Ein Mann braucht neue Schuhe - »Charlie Muffin«
Ein Mann braucht neue Schuhe
»Charlie Muffin«
Der Phantasie Brian Freemantles entsprang zu Zeiten des Kalten Krieges zwischen Ost und West die Figur des Charlie Muffin. Dieser Typ ist der Gegenentwurf des in Moskauer Bars Martinis schlürfenden Agenten James Bond. Sein Leben birgt nicht halb so Action und Glamour wie das des Doppel-0-Agenten, aber er ist gewisser Weise deutlich reizvoller. Der sogenannte Kalte Krieg heißt nicht die Welt im Alleingang zu retten, sondern sich die Schuhe durchzulaufen, im Regen herumzustehen und unauffällig zu sein. Es müssen konspirativ Informationen beschafft werden und manchmal auch auf dem Territorium der Gegenseite. Das ist die Welt des Charlie Muffin, dessen Markenzeichen eben seine alten Schuhe sind.
Freemantle macht die Welt der Geheimdienste nicht zu einer Achterbahnfahrt aus Action und Abenteuer. Seine Figuren, insbesondere die des Muffin, sind bodenständiger und bewegen sich doch immer wieder mal an Rande des Todes. Dabei erscheint der Entwurf von Freemantle realer. Eine sehr spannende Angelegenheit, die mich beim Leser von leider nur drei Romanen begeisterte.
1977 veröffentlichte Fremantle den ersten Roman um Charlie Muffin »Charlie M« (dt. bei Ullstein als »Agentenpoker«). Es folgten noch fünfzehn weitere Romane von denen lediglich neun auf Deutsch erschienen sind. Ich selbst habe vor mehr als dreißig Jahren (nach Ansicht dem hier zur Besprechung anstehenden Films) drei oder vier Romane gelesen und die sind mir in positiver Erinnerung geblieben. Ich sollte ernsthaft mal versuchen, diese Romane mal komplett zu bekommen.
Bereits 1979 wurde der erste Roman als Charlie Muffin fürs Fernsehen verfilmt In den USA lief der Film unter dem Titel »A Deadly Game« und gelangte so gar in Italien unter dem Titel »L'abbraccio dell'orso« in die Kinos. Nun legt Pidax den Film auf DVD vor. Freunde eines gewissen Doktors wird es interessieren, dass Verity Lambert ausführende Produzentin des Films war. Sie war ja von 1963-1965 die erste Produzentin der legendären Serie »Doctor Who« und auch danach für Qualität auf Leinwand und Mattscheibe verantwortlich.
Die Besetzung ist exquisit. Da ist für Charlie Muffin eine Idealbesetzung gefunden worden. David Hemmings, der mir insbesondere mit »Blow Up«, »Alfred the Great« (Alfred der Große - Bezwinger der Wikinger) und an der Seite von Richard Harris in »Juggernaut« (dt. 18 Stunden bis zur Ewigkeit) bis zur Ewigkeit aufgefallen war, kann hier so richtig glänzen. Er gibt Charlie Muffin ein Gesicht, eines das überzeugt. Diese Mischung aus den Spuren eines harten Lebens, der schräge Humor und der Zynismus eines Mannes, der es gewohnt ist zu überleben und sich in einer Welt von Snobs zu behaupten.
Pinkas Braun spielt General Kalenin, den Chef des KGB, der offensichtlich überzulaufen gedenkt. Braun ist eine großartige Besetzung für die Rolle des Kalenin. Er stellt den Russen großartig da. Die Chefs des britischen (Sir Archibald) und amerikanischen Geheimdienstes (Ruttgers) spielen Ian Richardson (als dessen Vorgänger ist Ralph Richardson zu sehen) und Sam Wanamaker. Nicht zu vergessen Clive Revill als von Charlie Muffin überführter und inhaftierter sowjetischer Agent Berenkov und der als der Fußabtreter des CIA Shane Rimmer. Donald Churchhill, der an der Seite von Ian Richardson (als Hoilmes) den Dr. Watson gab. Auch hier ist der Mann im Schatten des Chefs des britischen Geheimdienstes.
Die Frauenrollen in diesem Film sind etwas dünn. Da ist Muffins Frau Edith (Jennie Linden) und die Patentochter, die sich mit Charlie Muffin (Rohan McCullough) auch im Bett amüsiert). Beide haben eher kleinere Parts zu sehen. Nun ja, Spionage ist Männerarbeit (). Dennoch gewinnen auch diese beiden Figuren an Wichtigkeit.
Der Film beginnt mit einer Einstellung in einem Hotel. Eine Kamera fährt die Hoteltüren entlang. Vor der Tür stehen die Schuhe feinsäublich aufgereiht. Zumeist sehr edle Schuhe, bis dann ein altes, abgetragenes Paar auftaucht. Das sind die durchgelaufenen Treter Charlie Muffins.
