Plischke, Thomas: Kalte Krieger

Kalte KriegerKalte Krieger
von Thomas Plischke
Piper Taschenbuch
erschienen: Winter 2009 (Deutschland)
463 Seiten; 9,95 €
ISBN: 978-3-492-26690-1

Piper

Nach zwei im weitesten Sinne klassischen Fantasyromanen um die Zwerge von Amboss legt Autor Thomas Plischke eine Pause in Sachen „Zerrissene Reiche“ ein. Sein neuster Roman »Kalte Krieger« ist ein Mysterythriller, in dem nicht Elfen, Zwerge oder Orks, sondern Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten im Mittelpunkt stehen.


»Kalte Krieger« vereint zwei Handlungsbögen, die zunächst einmal unabhängig voneinander ablaufen. Handlungsbogen eins spielt im Jahr 1999. Im Zentrum dieser Storyline steht die fünfzehnjährige Nina Walters, die von ihren Eltern für drei Monate in ein Sommercamp geschickt wird.

Der „Zwangsurlaub“ erweist sich für das Mädchen als eine Mischung aus Albtraum und Abenteuertrip. Doch es sind nicht nur die alltäglichen Sorgen und die Eigenarten der Betreuer und Campteilnehmer, die Nina das Leben schwer machen. Etwas Seltsames geht in dem Camp vor, etwas, das Ninas Existenz von Grund auf verändern wird ...

Handlungsbogen 2 ist im Jahr 2008 angesiedelt. Die Psychologiestudentin Amy Marsden verbringt die Semesterferien in Portland, wo sie bei dem eigenwilligen Therapeuten Michael Beaumont Jr. ein Praktikum absolviert. Dieses verläuft jedoch anders als erhofft. Schon bald befindet sich Amy inmitten einer gefährlichen Mordermittlung – die sie an die Grenzen ihres Verstands führt ...

Sollte man der Versuchung erliegen und »Kalte Krieger« unter Zuhilfenahme bekannter Romane bzw. TV-Serien charakterisieren wollen, so trifft die Umschreibung „»Heroes« meets »CSI« meets »Gänsehaut«“ (für all diejenigen, denen die Gruselserie von R.L. Stine noch ein Begriff ist) den Kern der Sache wohl am besten. Plischke vereint Elemente aller drei Serien in seinem Roman und verwebt sie zu einem originellen und ungemein fesselnden, aber auch alles andere als perfekten (Superhelden-)Thriller.

Ich weiß, ich weiß, das klingt nun reichlich paradox. Wie kann ein fesselnder Roman „alles andere als perfekt“ sein? Lasst mich Euch aber versichern: Es ist tatsächlich so.

Schwäche Nummer 1 findet sich in der Story, die sich bestenfalls recht träge entfaltet. Zumindest, was den phantastischen Teil anbelangt. Insbesondere der Handlungsbogen um Nina wirkt mehr wie eine Coming of Age-Story denn wie ein mitreißender Mysterythriller. Nicht, dass die erzählte Geschichte deshalb schlecht wäre. Doch wer sich ein packendes Mysterybuch mit Superhelden-Feeling erhofft hat, den wird »Kalte Krieger« ziemlich enttäuschen. Plischkes Roman ist alles andere als der schweißtreibende Superheldenthriller, den man diversen Vorankündigungen zufolge im Grunde erwartet hätte. Das zwischenmenschliche Drama kommt hier ganz eindeutig an erster Stelle, die besonderen Fähigkeiten der Protagonisten spielen allenfalls eine Nebenrolle. Das ist an sich natürlich kein Makel, die Erwartungen des von den Ankündigungen neugierig gemachten Lesers erfahren aber einen merklichen Dämpfer.

Schwäche Nummer zwei liegt in der Sprache des Romans begründet. Nicht, dass der Roman kaum lesbar wäre. Thomas Plischke kann schreiben, das hat er zur Genüge bewiesen. Was hingegen stört, sind das Übermaß an Kraftausdrücken und Sarkasmus, die Plischke zum Besten gibt. Fast alles, was seine beiden Protagonistinnen erleben, wird mit jeder Menge zynischer Kommentare und bissiger Umschreibungen versehen. Kaum etwas, das nicht in all seinen Schwächen und Fehlern beschrieben und in ablehnendem Tonfall sowie mit sehr blumigen Worten kommentiert wird. Zu Beginn mag das noch originell und erfrischend wirken, doch nach spätestens hundert Seiten wird der Ton des Buchs etwas ermüdend. Nichts gegen Sarkasmus und Herumgefluche, aber »Kalte Krieger« übertreibt es in dieser Hinsicht deutlich.

