Deutsche Fernsehkrimis im Wandel der Zeit: Teil 9 - Die Figur Schimanski
Teil 9
Die Figur Schimanski
Ein Kommissar, der täglich Buletten aß und auch noch geschieden war, stellte sicher nicht das Idealbild eines deutschen Fernsehermittlers dar. Doch er war beliebt. Und nur weil dem Schauspieler Hansjörg Felmy die Drehbücher einer neuen Generation von Autoren nicht mehr gefiel, schmiss er das sprichwörtliche Handtuch.
Es war die Zeit gekommen, in der Produzenten nicht mehr die Drehbuchautoren stilistisch beeinflussten, sondern es war die Zeit, in der Drehbuchautoren ihr eigenes - ihr neues Ding machten. 1980 erhielt Götz George einen Anruf vom WDR. Er sollte der Nachfolger von Haferkamp alias Hansjörg Felmy werden. Das war schon ein heftiger Kontrast. Der stilechte Ermittler im Trenchcoat ging, dafür kam ein Rowdytyp in einer Schmuddeljacke daher. Gleich der erste Fall spaltete die Zuschauer. Horst Schimanski löste seine Fälle auf eine andere Art. Er nutze seine Fäuste, gröhlte mindestens ein Dutzend Mal pro Folge das zügellose Wort "Scheiße" und suhlte sich nur allzugern im Dreck. Außerdem trat er gern mal nackt auf den Bildschrim und wenn es gut lief auch mal nur in Unterhose. Und obwohl er ein gespaltenes Publikum hinterließ, war diese Figur ungeheuer erfolgreich und bescherte dem WDR-Tatort z. T. nie dagewesene Einschaltqouten. Dabei waren alle Schimanski-Tatorte gar keine Krimis. Es waren eher Komödien mit einem gewissen daramturgischen Einschlag. Wirklich ernst nehmen konnte man das ganze jedenfalls nicht. Aber wahrscheinlich lag gerade hier das Geheimnis des Erfolges. Skurill zu sein, sich und den Krimi nicht ganz zu ernst zu nehmen und einfach mal etwas Anderes machen. Dabei war der Ermittler aus Duisburg gar nicht so ein neuer Typ. Wenn man an Kressin denkt, den Zollfahnder, den Sieghard Rupp bereits zehn Jahre zuvor im TATORT spielte, dann war der schon ähnlich angelegt.
"Ich sagte damals zum WDR-Produzenten mehr nur zum Spaß, wenn ich Tatort-Kommissar werde, dann möchte ich ein Typ sein, der selbst nicht ganz sauber ist. So einer der mit Frauen nicht klar kommt und eine gewisse kriminelle Ernergie hat. darauf sagte der Produzent: Das ist gut, das machen wir." (1)
Bei Schimanski waren die Fälle auch nicht so wichtig. Die Figuren standen im Mittelpunkt. Schimanski und sein Assistent Thanner. Der eine im Schmuddellook, der andere mit Schlips und Kragen. Es gab nur wenig Fälle, die wirklich gut waren und Krimipotenzial hatten, wie etwa "Das Haus im Wald". Doch das interessierte die Zuschauer nicht. Es ging um die Figur, die sie sehen wollten.
Man weiß nun nicht, warum die Krimijahre der 80er Jahre so arm an Neuem waren. Bestimmt waren es mehrere Gründe. Und es gibt Kritiker, die meinen, man hätte dem "Schimanski" nicht mehr viel entgegensetzen können. So weit würde ich nicht gehen, denn das Fernsehen ist immer für eine neue Idee bereit gewesen. Ich denke eher, man wollte die Entwicklung des Privatfernsehens abwarten und darüber hinaus waren es eher die Familienserien, die hoch im Kurs standen. In den achtziger Jahren hatten "Die Schwarzwaldklinik", "Das Traumschiff" und "Diese Drombuschs" Hochkonjunktur.
