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Neo-Noir und Southern Gothic - True Detective

1Neo-Noir und Southern Gothic
True Detective

In Louisiana ins Herz der Finsternis

Vor allem der amerikanische Blätter- und TV-Bloggerwald behauptet im Augenblick gern, der Zuschauer würde im Goldenen Zeitalter des Fernsehens leben. Der übliche dumme Hype, sollte man annehmen. Andererseits ist die Qualität der ausländischen Fernsehserien zurzeit in der Tat so hoch wie schon lange nicht mehr.


"Game of Thrones", "Boardwalk Empire", "House of Cards", "Hannibal" und die dreckigeren kleinen Brüder wie "Spartacus", "Banshee" oder "Strike Back" lassen die meisten der in die Jahre gekommenen Network-Serien wie "NCIS", "Law&Order SVU" oder "CSI" alt aussehen.

Das liegt nicht zuletzt an der (relativ) neuen Akzeptanz des Format Miniserie in Amerika. Eine Geschichte erzählt in acht bis dreizehn Kapitel (sprich Episoden) ermöglicht natürlich eine ganz andere Dramaturgie und Erzählweise als die materialverschleißende 22 Folgen-Endlosgeschichte. Relativ neu ist auch der Erfolg der Anthologieserie, den nicht zuletzt "American Horror Story" angestoßen hat. Diese Serie erzählt ja mit demselben Schauspielerensemble in jeder Staffel eine neue in sich abgeschlossene Geschichte.

Zu den atmosphärisch dichtesten Produktionen der letzten Jahre gehört zweifellos "True Detective" von HBO, eine Mischung aus Neo-Noir und Southern Gothic.

Schon mit der Ankündigung der Hauptdarsteller der ersten Staffel hatte HBO einen echten Coup gelandet. Matthew McConaughey und Woody Harrelson als zwei Polizisten auf der Jagd nach einem Serienkiller. Auch wenn es um Harrelson karrieremäßig in den letzten Jahren vielleicht ein bisschen stiller geworden ist, gehört McConaughey, der gerade den Oscar gewonnen hat, zweifellos zu den intensivsten und wandlungsfähigsten Schauspielern Hollywoods. Da waren die Erwartungen schon groß, und man hat etwas Gehaltvolleres erwartet als die gefühlte Millionste Serienkillerstory.

"True Detective" enttäuscht nicht.

Da die Serie von der Machart so angelegt ist, dass man keine Episode versäumen darf, wenn man den Faden nicht verlieren will, und viele Wendungen für Spannung sorgen, wird im Folgenden nach Möglichkeit auf Spoiler verzichtet.

Der Beginn der Story: 2012 werden die ehemaligen Polizisten der Louisiana State Police Martin Hart (Harrelson) und Rustin Cohle (McConaughey) getrennt zu einem mittlerweile 17 Jahre zurückliegenden aufsehenerregenden Mord befragt, den sie aufgeklärt haben. Der Anlass für die Befragung ist ein mutmaßlicher Nachahmungstäter. Die beiden Männer haben sich so zerstritten, dass sie sich seit 10 Jahren nicht mehr gesehen haben. Während Hart ein seriöser kurzhaariger Anzugträger mit mittlerweile eigener Sicherheitsfirma ist, hat sich Cohle in einen ungepflegten, langhaarigen Alkoholiker verwandelt, der sich als Barkeeper durchschlägt und von den beiden Befragern erst einmal einen Sechserpack Bier verlangt. Und natürlich trotz Verbot kettenraucht. Dem Zuschauer wird die krasse Verwandlung Cohles sofort deutlich gemacht, denn die Handlung springt in den ersten 6 der insgesamt 8 Folgen ununterbrochen zwischen Rückblenden (1995 und später 2002) und Jetztzeit (2012) hin und her.

1995 ist Cohle ein adretter Beamter, der allerdings ein Störenfried im ländlichen Louisiana ist, kommt er doch aus Texas. Als bekennender Atheist hat er zudem für das intellektuell schlichte, religiös geprägte Redneck-County mit seinen Baptistengemeinden, Erweckungskirchen in Zelten und Sumpfgemeinden nicht viel übrig. Hart hingegen, der über seinen neuen Partner wenig begeistert ist, ist zumindest nach außen hin eine Stütze der Gemeinde. Der Familienvater mit einer hübschen Frau (Michelle Monaghan) und zwei jungen Töchtern ist kein großer Denker, und die intellektuell verquasten nihilistischen Monologe seines Partners stoßen bei ihm auf wenig Gegenliebe.

