Hall, Tarquin: Die verschwundene Dienerin - Ein Fall für Vish Puri

Die verschwundene DienerinDie verschwundene Dienerin
Ein Fall für Vish Puri
(The Most Private Investigator – The Case of the Missing Servant)
von Tarquin Hall
aus dem Englischen von Jochen Stremmel
Heyne Taschenbuch
erschienen: Frühjahr 2010 (Deutschland); 2009 (Großbritannien)
384 Seiten; 8,95 €
ISBN: 978-3-453-43416-5

Heyne Verlag (Random House)

»Die verschwundene Dienerin« ist der erste Roman in einer geplanten Reihe um den leicht verschrobenen indischen Detektiv Vish Puri, der eine erfolgreiche Detektei in Neu Delhi leitet, die Most Private Investigators Limited.

Das Buch aus der Feder des britischen Journalisten und Autors Tarquin Hall nimmt den Leser mit auf eine Reise in eine faszinierend exotische, dem durchschnittlichen Westeuropäer vollkommen fremde Welt und überzeugt darüber hinaus durch eine spannende Krimihandlung ganz in der Tradition von Sir Arthur Conan Doyle.

In »Die verschwundene Dienerin« wird Vish Puri – Anfang 50, pummelig, mit einer Vorliebe für gutes Essen und Achtung vor traditionellen indischen Werten – mit einem schwierigen Fall beauftragt. Ein angesehener, jedoch nicht ganz unumstrittener Anwalt wird beschuldigt, sein Hausmädchen umgebracht zu haben. Der verzweifelte Mann beteuert seine Unschuld und bittet Puri darum, das Verschwinden der jungen Mary, von der nicht mehr bekannt ist als der Vorname, aufzuklären. Keine leichte Aufgabe in einem Land mit über einer Milliarden Einwohner – vor allem dann nicht, wenn die Verschwundene aus den untersten Klassen der Gesellschaft stammt und von ihrer Umwelt, Behörden und Arbeitgeber inklusive, im Allgemeinen mit Missachtung gestraft wird ...

Ein Krimi, der in Indien spielt. Für jemanden wie mich, dem die Kultur des asiatischen Staates nur entfernt vertraut ist, ein außergewöhnliches Leseereignis. Die indische Gesellschaft unterscheidet sich in unzähligen Belangen von westlichen Sozialstrukturen. Die Folge: »Die verschwundene Dienerin« wirkt exotischer als die meisten Fantasyromane, die ich kenne.

Hall genießt es, seinem Publikum eine Welt zu präsentieren, die die meisten von ihnen kaum kennen. Mit viel Liebe fürs Detail und Unmengen an Lokalkolorit beschreibt er den Alltag in Indien, allen voran in Neu Delhi, aber auch in ländlichen Gebieten. Fasziniert verfolgt der Leser die Schilderungen von Lebensgewohnheiten und regionalen Eigenheiten und taucht genüsslich ein in das fremdartige Setting.

Ebenso wie der ungewöhnliche Schauplatz weiß auch die Romanhandlung zu begeistern. Insbesondere Freunde klassischer Kriminalgeschichten kommen voll auf ihre Kosten. Bodenständig, ganz ohne psychopathische Serienkiller, melodramatisch aufgezogene Storylines und monströse Verschwörungen, dafür aber reich verzwickten Handlungsbögen und geschickt konstruierten Wendungen begeistert »Die verschwundene Dienerin« durch einen Plot, den die Altmeister des Genres kaum besser hätten schreiben können. Mit detektivischem Spürsinn und der Hilfe einer Reihe talentierter Mitarbeiter stellt Vish Puri in drei Fällen gleichzeitig Nachforschungen an.

Hall beweist dabei ein Händchen für clever gestaltete Erzählungen: Stets behält er den Überblick und erzeugt Spannung, ganz ohne übermäßig dramatische Storylines zum Einsatz zu bringen. Statt auf reißerische Actioneinlagen und vermeintlich weltbewegende Enthüllungen setzt Hall auf einen Mix moderner und altmodischer Ermittlungsarbeit sowie eine glaubhafte Story. Schade, dass es nicht viel mehr solcher Krimis gibt!

Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist der Hauptprotagonist des Romans. Puris recht traditionelle Einstellungen und seine Eigenart, den Menschen in seiner Umgebung ausgefallene Spitznamen zu verpassen und sie auch entsprechend anzusprechen (so nennt er beispielsweise zwei seiner Angestellten „Handbremse“ und „Gesichtscreme“) sorgen dafür, dass man etwas Zeit braucht, um mit dem Detektiv warm zu werden. Ist die Eingewöhnungsphase aber erst einmal überwunden, freut man sich über einen leicht verschrobenen Charakter, der gerade wegen seiner Macken auf eigenartige Weise sympathisch wirkt.

Die einzige Schwäche, die ich dem Buch attestieren kann, ist Halls Eigenart, die Sichtweise, aus der er die Handlung erzählt, mitunter ohne Überleitung mitten im Kapitel zu wechseln. In einem Moment verfolgt der Leser die Gedankengänge Vish Puris, im nächsten Moment findet er sich ohne Vorwarnung in der Gedanken- und Gefühlswelt eines seiner Mitarbeiter wieder. Eine klarer ersichtliche Trennung wäre durchaus angebracht gewesen, reißt einen der unvermittelte Wechsel der Perspektive doch jedes Mal aufs Neue aus der Handlung.

An meinem Fazit ändert dieser Schwachpunkt aber nichts: »Die verschwundene Dienerin« ist ein exzellent konstruierter Krimi, der durch sein exotisches Setting ebenso besticht wie durch seine glaubhafte, spannende Handlung. Wer Erzählungen im Stile von Sir Arthur Conan Doyle oder Agatha Christie zu schätzen weiß, der findet in dem ersten Fall für Vish Puri hervorragende neue Lektüre.

Der zweite Band der Reihe erscheint Mitte des Jahres unter dem Titel »The Case of the Man Who Died Laughing« in Großbritannien. Ich kann nur hoffen, dass das Buch schnellstens seinen Weg auch in die deutschen Buchläden findet. Alles andere wäre ein echter Verlust.

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