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Facetten des Königs: Experimente - Needful Things

Facetten des KönigsExperimente - Needful Things

Im Jahr 1996 brachte der Heyne Verlag ein Leseexemplar unter die Presse, das seinesgleichen suchte. Es war ein Paperback mit den Romanen ,Desperation' von Stephen King und ,Regulators' von Richard Bachman. Das Buch war so konzipiert, dass man es umdrehen musste, wenn man mit der einen Geschichte fertig war und die nächste lesen wollte. Die Enden der Erzählungen trafen sich also in der Buchmitte. Das ist natürlich nichts Besonderes, nur eine kleine Spinnerei, aber die beiden Geschichten bargen einen seltsamen Inhalt.

Weder Handlung noch die Charaktere, auch nicht Ort oder Hintergrund hatten miteinander zu tun. Nur die Namen der Figuren waren identisch. War zum Beispiel David Carver in ,Desperation' ein kleiner Junge, erschien er bei ,Regulators' als Familienvater.

Nun kann es gelegentlich vorkommen, dass ein Konsument gerne ein Buch zu Ende liest, auch wenn es sich um eine Kompilation handelt. In diesem Fall hat es lustigerweise zur Folge, egal mit welcher Geschichte man anfängt, dass die zweite extrem schwer zu lesen ist. Hat man einen elfjährigen Jungen visualisiert, wird es sehr verwirrend, wenn er im anderen Buch Familienvater sein soll. Die Bücher sind in dieser Form nie zusammen erschienen. In Amerika hingegen waren sowieso zwei verschiedene Verlage mit den Veröffentlichungen betraut. Da sich King und Bachman immer wieder gegenseitig des Plagiats beschuldigten, wurde nie festgestellt, wer nun Urheber der Charakternamen war. Bachman starb 1985, das Manuskript von ,Regulators' hingegen wurde erst 1994 von seiner Witwe gefunden und zur Veröffentlichung freigegeben.

Neue Wege zu gehen war schon immer Stephen Kings Leidenschaft. Etwas Neues ausprobieren, ein bisschen experimentieren, Anregungen schaffen, dafür kann er sich nach wie vor begeistern. Obwohl er in der Vergangenheit durchaus mal bei dem einen oder anderen Experiment scheiterte.

Der Fan und die Green MileEbenfalls 1996, als ,Desperation' veröffentlicht wurde, bekannte King seine Liebe zum Fortsetzungsroman der frühen Tage. Es gelang ihm, den Signet Verlag dazu zu überreden, eine von ihm verfasste Geschichte als sechsteilige Serie zu veröffentlichen. Das Projekt nannte sich ,Green Mile', erschien monatlich und wurde zeitgleich weltweit vertrieben. Allerdings hatte sich King für jede Fortsetzung selbst nur einen Monat Vorlauf zugesprochen und dadurch schlichen sich einige Logikfehler ein, die nicht rechtzeitig korrigiert werden konnten. Aber da gab es eine bestimmte Bosheit, die King bei diesem Projekt antrieb. Zum ersten Mal konnte seine Leserschaft nicht vorblättern und nachsehen, wie die Geschichte ausging. Ein Herzenswunsch ging für den Meister in Erfüllung. Und dem kam ein respektabler Erfolg nach, der gewiss nur wegen Kings Bekanntheitsgrades solche Ausmaße annahm.

Die Zukunft des Internet war verheißungsvoll. Und voller Tücken. King schrieb eine Novelle mit dem Titel ,Riding the Bullet', später mit dem Titel ,Achterbahn' übersetzt. Für 2,50 Dollar vertrieb der Autor die Geschichte ausschließlich über das Internet. Die Download-Zahlen waren enorm, wenn auch enorm unterschiedlich in den Angaben. Die Zahlen schwanken zwischen 500.000 und 700.000. Verwirrungen rühren vielleicht daher, dass ,Riding the Bullet' in der ersten Bereitstellungswoche kostenlos zum Download stand. Der Code des eigentlich kopiergeschützten E-Books war schnell geknackt und noch schneller kursierte das Buch als illegale Word- oder Textdatei. Dennoch wurde King mit seiner Unternehmung als Pionier geadelt, weil die Verkaufszahlen um ein Vielfaches höher lagen als erwartet. Jedem normal denkenden Menschen war klar, dass nach den Wahrscheinlichkeitsgesetzen des Internets eine entschlüsselte Version die Runde machen musste. Aber Hand aufs Herz, der geneigte Leser hat genauso ehrlich gezahlt wie der treue Fan. Und die restlichen Schmarotzer sind wahrscheinlich nicht einmal des Roman-Lesens mächtig.