Man ist in Ost-Berlin. Muffin und die Agenten Harrison und Snare sind vor Ort und sollen zurück nach West-Berlin. Man hat einen Käfer und Muffin ist der Fahrer. Die anderen sollen zu Fuß über die Grenze. Harrison und Snare haben kein Problem, aber als Muffin die Grenze im Käfer überqueren will, sagen ihm seine Instinkte, dass etwas nicht stimmt. Er dreht ab.
Er übergibt das Fahrzeug einem Freund, der über die Grenze wechseln will, aber die Grenztruppen stoppen ihn. Der Mann gerät in Panik und stirbt. Muffin ist Zeuge und wechselt während des Aufruhrs in den Westen. Harrison und Snare sind beim Dinner im Kempinski sehr überrascht, Muffin zu sehen
Eine Tage später will Snare Muffin zu einer Besprechung bei Sir Archibald holen. Charlie wäscht seine Füße und trocknet seine Socken auf der Heizung. Es entspinnt sich folgender Dialog.
Snare: What the hell do you think you're doing?
Charlie Muffin: Washing my feet.
Snare: Very biblical. Can you do miracles too?
Charlie Muffin: Yes. I can come back from the dead out of burning Volkswagens.
Muffin wird in dieser Besprechung von Sir Archibald abgekanzelt, weil er ein Verhör mit dem inhaftierten Berenkov angeblich versaut hat und das ist auch dem Minister in einem Bericht mitgeteilt worden. Muffin führt seinen Chef vor und zeigt ihm anhand eines Videos, welche Ergebnisse er erzielt hat. Sir Archibald wird vorgeführt und man sieht förmlich wie es in ihm kocht.
Inzwischen bekommt der Chef des KGB Kalenin Druck, um Berenkov zu befreien und er wird eindringlich befragt, wie er das zu bewerkstelligen gedenkt.
Kurz darauf beginnt Kalenin sich in der Öffentlichkeit zu zeigen und kündigt zwei Termine in Leipzig zur Messe und in bei einer Veranstaltung in Leipzig an. Sir Archibald wählt Snare aus, Kalenin in Leipzig und Harrison ihn in Moskau zu treffen, um Kontakt aufzunehmen. Man vermutet, er will überlaufen. Auch die C.I.A. in Gestalt des Chefs der Agency Ruttgers beginnt sich dafür zu interessieren.
Snare trifft Kalenin zwar, aber die Begegnung ist kurz und unbefriedigend. Kurz darauf läuft Snare in eine Fall und stirbt auf der Flucht. Harrison wird in Moskau verhaftet. Nun erhält Muffin den Auftrag, Kontakt zu Kalenin herzustellen. Sir Archibald hält Muffin ja für entbehrlich.
Muffin gelingt das Kunststück und er verabredet ein weiteres Treffen in Prag. Der Verdacht bestätigt sich. Kalenin will überlaufen. Dabei wird er dann von Brawley, dem Sub-Alternen von Ruttgers begleitet und man bespricht die Modalitäten. Bei dem ersten Treeffen kommt auch der Tod von Snare zur Sprache.
Valery Kalenin: If Harrison hadn't run, he would be alive. [he looks at Charlie] Why do people always run?
Charlie Muffin: [returns the look] Lack of experience.
Dann kommt der große Tag und Sir Archibald und Ruttgers erwarten Kalenin in Wien, nicht ohne Muffin und Brawley im Zweifel zu opfern. Wenn sie über die Grenze hinweg verfolgt werden, soll Kalenin das Fahrzeug wechseln und das ursprüngliche Auto (mit Muffin und Brawley soll in de Luft fliegen) ...
Muffin und Brawley warnen vor allerlei Schwierigkeiten und Unwägbarem, aber man will nicht auf sie hören. Archibald macht ein paar belustigte Bemerkungen über zwei ängstliche Männer. Muffin kontert, als er den Raum verlässt, um Kalenin zu holen.
Better two frightened men than two psychopaths.
Sir Archibald versteht die Spitze sehr wohl und ist noch wütender auf Muffin. Und während sich er noch um den richtigen Kaviar sorgt, kommt alles ganz anders ...
Der Film endet schließlich in Brighton bei spanischer Gitarrenmusik.
Charlie Muffin ist eine herrlich unaufgeregt, actionarme Verfilmung einer Geschichte aus dem Kalten Krieg zwischen Ost und West. Exzellent besetzt und gespielt ist dieser TV-Film so mancher actionlastigen Agentengeschichte vorzuziehen. Eher steht der Film in der Tradition von le Carrés George Smiley. Spannung entsteht nicht durch Schießereien, sondern in Dialogen.
Der Film ist stets komplett unaufgeregt, obwohl man mit dem Leben von Menschen spielt. Und Muffin ist der Typ, der überlebt auch wenn man ihn opfern will. Instinkt, Erfahrung und das Beherrschen des Handwerks lassen ihn überleben.
Wer Filme mag, in der nicht das Dargestellte, sondern Darsteller und Story die Handlung bestimmen, der wird Charlie Muffin wunderbar bedient.
Charlie Muffin