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Facetten des Königs - Über Stephen King: Der Fan - Skeleton Crew

Facetten des KönigsDer Fan – Skeleton Crew

„Bücher haben mich ja nie interessiert. Ich war gerade siebzehn, und wer liest denn in dem Alter? Außer Filmzeitschriften. Die hab ich verschlungen, und als ich über diesen abgefahrenen Film gestolpert bin, in dem ein tollwütiger Hund eine Mutter und ihren Sohn terrorisiert, bin ich schier wahnsinnig geworden.
 
Von all den überwältigenden Filmideen, die ich in meinem ach so interessanten Leben schon erfahren hatte, war dieser Einfall wohl der unglaublichste.

Als selbsternannter Versteher komplexen Cineastentums konnte ich mir nicht vorstellen, wie ein Film funktionieren sollte, der an einem einzigen Ort spielte und dessen Protagonisten noch dazu in einem defekten Auto eingesperrt waren. Man konnte mich damals mit einer läufigen Hündin vergleichen. Und zu meinem Entsetzen musste ich erfahren, dass dazu eine Romanvorlage existierte. Das Ganze gab es auch noch als Buch? Von der läufigen Hündin verwandelte ich mich in einen damals noch zierlichen Tornado, weil ich dieses Buch sofort haben musste.
 
Ich erinnere mich genau, dass ich von der Romanvorlage an einem Abend erfuhr, an dem ich nicht die geringste Chance hatte, irgendwo ein Buch zu erwerben. So bescherte mir Stephen King meine erste schlaflose Nacht. Und dabei hatte ich noch keine einzige Seite eines seiner Bücher gelesen.“

Uwe Kraus

 
Jedem vorangegangenen und auch diesem Artikel habe ich einen Buchtitel meines schreibenden Freundes in die Überschrift gepflanzt. Das sind nicht etwa meine Lieblingstitel, obwohl es einige verdient hätten. Sie wurden von mir gewählt, weil der Titel jeweils so schön zur Thematik passte:
Different Seasons – ein mit vier sehr guten Novellen gefülltes Buch, unter anderem mit ‚The Body – Stand By Me‘ und ‚Shawshank Redemption – Die Verurteilten‘.
The Dark Half ist die Geschichte von dem sich selbst zum Leben erweckenden Pseudonym, das nicht länger auf den Autor angewiesen sein möchte. Mit dem Tod des Autors könnte das Pseudonym dessen Identität annehmen.
The Shining – ein böses Hotel, typisch King. Eingeschneit und von der Außenwelt abgeschnitten, verinnerlicht der als Hausmeister angestellte Familienvater langsam den Charakter des vom Bösen durchsetzten Hotels. Aber da ist ja noch der kleine, in Bedrängnis geratene Sohn, der über das zweite Gesicht verfügt, das sogenannte Shining.
Dead Zone – nach einigen Jahren erwacht Johnny Smith (!) aus dem Koma. Leider bescherte ihm dieses Koma die unerwünschte Gabe, bei Berührung eines Menschen dessen Zukunft zu sehen. Auch die Zukunft des Präsidenten, der einen Atomangriff verantworten wird.
On Writing – ein Sachbuch, das es in sich hat. King schreibt dabei nicht die Anleitung zum Schreiben des perfekten Romans, sondern über seinen eigenen Leidensweg und wie seine Geschichten den richtigen Weg gehen. Schon jetzt ein Standardwerk, das vielen anderen Autoren den Schneid abkauft.
Needful Things – das Böse kommt als scheinbar gutmütiger Trödelhändler nach Castle Rock, der die Gier seiner geblendeten Kunden zu perfiden Intrigen nutzt. Die Spielchen schüren Hass und Neid zwischen den Bewohnern. Bis Castle Rock schließlich in Flammen aufgeht.
Skeleton Crew – nicht die beste Anthologie von King, aber dennoch unterhaltsam und abwechslungsreich. Der Titel, wenn man ihn richtig übersetzt, passt einfach zu einem Narr von Fan. Einem, der nicht aufgibt. Einem, der dran bleibt.