Der Fan, Blood And Smoke,Riding the Bullet' erschien im Jahr 2000. Genau wie des Horrormeisters nächste Neuerung im Vertriebswesen, und die nannte sich ,Blood and Smoke'. Dieses Projekt sollte nur als Hörbuch erscheinen. Schon bei früheren Hörbuch-Adaptionen hatte King manche seiner eigenen Geschichten gelesen. Hier waren es drei ausgewählte Kurzgeschichten, die der Allgemeinheit ausschließlich durch des Autors Stimme zugänglich gemacht werden sollten. ,Lunch at the Gotham Cafe' und ,1408' waren zuvor nur in einer auf 1100 Ausgaben limitierten Sammlung schriftlich erschienen, ,In the Deathroom' kam frisch hinzu. Als roten Faden, der die Geschichten zusammenhält, wählte der Autor das Rauchen. Daher wurde die CD-Verpackung sehr originell als Zigarettenschachtel gestaltet. Was den Verkaufszahlen allerdings wenig auf die Sprünge half.

‚The Plant‘ war für Stephen King  ein weiter Versuch, eine Revolution vom Zaun zu brechen. Dabei griff er die Idee einer mehrteiligen Geschichte neu auf, die Anfang der Neunziger in des Meisters Bekanntenkreis als Geschenk zu Weihnachten verteilt wurde. Das war, große Überraschung, ebenfalls im Jahr 2000. In losen Abständen setzte King neue Kapitel zum Download ins Netz. Jedes Kapitel sollte mit 1 Dollar bezahlt werden. Jede Ausgabe war aber frei verfügbar und die Zahlung konnte freiwillig erfolgen. Der Internet-Gläubige setzte sich als Ziel, das 75% der Downloads bezahlt sein müssten, um das jeweils nächste Kapitel zu schreiben. Kapitel 1 und 3 erfüllten tatsächlich 75%, bei Kapitel 2 hingegen waren es nur 70%. Ein Kniff sollte die Geschichte retten, indem King für Kapitel 4 die doppelte Seitenzahl schrieb, der Preis aber auf 2 Dollar stieg. Das war daneben gekniffen. Nur 46% der Downloader bezahlten ihr Kapitel, dazu sank auch noch die Zahl der Downloads allgemein. ,The Plant' ist einfach eine sehr schlecht geschriebene Geschichte, die sich mühselig von einem langatmigen Ereignis zum nächsten schleppt. Stephen King kommt nicht in die Gänge, zudem ist seine Brief- und Memoform vollkommen unrealistisch und an den Haaren herbeigezogen. Unverständlicherweise setzt der Autor noch Kapitel 5 und 6 ins Netz und bricht dann mit der Erklärung ab, er wolle erst andere Projekte zu Ende bringen. ,The Plant' wurde bis heute nicht fortgesetzt.

Dieses Austesten von Neuem führt er mit einer konsequenten Inkonsequenz aus. ,Green Mile' ist als kompletter Band veröffentlicht worden. ,Riding the Bullet – Achterbahn' erschien trotz magerer 100 Seiten als Taschenbuch. Die ,Blood and Smoke'-Geschichten wurden in später folgenden Kurzgeschichtensammlungen verbraten.

Die neuen Wege, die Stephen King bisher gehen wollte, waren tatsächlich immer etwas Besonderes und zeichneten sich durch ihren Einfallsreichtum aus. Seine Leidenschaft für Experimente ist augenscheinlich, aber leider nicht wirklich ausgereift. Für den Fan ist es dennoch immer wieder spannend, was Stephen King sich als nächstes ausdenkt und wie man da rankommt.


