Harrison, Colin: Im Schlund des Drachen
Schon bald sind die verschiedensten Personen auf ihrer Spur: Ihr Bruder, dem weniger daran gelegen ist, sie zu retten, als vielmehr daran, seine Einnahmequelle zu sichern. Eiskalte Verbrecher, die ihr nach dem Leben trachten. Und der Mann, der sie liebt und der alles dran setzt, Jin Li vor ihren Häschern zu bewahren ...
Man könnte »Im Schlund des Drachen« durchaus als Wirtschaftsthriller bezeichnen, Das wäre allerdings nur die halbe Wahrheit. Der düstere Spannungsroman des Amerikaners Colin Harrison gehört ohne jeden Zweifel zu besagtem Genre, doch im Grunde ist er viel mehr als bloß ein Wirtschaftsthriller. Harrison hat ein Porträt der dunklen Seite New Yorks verfasst, das Bild eines Molochs, in dem ein Verbrechen zum nächsten führt und jeder Fehltritt gnadenlos bestraft wird.
Wer sich an die Lektüre von »Im Schlund des Drachen« macht, dem sollte bewusst sein, dass die spannende Handlung nur einen Teil des Thrillers ausmacht. Wie ein roter Faden zieht sie sich durch den episodenhaft angelegten Roman. Harrison schildert Eindrücke aus dem Leben verschiedener Personen, die alle mehr oder weniger stark miteinander in Beziehung stehen und alle ein wenig zur Gesamthandlung beitragen (und sei es nur dadurch, dass die jeweils aus ihrer Sicht geschilderten Passagen dem Leser das Geschehen aus einer anderen Perspektive vermitteln). Das erinnert an den Aufbau des Films »L.A. Crash«, nur, dass es diesmal nicht um Rassismus, sondern eben um Wirtschaftsverbrechen geht. Persönliche Schicksale und Schicksalsschläge stehen aber hier wie da im Vordergrund.
Zur Geschichte selbst lässt sich sagen, dass diese in vollem Umfang zu überzeugen weiß. »Im Schlund des Drachen« ist düster und knallhart. Harrison hält sich nicht mit langen Umschreibungen auf, sondern bringt Gedanken, Gefühle und Eindrücke seiner Protagonisten direkt und unverfälscht zu Papier. Beschönigt wird nichts. Leser, die Probleme mit dreckigen Szenarien und fluchenden Figuren haben, denen wird Harrisons recht bizarrer Vorliebe für Sex und menschliche Ausscheidungen die Lesefreude schnell verderben. Wer aber bereit ist, sich auf eine Geschichte einzulassen, in der Charaktere in die Badewanne pinkeln, weil sie schlicht keinen Bock haben, die Toilette zu benutzen, oder in der sterbenskranke Figuren einem qualvollen (wenn auch natürlichen) Ende entgegensehen, das dem Leser in nüchterner Direktheit präsentiert wird, den erwartet ein fesselnder Thriller, der einen bis zur letzten Seite in Atem hält. Die Story als solche ist nämlich genau das: fesselnd.
Von beeindruckender Stärke ist zudem das Figurenensemble des Romans. Sympathische Charaktere wird man hier vergeblich suchen. Stattdessen präsentiert der Autor seinem Publikum eine Darstellerriege voll markiger Persönlichkeiten, die allesamt Stärken wie Schwächen in sich vereinen. Auch hier ist es wieder wie bei »L.A. Crash«: Es fällt einem schwer, eine der Figuren wirklich ins Herz zu schließen. Doch wissen, wie ihre Geschichte endet, möchte man in jedem Fall.
Colin Harrison ist mit »Im Schlund des Drachen« ein eindringliches, düsteres und teils bitterböses Porträt einer Gesellschaft gelungen, der es im Grunde nur um zweierlei geht: Geld und die Befriedigung niederer Triebe, seien es nun Rache oder Sex. Der harte Spannungsroman an der Grenze des guten Geschmacks ist bestimmt nicht jedermanns Sache, doch kein Freund kompromissloser Thriller sollte sich den Trip durch die dunklen Seiten des Wirtschaftslebens entgehen lassen. Ein gemeiner, aber äußerst starker Roman.