Ed Brubaker, Colin Wilson: Point Blank
Ursprünglich unter dem Dach von Image-Comics zuhause, wechselten die Rechte später zu DC-Comics. In den letzten Jahren wurde, getragen von Autoren wie eben Alan Moore, die Qualität der Storys aus dem Hause Wildstorm erheblich gegenüber den Anfängen des Labels aufgepeppt. Serien wie Authority und Planetary konnten Akzente setzen, durch die die Mainstream-Superheldencomics der großen Verlage DC und Marvel zum Teil erheblich beeinflusst wurden. Die Helden aus dem Wildstorm-Universum sind keineswegs einfach gestrickt, sondern in vielerlei Hinsicht vielschichtige Persönlichkeiten, bei denen eine Kategorisierung in Gut und Böse in vielen Fällen nicht nur schwer fällt, sondern fast unmöglich ist. Einerseits passt Point Blank recht gut in dieses Konzept, doch Point Blank ist trotzdem etwas Besonderes. Brubaker, der zuletzt mit der bei Marvel veröffentlichten Serie Criminal glänzen konnte, hat Point Blank fast als klassischen Fim-Noir-Krimi angelegt. Eigentlich würde die Story genauso gut auch ohne jedwede Anwesenheit von Superwesen funktionieren. Passend dazu ist es für den Leser auch absolut nicht nötig, Vorkenntnisse über den Status Quo der Wildstorm-Welt zu besitzen. Zwar tauchen gelegentlich Personen auf, die auch in anderen Wildstorm-Reihen agieren (wie zum Beispiel der Midnighter), doch kann man Brubakers Story auch losgelöst von der sonst bei großen US-Comic-Verlagen überaus wichtigen Kontinuität genießen. Des Weiteren fällt sofort der (für US-Comics) recht ungewöhnliche Zeichenstil von Colin Wilson in Auge. Als ich vor einigen Monaten das erste Mal einen Blick auf Point Blank in einem nordhessischen Comicladen werfen konnte, dachte ich zuerst, es handele sich um eine europäische, genauer gesagt französische oder belgische Arbeit. Doch weit gefehlt. Zwar hat Wilson bereits Die Jugend des Blueberry gezeichnet, doch im Gegensatz zum Blueberry-Erfinder Jean Giraud (Moebius) stammt er von der anderen Seite des Erdballs, präzise gesagt aus Neuseeland. Seine detaillierten Zeichnungen passen hervorragend zu Brubakers Schreibstil, ebenso wie die gelungene Farbgebung von Janet Gate. Immer wieder fühlt man sich unweigerlich in einem klassischen Schwarz-Weiß-Krimi versetzt (auch wenn Point Blank in Farbe vorliegt, doch dies muss kein Widerspruch sein die Stimmung ist halt einfach so). Die zynischen Kommentare von Cash, die depressive Stimmung im Domino, die abgewrackten Superhelden all dies ergibt ein äußerst stimmiges Bild von einer Welt, in der man lieber nicht leben möchte, die aber nichtsdestotrotz eine gewisse Faszination ausstrahlt. Zwar kann man Brubaker vorwerfen, dass er eine doch relativ gradlinige Geschichte erzählt und somit das Rad nicht gerade neu erfindet, doch aufgrund des guten Zusammenspiels mit Wilsons tollen Zeichnungen und des (für einen Superheldencomic) ungewöhnlichen Settings gleicht sich dies meines Erachtens mehr als aus.
Auch die Qualität der vorliegenden deutschen Ausgabe von Cross Kult lässt keine Wünsche offen. Für knappe 20 Euro bekommt der geneigte Leser nicht nur die komplette Point Blank-Miniserie als Hardcover geboten, sondern darüber hinaus auch noch einen wirklich interessanten Artikel von Cross Cult-Redakteur Jochen Ecke über die Geschichte des Wildstorm-Labels sowie die Original-Titelbilder der US-Ausgaben (welche ausnahmslos von Simon Bisley gezeichnet wurden, der es unter anderem mit seinen Zeichnungen für Lobo, Judge Dredd sowie seiner Mitarbeit am Zeichentrickfilm Hevy Metal F.A.K.K. 2 zu einiger Bekanntheit bringen konnte). Insgesamt also eine wirklich runde Sache.
Fazit: Wer auf klassische Film-Noir-Atmosphäre, europäischen Zeichenstil und Superheldencomics steht, sollte hier auf jeden Fall zugreifen. Point Blank stellt übrigens die Vorgeschichte zur vielfach gelobten Sleeper-Serie von Ed Brubaker dar, deren deutsche Ausgabe ebenfalls bei Cross Kult erschienen ist, und deren Rezension ihr in den nächsten Tagen bei uns finden könnt.