Bildquellen: Der Fan

P.S.: Ebenfalls im Jahr 2000 begann die Zusammenarbeit mit dem Sänger und Songschreiber John Mellencamp an dem Rock-Musical ‚Ghostly Brothers from Darkland County‘. Mellencamp hat zwanzig Lieder dafür geschrieben und King hunderte Seiten Text dafür fabriziert. Jahr für Jahr werden die beiden Kollaborateure zuversichtlicher. Aber der prophezeite Premierentermin für 2009 wird auf der ‚Ghostley‘-Homepage nicht bestätigt. Und wenn, wie komme ich an Karten ran?

 

 

 
Eine andere Facette: MAINE - DIFFERENT SEASONS
Eine andere Facette: DARSTELLER - THE DARK HALF 
Noch eine Facette: Mr. WRIGHTSON - THE SHINING
...und eine Facette: ROCK'N ROLL HEAVEN - DEAD ZONE
Ach, 'ne weitere Facette: WOLZ SCHREIBT ALS KRAUS - ON WRITING 
Und der letzte Teil: DER FAN - SKELETON CREW 

 

Kommentare  

#1 Dirk Steiger 2008-11-12 00:47
Hallo Uwe,
eigentlich ein netter Artikel, wenn da nicht ein Fehler wäre, der so nicht passieren dürfte. Über das doppelte N bei Bachman im ersten Abschnitt kann man ja noch hinwegsehen - aber dann schreibst du im zweiten Abschnitt: "Da sich King und Bachman immer wieder gegenseitig des Plagiats beschuldigten, wurde nie festgestellt, wer nun Urheber der Charakternamen war. Bachman starb 1985, das Manuskript von ,Regulators' hingegen wurde erst 1994 von seiner Witwe gefunden und zur Veröffentlichung freigegeben." Das ist nun wirklich starker Tobak, immerhin ist schon seit den Achtzigern bekannt, daß es sich bei King und Bachman um ein und dieselbe Person handelt. Der "Tod" von Bachman war die "Entdeckung" der Tatsache, daß er lediglich ein Pseudonym Kings war. Von diesem Zeitpunkt an veröffentlichte King nicht mehr unter diesem Pseudonym - bis eben "Regulator" (ohne S) erschien.
Sollte ich in deinem Artikel in diesem Abschnitt eine (wie auch immer geartete) Ironie überlesen haben, tut es mir leid. Da dies jedoch nicht der Fall zu sein scheint, sollte dieser Fehler schleunigst korrigiert werden, da sonst wohl jeder, der sich ein wenig mit King und Bachman ;-) auskennt, ab hier wohl kaum weiter lesen wird.
Gruß,
Dirk
#2 Harantor 2008-11-12 00:50
@Dirk: Das Doppel"N" it gleich verschwunden und zu Deinen weiteren Ausführungen hilft die Lektüre der vorigen Facette www.zauberspiegel-online.de/index.php?option=com_content&task=view&id=1936&Itemid=10
#3 Dirk Steiger 2008-11-12 00:56
Alles klar. Dann hab ich nichts gesagt....
:-)
#4 Harantor 2008-11-12 00:59
Es ist gut aufmerksame Leser zu haben ;-) - Selbst wenn sich diese manchmal irren, aber keiner von uns ist perfekt. Daher immer sagen wenn was nicht zu stimmen scheint. Diese Bitte geht an alle. :-)
#5 Mainstream 2008-11-12 07:21
-
Hallo Dirk,
freut mich, wenn jemand so aufmerksam liesst.
Ich würde mir aber doch einen kleiner Widerspruch
erlauben. Ich glaube eher, das gerade der Kenner
um die Geschichte King / Bachman weiter liest.

Das ich den Unbedarften eser vielleicht keinen
Gefallen tue, ist ist durchaus möglich. Das sollte mir
zu denken geben.

'Regulators' hat ein 'S' am Arsch. Sind ja mehrere,
von denen die Geschichte handelt.
#6 Andrew P. Wolz 2008-11-12 10:46
Das waren ja auch unsere Bedenken beim Schreiben des Bachman-Artikels: Wird der unbedarfte Leser zu sehr verwirrt?

Ich bin mir immer noch nicht sicher, wo hier beim Schreiben die Grenze ist.

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