1991 verabschiedete sich Schimanski vom Bildschirm. Seine Zeit war vorbei. Das Privatfernsehen, die Wendejahre und wechselnder Zeitgeist forderten ihren Tribut. Man hätte sicher auch mit Schimanski weiter machen können, doch auch auf den inzwischen gefragten Star Götz George warteten neue Aufgaben. Schimanski brachte auch zwei Kinofilme hervor. "Faust auf Faust" und "Zabou". Übrigens etwas, dass als Meilenstein zu bezeichnen ist. Nicht weil die Filme so gut waren, sondern weil es somit möglich war den deutschen Krimi nach mehr als zehn Jahren endlich wieder auf die Leinwand zu bringen.
Bereits sechs Jahre später sah sich Götz George bereit, Schimanski fortzusetzen. Man musste die Figur dafür nicht neu erfinden. Da der Ermittler 1991 in der letzten Folge den Dienst quittiert hatte, ließ man ihn fortan als Privatdetektiv und Personenschützer agieren. Hier war er dann auch gleich glaubwürdiger, denn als solcher durfte er schon mal eher über Stränge schlagen, als wäre er wie früher Polizist gewesen. Thanner ist nun nicht mehr dabei, da der Schauspieler Eberhard Feik inzwischen verstorben war. Auch in der neuen Serie erklärte man Thanners Ausbleiben mit dem Tod der Figur. Allerdings wurde er hier ermordet. Schimanski weiter zur Seite steht aber sein alter Kollege Hänschen (Chiem van Houweninge) und ein neuer junger Kommissar namens Hunger (Julian Weigend). Dieser taucht jedoch erst in Folge 9 auf. Das Erstaunliche: Die neuen Schimanskis sind diesmal echte Krimis. Die Figur Schimanski wird unwichtiger. Es geht um die Handlung. Das es dieser Wandlung bedurfte, um endlich taugliche Krimis mit der Figur Schimanski zu entwickeln, ist wundersam.
„Mich hat immer das Neutrale der Kommissar-Figuren genervt, die in ihrem Trenchcoat herumliefen. Wir wollten die Kommissare in den Mittelpunkt stellen. Dafür haben wir eine subjektive Erzählweise entwickelt.“ (2)
Wer allerdings behauptet, Schimanski hätte den Krimi gewandelt, der ist auf der schiefen Bahn. Selbst Götz George sagte einmal, dass dies wohl eher nicht der Fall war. Schimanski ist und blieb immer eine Ausnahmeerscheinung. Das ist wahr. Man ihn nie versucht, ihn ernsthaft zu kopieren. Er selbst war eine Kopie (wenn überhaupt), denn ähnliche Ermittlertypen gab es bereits in den 60er Jahren, wenngleich diese auch wesentlich dezenter gezeichnet waren. Er war aber aber vielleicht eher eine Karikatur all dieser Urzeit-Ermittler des deutschen Fernsehen. Und er räumte endlich mit dem Dreck der Nachkriegsgenerationen auf. Das Gefühl, leben zu können wie man will und sagen zu dürfen, wonach einem gerade ist, hat keine Krimifigur so eindrucksvoll dargelegt wie Schimanski. Oder ist es ein Zufall, dass Schimanski als Polizeikommissar ausgerechnet dann in Rente ging, als der eiserne Vorhang gerade gefallen war?
„Fast zeitgleich mit der Sowjetunion hat uns in Horst Schimanski der letzte proletarische Held verlassen.“ (3)
Kommentare
Es ist wirklich die Figur Schimanski, die mir gefällt. Da geht einer seinen Weg, auch durch eine abgeschlossene Tür oder mal über eine Hinerhofmauer. Genausowenig lässt er sich von Konventionen aufhalten und kümmert sich nicht darum, was andere von ihm denken.
Damit kam so ein Freiheitsgedanke durch, der in den 80ern erst ein zartes Flämmchen war in den meisten Köpfen. Die Sehnsucht nach Freiheit war zwar da, aber man musste sich erst trauen, die auch zu ergreifen und in Kauf zu nehmen, dass dann womöglich die Nachbarn über einen reden würden.