Da setzt man die beiden auf den Fall der ermordeten Ex-Prostituieren Dora Kelly Lange an. Lange findet man auf einem Feld, gefesselt und mit einem Hirschgeweih versehen. Umgeben von bizarren Bastelleien aus Stöcken, die überall aufgestellt sind. Offensichtlich ein Kultmord.

Schnell wird ersichtlich, dass die Aussagen der beiden Polizisten 2012 vor der Videokamera geschönt sind, weichen die Rückblenden doch immer mehr von der offiziellen Version ab. Bei den mühsamen Befragungen der den Behörden mit Misstrauen und latenter Gewalttätigkeit begegnenden Landbevölkerung finden sie heraus, dass es diverse vermisste Frauen und Kinder gibt. Fälle, die von der Polizei schlampig oder auch gar nicht bearbeitet wurden. Korruption in den höchsten Kreisen zeigt sich. Und irgendwann finden sie heraus, dass Dora Lange, die Mitglied einer seltsamen Wiedererweckungsgemeinde wurde, vom "König in Gelb" in "Carcosa" redete.

Und schon ist der Zuschauer – insofern er die nötige Vorbildung hat -, mitten im Land von H.P.Lovecraft und Robert Chambers, dem Gelben Zeichen und Hastur.

Der Schöpfer der Serie, der Autor Nic Pizollatto, der alle Episoden schrieb, bezeichnet sich in einem Interview im Wall Street Journal als Fan von Autoren wie Robert Chambers und Karl Edward Wagner, aber auch von modernen Vertretern des Genres wie Thomas Ligotti und Laird Barron. Aber das geht über das Interesse am zeitgenössischen Horrorroman hinaus. Vor allen Dingen beeindruckt zeigt er sich von Ligottis Sachbuch "The Conspiracy against the Human Race". Dazu kommt seine selbst eingestandene Besessenheit mit seiner Heimat, dem tiefen Süden der USA, den er einmal als einen "korrumpierten, verrotteten Garten Eden" bezeichnete, wie in der Zeit zu lesen stand.  

Vieles von dem, was auf dem Bildschirm zu sehen ist, verwandelt die Sprache dieser Horrorautoren in oft schauerlich-suggestive Bilder. Zumal Pizollatto die Elemente von Chambers bewusst nicht in den üblichen Kontext setzt. In dieser Welt existiert der Roman nicht, Cohle und Rust diskutieren also nicht über die Werke mehr oder weniger bekannter Genreschriftsteller, sie erleben dies alles unmittelbar; die bizarren Kultelemente des Täters stehen auf Augenhöhe mit der Auferstehungsrhetorik der Prediger.

Natürlich steht und fällt dieser Southern Gothic mit seinen Bildern. Und da hat Regisseur Cary Joji Fukunaga, der alle Folgen gedreht hat, schon Bemerkenswertes geleistet. Die ständigen langen Autofahrten durch das ländliche Süd-Louisiana, das beinahe menschenleer und wie im Zerfall erscheint, der bleierne Himmel und die Sümpfe, das sorgt immer wieder für großartige Bilder und eine häufig beklemmende Atmosphäre. Das ist oft meisterhaft fotografiert und inszeniert; in Folge 4 schleust sich Cohle in eine Bikergang ein und muss an einem Überfall auf eine rivalisierende Drogengang mitmachen. Daraus hat der Regisseur eine 6minütige großartige Einstellung ohne Schnitt gemacht, die eher den Fernsehnachrichten als einer Dramaserie entsprungen scheint.

Natürlich wäre es nicht HBO, gäbe es keine heftige Gewalt und die übliche Quote Nacktheit und Sex. Allerdings ist das hier punktgenauer eingesetzt als in vergleichbaren Serien, und so wirkt es oft überraschender und manchmal auch schockierender.