Wenn man auf außergewöhnliche Geschichten steht, dann ist es nicht schwer, ein Fan von Stephen King zu werden. Meine Affäre begann mit Cujo und führte mich in ein finsteres Loch, aus dem ich ungern raus wollte. Christine war mein erstes Buch in englisch, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt kaum des Englischen mächtig war. Aber es war nach dem Erlebnis Cujo das einzige auf die Schnelle greifbare King-Buch in einem Bahnhofskiosk.

Christine, ich war begeistert. Ich war begeistert von einer Struktur im Roman, die der Autor später als Missgeschick und Fehler kundtat. Der erste und dritte Teil des Buches werden aus der Sicht des menschlichen Helden erzählt. Im mittleren Teil allerdings liegt dieser Held im Krankenhaus und kann dadurch die Geschichte zwischen dem Auto und seinem ehemals besten Freund gar nicht erzählen. King musste also die angestrebte Erzählstruktur verlassen, hielt den Mittelteil neutral erzählt, tat aber so, als ob das beabsichtigt gewesen wäre, und schämt sich insgeheim. Ich in meiner Heldenverehrung las diesen Mittelteil, als ob er aus der Sicht des Autos Christine erzählt werden würde, und war begeistert. Als ich von Kings eigentlichem Missgeschick erfuhr, tat ich ebenfalls so, als ob King dies beabsichtigt hätte, schämte mich aber keineswegs.

Ich habe Pet Semetary – Friedhof der Kuscheltiere mehrmals gelesen, in deutsch und in englisch. Ich wollte einfach dahinterkommen, wie ich mich als gestandener Mann mit ordentlich Haar auf der Brust so fürchten konnte. Der Weg des Hauptdarstellers nachts zum Tierfriedhof. Erzählt es bitte nicht weiter, aber das war tatsächlich der Moment, an dem mich King mit seiner teils unerträglichen Phantasie um den Schlaf brachte. Wie konnte dies aber sein? Einfache Worte, keine verspielten Formen, faszinierend. Was ich nicht begriff, schob ich einfach der Genialität des Meisters zu.

Mein Freund Stephen entwickelte sich in seinem Schreiben. Auffällig wurde es, als er von seiner Alkohol- und Drogensucht befreit war (wenngleich der Dämon stets nur schlummert). Von den konkreten Schrecken einer ebenso konkreten Umwelt, wie den Monstern und der Pein des Erwachsenwerdens, wandte sich der Meister den geistigen Seelenqualen zu. Für einen wie mich, der das klare Grauen braucht, ist diese Umstellung schwer und nicht mehr ‚mein‘ alter König. Besonders die zuletzt erschienenen Lisey’s Story – Love und Duma Key – Wahn befassen sich mit einer Ebene des Schreckens, die schwer nachzuvollziehen ist. Die Handlungsstränge offenbaren sich als diffuse Alpträume, in denen alles möglich ist, aber nichts einen Sinn ergeben muss. King hält nach meiner persönlichen Meinung nicht mehr das in seinen Büchern bereit, was mich immer so angesprochen hat: Ein komplexes Spiel, das den Realismus immer nur stückweise durchbricht.

Die Atmosphäre um den versoffenen Schriftsteller Ben Mears, der in Jerusalems Lot Vampire gegen sich aufbringt, ist nachvollziehbar und realistisch. Als die kleine Charlie lernen muss, Feuer nach freiem Willen zu entfachen und damit umgehen zu können, erzählt King das mit soviel Natürlichkeit, dass man nicht an ihm zweifeln kann. Und auch das Inferno, das sich aus Carrie Whites erster Menstruation entwickelt, ist einfühlsam und ehrlich. Der in die Jahre gekommene Stephen King ist anders, ausufernder und längst nicht mehr so konkret. Die Welt des Grauens konzentriert sich auf das Innere seiner Protagonisten, und je enger der Kosmos seiner Figuren wird, desto mehr sprudelt es aus der imaginären Feder des Textprogramms. Epische Längen mit seitenlangen Gefühlswallungen.