Es ist bestimmt kein Zufall, dass in den 80ern auch die Punker und andere Gruppierungen im auffälligem Äußeren stark auftraten. Diese Maskierung war ein Aufbegehren gegen die biedere Bürgerlichkeit, die einfach noch sehr mächtig war. Auf der einen Seite sollte man brav und angepasst sein, um eine Lehrstelle und einen Arbeitsplatz zu finden und sein Leben bewältigen können, auf der anderen Seite war den meisten Jüngeren schon bewusst, dass sie damit ein Gefängnis betraten, in dem sie zwar leben konnten, sich aber nicht wohl fühlten.
Schimanski dagegen machte, was er wollte, ohne Respekt vor Schlipsträgern oder Traditionen. Das war nicht nur cool, sondern brachte ihn in den Filmen auch immer zum Erfolg, nämlich, dass er den Mörder gerade durch seine ungewöhnlichen Methoden erwischte. Außerdem hatte er ein großes Herz für kleine Leute. Geld, Macht und Erfolg konnten ihn nicht blenden, und auch damit war er ein Kontrast zur bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit.
Schimanski war vielen Jugendlichen mehr Vorbild als die eigenen Eltern, die immer brav, zurückhaltend und spießig waren und tatsächlich glaubten, das wäre der einzige Weg, um durchs Leben zu kommen.
Eine der ikonischten (gibt es das Wort?) Schimanski-Szenen ist die in mehreren Varianten vorkommende Situation, dass Schimanski im Puff ermittelt,irgendwo einen honorigen Herrn im Anzug erspäht und ihn mit übertriebener Freundlichkeit begrüßt: "Gudn Tach Herr Oberstaatsanwalt! Na, auch hier?" Möglichst noch mit einem süffisanten "Wie geht's denn der Frau Gemahlin?" hinterher. Die Botschaft: Jeder kann natürlich (in den Grenzen von Gesetzen und Rechtsstaat) machen, was er will, aber die Anzugträger dieser Art sollen gefälligst nichts von Moral erzählen. "Ein Fall für Zwei" hatte wesentlich mehr Rotlichtszenen, aber so ein Spruch von Matula? Das hätte nicht gewirkt. Die Besonderheit von Schimanski lag darin, dass er seine Subversivität auslebte, obwohl er Teil des Staatsapparates war. Daher gab es manchmal Proteste aus Politik und Polizei, BILD begann, Statistiken über die Anzahl der Verwendungen des Sch... Wortes zu führen, und so weiter. In der Schimanski-Serie verliert die Figur einen Teil dieser Wirkung, weil Schimmi nun nicht mehr ein Teil des Apparates ist. Es funktioniert aber noch immer recht gut, da durch die Zusammenarbeit mit früheren Kollegen häufig daran erinnert wird.
Der Tatort als komödiantische Ego-Show. Damit tat sich das piefige Establishment der Achtziger naturgemäß schwer. (Man muss den Zeitgeist bedenken: 1987 hat BILD monatelang gegen Thomas Gottschalk gewettert, jener aus heutiger Sicht extrem biedere Moderator erschien BILD als zu unangepasst und frech für eine Samstagabend-Show..)Heute sind es genau diese Elemente, Ego-Show und Komödie, die den Tatort Münster (vom selben Sender) zum erfolgreichsten Tatort-Format machen. Hinzu kommt und kam aber noch ein drittes Element: die Verwurzelung von Figuren in ihrer Region, eigentlich ein Merkmal aller Tatort-Krimireihen, das aber hier auf die Spitze getrieben wird. Es gilt Ruhrpott=Schimanski, Münster=Börne.
Die Regiesseure und Autoren haben dahingehend aber bereits in den 70ern Jahren viel ausprobiert. Ich nenne nur "Lobster" oder "Graf Yoster gibt sich die Ehre" oder auch die Beiträge beim Kommissar, die von Zbynek Brynych stammen, einem sehr exzentrischen Regie-Mann.
Die ARD-Vorabendserien waren oft innovativer, als der 20:15 Mainstream. Aber wer erinnert sich noch an lustigen Trash wie Jolly Joker oder diese kurzlebige P.I.Serie mit der Wackelkamera, deren Titel sogar ich vergessen habe Irgendso ein 90er Teil. Zurzeit sind es die (unsäglichen) "humorigen" Regionalkrimis, die nicht Hauptabendtauglich aber sehr erfolgreich sind.