Damit einher geht ein weiterer Schwachpunkt: Aufgrund der beständigen negativ-ablehnenden Einstellung der Hauptcharaktere fällt es schwer, sich mit ihnen anzufreunden. Als Leser wahrt man ständig eine gewisse Distanz zu Amy und Nina (von den übrigen Figuren, die mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen noch unsympathischer rüberkommen als die „Heldinnen“, ganz zu schweigen) und bemüht sich über weite Teile hinweg vergeblich, Zugang zu ihnen zu finden. Aus diesem Grund fällt es nicht immer leicht, die Handlung des Romans nicht nur an sich vorbeiziehen zu lassen, sondern sich auch emotional auf sie einzulassen. Das ging bei Plischkes Zwergen-Romanen wesentlich besser.

Und doch, so berechtigt diese kritischen Anmerkungen in meinen Augen auch sein mögen, war es mir nur schwerlich möglich, »Kalte Krieger« nach begonnener Lektüre wieder aus der Hand zu legen. Wie kommt es?

Allen voran ist hier wohl die ungemein dichte Atmosphäre des Romans zu nennen. Mit fast schon hypnotischer Kraft fesselt Plischke seine Leser an die Seiten. Die Protagonisten mögen unsympathisch sein, der Anteil an Zynismus deutlich zu hoch. Dennoch gelingt es Plischke, seinem Roman eine durchgängige spannungsvolle Grundstimmung anzudichten. Der Leser spürt von Beginn an ein gewisses Gefühl der Bedrohung, das nur schwer fassbar ist, aber stets vorhanden im Hintergrund lauert und mit jeder Seite ein wenig deutlicher zum Vorschein kommt. Plischke dreht beständig an der Spannungsschraube und lässt seine Geschichte schlussendlich in einem konsequenten, hochdramatischen Finale kulminieren.

Ein weiterer Pluspunkt ist zweifelsohne die Unvorhersehbarkeit der Story. Nur ganz wenige Entwicklungen sind voraussagbar. Die meiste Zeit wird man von den Wendungen, die die Geschichte nimmt, geradezu überrollt. Nicht unwesentlichen Anteil daran hat die Tatsache, dass »Kalte Krieger« sich jenseits fester Konventionen bewegt. Seien es die ungewöhnlichen Figurenkonstellationen oder gar die Tatsache, dass das Buch mehr ein Charakterdrama denn der Mysterythriller ist, als der es angekündigt wird: Plischke schert sich nicht um traditionelle Erzählweisen, sondern geht seinen ganz eigenen Weg. Das macht es schier unmöglich, sich auf Kommendes vorzubereiten, und sorgt ohne jeden Zweifel mit dafür, dass der Leser an der Story dran bleibt, möchte er doch unbedingt wissen, was denn nun als nächstes geschieht.

»Kalte Krieger« ist ein sich geschlossener Roman. Eine Fortsetzung ist zweifellos möglich, aber nicht zwingend notwendig. Von daher ist das Buch genau das richtige für alle Phantastikfans, die gerne mal wieder ein Buch lesen wollen, an dessen Ende die Story auch tatsächlich abgeschlossen ist.

Mit »Kalte Krieger« hat Plischke einen Roman verfasst, der sich in keinerlei Hinsicht in irgendwelche Schablonen pressen lässt. Die Erzählung ist ebenso ein Drama wie ein Thriller, ebenso eine Geschichte mit hohem Tempo wie eine, in der, aller temporeichen Erzählstrukturen zum Trotz, im Grunde genommen wenig geschieht. Ja, nicht einmal die Frage, ob es denn nun ein wirklich guter Roman gewesen ist, lässt sich abschließend beantworten. Kritikpunkte finden sich nämlich zuhauf, und doch erfordert es eine echte Kraftanstrengung, sich wieder von dem Roman zu lösen.

Insofern kann ich nur jedem raten, sich selbst ein Bild von einem der wohl ungewöhnlichsten Bücher des Jahres 2009 zu machen. Wer die TV-Serie »Heroes« mag und Storys liebt, in denen die Charaktere ganz und gar im Vordergrund stehen, der sollte Plischkes jüngstes Werk in jedem Falle zur Hand nehmen. Ein Buch, wie man es so noch nicht allzu oft gelesen hat.

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