Bag of Bones – Sara, Rose Madder – Das Bild oder eben die bereits erwähnten Lisey’s Story – Love und Duma Key – Wahn tauchen in Gedanken- und Fantasiewelten ein, die ihren Schrecken auf ganz anderen Ebenen transportieren. Womit ich mich, natürlich als sein größter Fan, etwas schwer tue, hat zu meines Meisters Glück keine Auswirkungen auf die allgemeine Leserschaft. Weitläufig sind die Käufer seiner Bücher begeistert. Der König ist eben anders geworden, was leicht neue Leser heraufbeschwört. Anders heißt in seinem Fall ja nicht unbedingt schlechter. Persönlich gesehen aber ist es für mich längst nicht mehr so erfrischend. Doch Fan bleibt Fan und es wird gelesen, was auf den Ladentisch kommt. Wie sagt Rick zu Ilsa in Casablanca: “We always have Cujo” (oder so ähnlich).

Ich höre WKIT übers Internet. Habe alle englischen Erscheinungen in Hardcover und als Pocketbook. Besitze jede deutsche Veröffentlichung als Taschenbuch und gebundene Ausgabe. Verachte die meisten Verfilmungen*. Nehme mir für Neuerscheinungen einen Tag frei, um schnell mit dem Lesen voranzukommen. Verfasste in jugendlichem Leichtsinn eine Geschichte als Weiterführung von Pet Semetary. Und ich möchte Stephens bester Freund sein. Leider bin ich nicht sein Fan Nummer Eins. Es gibt Unmengen von Menschen, die wesentlich verrückter sind als ich, und wesentlich verrücktere Dinge im Namen des Idols anstellen. Das kann einem Sorge bereiten. Und Stephen King sollte es Angst machen.

*Rühmliche Ausnahmen nach meinem ganz persönlichen Geschmack und ohne Wertung sind die Filme Shawshank Redemption – Die Verurteilten, Dolores Clayborne, Pet Semetary, Misery, Stand by me und natürlich Cujo.

Ich bin Fan, weil King mir Freude bereitet. Und je mehr Freude er mir bereitet, desto weniger Schlaf finde ich. Je weniger Schlaf ich finde, desto mehr freue ich mich auf seine nächste Veröffentlichung. Es ist ein Bestandteil im Leben, der niemanden weh tut, nicht dazu beiträgt, ein besserer Mensch zu werden, und kaum Nachhaltigkeit hat. Und ich kaufe seine Bücher nur im Laden, damit ich vielleicht der spröden Verkäuferin mit viel Glück erzählen kann, wie toll ich Stephen King finde.

Böswillige Kritiker unterstellen den treuen Lesern des Vielschreibers King, er könnte seine Einkaufsliste veröffentlichen, und sie würde sich millionenfach verkaufen. Als Fan bin ich sehr enttäuscht, dass mein Freund Stephen diese Einkaufsliste nicht schon lange veröffentlicht hat.
 
 
Eine andere Facette: MAINE - DIFFERENT SEASONS
Eine andere Facette: DARSTELLER - THE DARK HALF
Noch eine Facette: Mr. WRIGHTSON - THE SHINING
...und eine Facette: ROCK'N ROLL HEAVEN - DEAD ZONE
Ach, 'ne weitere Facette: WOLZ SCHREIBT ALS KRAUS - ON WRITING 
Ach je, da gibts ja EXPERIMENTE - NEEDFUL THINGS 
Und der letzte Teil: DER FAN - SKELETON CREW   
 
Der King-Fan

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