Aber im Mittelpunkt stehen McConaughey und Harrelson. Ihr Spiel weiß fraglos zu überzeugen. Das Drehbuch verlangt Schauspieler, die über weite Strecken nichts anderes tun, als an einem Tisch zu sitzen und zu reden. Und da bietet McConaughey mit seiner schwer beschädigten Figur Cohle eine beeindruckende Darstellerleistung. Seine mit leiser Stimme vorgetragenen oft wirren Monologe über das Leben in einer Welt, in der Gott nur eine neurologische Fiktion ist, können einen in ihren Bann ziehen. "Einige linguistische Anthropologen halten Religion für einen linguistischen Virus", sagt er, zitiert Nietzsche und die M-Theorie. Und angesichts der brutalen Welt aus Mördern und Kinderschändern, in der er sich bewegt, erscheint seine hoffnungslose Weltsicht bestätigt. Während Harrelson perfekt als heuchlerischer Jedermann dagegenhält, der das alles für Schwachsinn hält und die Familie und ihre Werte in den Mittelpunkt seiner Weltanschauung stellt - während er bei seiner Geliebten Dampf ablässt und zu überraschenden Gewaltausbrüchen fähig ist.

Die Geschichte entwickelt sich sehr langsam und erfordert eine gewisse Konzentration. Berieselungsfernsehen ist das nicht. Man muss schon etwas aufpassen, um sich in dem Labyrinth aus Hinweisen, Andeutungen und Namen nicht zu verirren. Zuschauer, die Psychologie und in die Breite gehende Dialoge ohnehin langweilig finden, dürften spätestens bei der dritten Diskussion der ungleichen Partner während einer langen Autorfahrt entnervt abschalten. Abgesehen davon, dass es hier schrecklich ernst zugeht und die schwergewichtigen Themen alles andere als spaßig sind. Was aber den Ton unterstreicht, denn es wird deutlich, dass das eben nicht ein x-beliebiger Fall für die beiden Detectives ist, sondern er ihr Leben verändert.

Wenn man True Detective etwas vorwerfen kann -  falls man will -, dann natürlich, dass es hier um die Reise und nicht das Ziel geht. Nach dem ganzen Aufbau kann die Auflösung unmöglich alle Antworten liefern oder das Genre neu erfinden. Sie ist hervorragend inszeniert, aber letztlich ist sie nichts, was man nicht oft in ähnlicher Form gesehen hätte. Immerhin endet die Geschichte mit einem langen Epilog in einer ergreifenden Szene und mit einer Note der Hoffnung. Die angesichts des Vorangegangenen dann doch überrascht.

Hierzulande wird sich der Erfolg dieser Serie vermutlich in Grenzen halten. Auch wenn das große Ähnlichkeit mit den düsteren Schwedenkrimis hat, ist es doch andererseits sehr amerikanisch. Was hier aber durchaus einmal nicht negativ gemeint ist.  

Und Elemente wie das Spiel mit den literarischen Horrorgenreelementen dürften die wenigsten erkennen oder zu schätzen wissen. Was durchaus kein Vorwurf sein soll. Chambers und die Mythologie, die andere daraus gemacht haben, ist hierzulande bestenfalls eine obskure Fußnote. Davon abgesehen gibt es die Serie bis jetzt nur im Pay-TV. Noch ist nicht klar, ob und wo sie laufen wird. Eigentlich kann man da nur auf das ZDF setzen, die ja schon Serien wie das englische "Luther" gesendet haben. Bei den Privaten stünde zu befürchten, dass sie nach drei Episoden wegen vermutlich mangelnder Quoten aus dem Programm flöge.

Sehenswert ist das allemal, ist das in der Tat hervorragendes Fernsehen. Und man darf gespannt sein, ob die zweite Staffel von "True Detective" mit neuem Schauplatz, neuen Schauspielern und einer völlig neuen Geschichte an den Erfolg anknüpfen kann.

© Andreas Decker 2014

Kommentare  

#1 Mainstream 2014-06-09 12:03
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Ein großartiger Artikel. Ich kann allen Ausführungen mit jedem Wort zustimmen.

Auch ich konnte mit der Mythologie des König in Gelb nichts anfangen, hat aber der Spannung keinen Abbruch getan. Wie du schreibst, macht die Serie ja diesen Mythos zu ihrem eigenen.

Wer sich auf Untertitel einlassen kann, dem sei die Originalfassung empfohlen, wo die Dialekte aus Texas und Louisiana noch eine weitere Ebene in den Charakteren hervor bringt.

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