte Gemaule, er habe Shirk verhaftet und ein Cotton irre sich nie bzw. kenne sich schon aus, ist genauso eindimensional wie das plötzlich ach so emotionale Angefache der Wortgefechte, wenn Cotton dann tatsächlich mal einem Gangster gegenübersitzt, der die besseren Karten in der Hand hat oder sich eine erfolgreiche Finte ausgedacht ist.

Dann ist unser Held untröstlich, stößt Drohungen aus und wird sogar persönlich, schmeißt sogar mit Sachen, weil er gerade nicht anders konnte oder pampt die Widersacher hasserfüllt an. Kann der gar nicht verknusen, der Jerry, schließlich gewinnt ja auch fast immer, da soll das dann auch nicht anders sein. Jawoll!

Die längeren Gesprächssequenzen mit den Gangstern, die eigentlich pointiert sein müssten, geraten so zu Geduldsproben, das Sammeln von teilweise auffälligen Informationen gerät ins Hintertreffen, weil Cotton ständig im Off-Kommentar behauptet, sie würden ja nur Mist reden, er bräuchte bei all der Dummheit jetzt Zigarette und die Formulierungen seien ja nun auch nicht wohlfeil, obwohl sie lediglich sarkastisch sind.

Was wohl auch ein Grund dafür ist, dass ich mich mit Mr. Cotton nie so ganz anfreunden werde (außer er hat sich seitdem in den letzten 20 Jahren enorm gewandelt), da der Protagonist keine komplexe Figur, sondern so eine Art puritanische Projektions- und Protektionsfläche für alle möglichen Bedrohungen war und vielleicht noch ist, ein totaler Fremdkörper, selbst in einem Norman-Rockwell-ähnlichen Amerika der frühen 60er Jahre.

Anmerken möchte ich noch die Bandbreite, die hier von dem mir leider unbekannten Autoren abgedeckt wurde, von den „uralten“ MGs im Instrumentenkasten über die modernen Gangster nach „film noir“-Vorbildern bis zu dem bebrillten Studenten Bill, der hier schon anno 1960 (das Datum wird explizit genannt), als Paradebeispiel für gebildete Extremisten herhalten musste, wenn er auch im Wesentlichen noch als „zu faul für richtige Arbeit“ definiert wurde.

So existiert dieser „Jerry Cotton“ tatsächlich in einem Aufguß verschiedenster Vorbilder und Einflüsse, die eher ungeschickt zu einem dramatischen Roman zusammengerührt wurden, deren Anarchofaktor aber gleich wieder säuberlich beschränkt wurde, in dem hier Explosionen herbei geführt werden, die sich wirklich nur auf das Auto und nicht auf die weitere Umgebung beschränken.
Aber um Realismus ging es ja auch nicht.

Freundlich erwähnen möchte ich auch noch die vier Mittelseiten (sonst der Leserkontaktplatz), die in diesem Fall als Filmwerbeprogramm für den neuesten Edgar-Wallace-Kinoreißer „Der Fälscher von London“ herhalten müssen – ein wunderbares Dejà-vu. Die sich unglaublich bemüht an England anbiedernden Wallace-Krimis buchen Werbeplatz in den bemühten US-Anlehnungen der Bastei-Autoren – solche ungewollten In-Jokes werden heute gar nicht mehr geschrieben.

Also knarrt mein Besuch bei Jerry „Damals“ tatsächlich schon ein wenig sehr in den Gelenken, aber   Spaß machen diesen Kuriosa an Krimi dennoch – der Reiz auf einen neuen Jerry steigt. Vielleicht leg ich ja noch einen aus den 80ern dazwischen.
Aber vorher bekommt ihr alle noch ganz anderes Zeugs aus der Zwischenzeit!
Nachladen, bitte!

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Kommentare  

#1 Andreas Decker 2019-02-20 10:44
Zitat:
In den Südstaaten meckern sie auch über uns, weil wir für die Rechte der Schwarzen eintreten und dem Ku-Klux-Klan auf die Finger klopfen.
1960. Ja, genau! :lol: Im wahren Leben wären Jerry und Phil schwer damit beschäftigt gewesen, eben jene Schwarze zu bespitzeln und abzuhören, weil das laut ihrem Boss alles Kommunisten/Anarchisten/Pack waren. Und sich mit keinen Operettenmafioso auf dem Broadway Schießereien liefern.

Aber man kann den damaligen Autoren wirklich nicht übelnehmen, die damalige Propaganda nachgebetet zu haben. Das waren nun mal die Quellen, und es ist ja auch ein schönes Märchen. Obwohl ein Roman, in dem Jerry und Phil den Auftrag bekommen, einen Gewerkschaftsführer dabei zu fotografieren, wenn er seine Geliebte vögelt, um ihn unter Druck setzen zu können, bestimmt ein Kracher gewesen wäre. :lol:

In meiner Jugend flogen bei uns auch ein paari Cotton herum. Mit 10 oder 11 fand ich die toll. Worum es da eigentlich ging, habe ich natürlich nicht mitbekommen. Die Filme habe ich erst sehr spät im Fernsehen gesehen. Die laufen ja immer noch auf irgendwelchen Spartenkanälen. Ich sehe gelegentlich mal rein, staune über die Naivität und die ungewollte Komik - meine Lieblingsszene ist immer, wen Mr. High ins Telefon brüllt, Straßensperren zu errichten, und dann wahre Horden von Uniformierten auf dem Motorrad oder mit heulenden Sirenen ausschwärmen, um keine Ahnung was zu tun; das grenzt heftig an Ed Wood - , aber ich habe meine Probleme, die Dinger auseinanderzuhalten. Dazu ähnelt sich die Story zu sehr. Dass die so erfolgreich waren, ist heute genauso unverständlich wie die Tatsache, dass jemand wie Uschi Glas mal das Pin-up einer ganzen Generation von Bravo-Lesern war.

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