Schimanski war völlig verwurzelt mit der schon damals aussterbenden Industrieromantik und dem Handlungsort. Irgendwann habe ich es nicht mehr eingeschaltet, weil mir das zu viel George und zu wenig Krimi war. Auch wenn der Mann einer der wenigen deutschen Ausnahmeschauspieler war, hat man die Tatorte dank des Erfolgs nur noch auf ihn zugeschnitten. Kann man einerseits verstehen, andererseits leidet das Endprodukt darunter.
Das sieht man ja immer wieder. Auch beim Münster-Tatort, wo es mittlerweile nur noch um die Figurendynamik geht und die Krimigeschichten keine 90 Minuten tragen. Da wird im Prinzip nur noch die Szenencheckliste durchgenudelt: Thiel&Börne, Börne&Alberich, Vadder&Thiel, Thiel&Staatsanwältin (deren Name man sich nicht merken muss).
Die Hälfte der üblichen Tatortkost, sprich die düsteren (und politisch-korrekt öden) Emo-Sozialdramen a la Frankfurt oder Köln kann man in dem Format nicht machen, weil das nicht funktioniert, und eine Story, bei der sowohl die Figurendynamik als auch der Fall zueinander passen und sich ergänzen, ist bei zunehmender Wiederholung immer schwerer zu erarbeiten.
Und das Problem hatten schon Schimanski Vol.1 und Haferkamp ganz klar.
Daher war Schimanski eine Figur, die stellvertretend für den Rest der Bevölkerung sich eben die Freiheit nahm, die andere sich immer noch versagten.
Ehrlich gesagt, ich kann mich eher mit Schimanski identifizieren (wers nicht glaubt, kann mich ja mal provozieren, bis ich wütend werde) als mit den meisten modernen Ermittlern in Büchern oder Filmen.
Vor lauter privatem Stuss kommen die doch kaum noch dazu, sich mit dem Fall zu befassen. Und die Komissarinnen, die massenhaft auf den Bildschirm drängen, sind teilweise sehr unglaubwürdig. Wie kann sollen die ein Team führen und Fälle lösen, wenn ihnen dauernd die Familie im Nacken sitzt und ihnen ein schlechtes Gewissen einredet wegen der langen Arbeitszeit? Das ist eben kein Job, wo nachmittags um halb 5 der Kuli fallen gelassen wird. Das muss man vorher wissen.
He, ihr Filmschaffenden, wie lange muss man lernen, um diesen Ausbildungsstand erreichen zu können? Welche Vorraussetzungen braucht es, auch körperlich? Eine Hungerharke Anfang 20 ist dann wohl kaum eine glaubhafte Besetzung, oder? Auch dann nicht, wenn die Schauspielerin nur dank der Schönheitschirurgie so jung aussieht.
In den 70ern gab es nur den Protest gegen den Vietnamkrieg, die RAF, Willy Brandts "mehr Demokratie wagen", die Studentenbewegung, die Anti-Atomkraft-Bewegung und gegen Ende die Bewegung gegen den Nato-Doppelbeschluss. Das war schon ein bisschen mehr als freie Liebe und Kiffen.
"In den 70ern gab es nur den Protest gegen den Vietnamkrieg, die RAF, Willy Brandts "mehr Demokratie wagen", die Studentenbewegung, die Anti-Atomkraft-Bewegung und gegen Ende die Bewegung gegen den Nato-Doppelbeschluss. Das war schon ein bisschen mehr als freie Liebe und Kiffen. ;-)"
Hier auf dem Land hat man von all dem nicht viel gespürt. Das waren Themen in den Nachrichten, die zwar einige Leute aufgeregt haben, aber es war alles weit, weit weg vom eigenen Leben. Da herrschte nämlich nach wie vor eine Piefigkeit, die sich nicht wirklich von den 50ern und 60ern unterschied.
Die Elterngeneration der Zeit hatte noch die Gleichschaltung der Köpfe im 3. Reich abgekriegt. Erst als deren Macht altersbedingt nachließ, konnte und musste die Jugend sich nach eigenen Regeln definieren. Das hat natürlich auch erst mal für gewisse Irritationen gesorgt, weil Erfahrungswerte und Leitbilder fehlten.