Vom Vampyr zum Positronenhirn. Alte phantastische Literatur im Verbrauchertest: Teil 12: Traute Mahn : Der Unheimliche vom Todesschloß (Gespenster-Krimi 2, 1973)
Teil 12:
Traute Mahn: Der Unheimliche vom Todesschloß
(Gespenster-Krimi 2, 1973)
Gleich der erste ist ungewöhnlich und passt so recht in kein Schema.
Weckt man einen Fan des Heft-Horror-Genres aus dem Tiefschlaf und fragt ihn, was denn im ersten Heft der „Gespenster-Krimi“-Serie vom Bastei-Verlag steht, könnte er es wohl auswendig herbeten wie ein Museumsführer mit allzu langer Berufserfahrung die Litanei seiner Ausstellungsräume. Nr. 1, erschienen am 13. Juli 1973, brachte den allerersten John-Sinclair-Roman von Helmut Rellegerd alias Jason Dark. „Die Nacht der Hexers“ lautete der Titel. Angesichts späterer hübscher Verrücktheiten in der Hoch-Zeit des Autors übrigens kein besonders aufregendes Heft, berühmt nur wegen der ehrfurchtgebietenden 1 auf dem Cover. Fragte man denselben Fan nach der Nr. 2, würde er vermutlich auch in hellwachen Zustand ins Schwimmen kommen.
Nun ist das ja mit zweiten Dingen fast immer so - in der Regel verblassen sie gegen die Nr.1. Aber es gibt fulminante Ausnahmen. Den Zweiten Weltkrieg etwa.
Auch der Gespenster-Krimi-Heftroman Nr. 2 hätte mehr Aufmerksamkeit verdient.
Da ich hier in dieser Serie nur selten auf den deutschen Heftroman zu sprechen komme – dieser Teil der Literatur wird von viel kompetenteren Kollegen im Zauberspiegel abgedeckt – gönne ich mir mal den Luxus, ein wenig weiter auszuholen, weil meine Annäherung an das Genre vielleicht nicht ganz gewöhnlich ist. Sie begann nicht, wie bei vielen, mit den Augen eines Teenies, der aufgeregt die Storys um geisterjagende Detektive verschlingt. Ich entdeckte sie als literatursüchtiger Phantastik-Junky, der immer gleichen Gespenster-Story-Anthologien müde, erst als ca. 30jähriger und empfand sie sofort als bizarre Alternative zur sonstigen oft recht dünnblütigen deutschen phantastischen „Hoch“-Literatur. Besonders die von schrillen Einfällen überbordenden Hefte Jürgen Grasmücks alias Dan Shocker schlugen mich schnell in ihren Bann.
Doch bei aller Begeisterung fiel mir dabei eine der sonderbarsten Anomalien der deutschen Literaturgeschichte auf: diese Geschichten lösen praktisch NIE das ein, was sie intendieren. Simpel gesagt – deutsche Grusel-Hefte sind bizarr, spannend, phantasievoll, unterhaltsam, voller hübscher Ideen, nur eins sind sie nicht – gruslig. Das ist aus postmoderner Sicht total aufregend. Kunst, die konsequent vorgibt, etwas zu sein, was sie gar nicht ist, ist immer faszinierend.
Vergleicht man die deutschen Hefte etwa mit den amerikanischen Shudder-Pulps der 30er und 40er Jahre, die wirklich zum größten Teil furchterregend und angsteinflößend sind, fällt ihre Harmlosigkeit besonders auf.
Nein, man braucht keinerlei Schlafstörungen zu befürchten, wenn man abends einen John Sinclair, Larry Brent oder Tony Ballard zu Hand nimmt. All die Monster und Dämonen bleiben seltsam fehlfarben, die Settings sind meist wirklich viel zu entrückt, die Storys zu märchenhaft gebaut, um wirklich gruslig zu sein.
Das liegt nicht an der Unfähigkeit der Autoren, sondern an der Zielgruppe. Die Herausgeber und Autoren der amerikanischen Pulps dachten eigentlich nie darüber nach, in welchem Alter ihre Leser waren und scherten sich (zumindest vor 1940) nie um eine mögliche Zensur. Liest man etwa die Briefwechsel von Pulp-Horror-Autoren wie Clark Ashton Smith mit ihren Herausgebern, ist das Alter der Leser nie Thema, und die einzige Sorge der Redaktion war, dass die Erzählungen nicht schrecklich genug sein könnten. So ermahnte der Herausgeber des Dime Mystery Magazins, Harry Steeger, seine Autoren immer wieder, den Horror nicht nur äußerlich zu beschreiben, sondern die Angst der Protagonisten so effektvoll wie möglich herauszuarbeiten.
In Deutschland war es umgekehrt – die Hefte richteten sich vornehmlich an junge Menschen, und die Furcht vor dem Jungendschutz hielt die Redakteure wohl eher in ihrem Würgegriff als die Dämonenfurcht.
Das Ergebnis war eine sonderbare Verschiebung des Genres hin zu etwas andrem, egal was, Hauptsache, es liest sich nicht wie ein echter Horror-Roman. Man mißverstehe mich nicht – der Versuch, um die eigentliche Aufgabe eines Grusel-Buches, den Leser in Angst und Schrecken zu versetzen, herumzuschreiben, ihn quasi auszuhebeln und durch etwas zu ersetzten das irgendwie so aussieht, als handle es sich um Horror, aber im Grunde Krimi- und Fantasy-Garn ist, schuf eine virtuelle Heftromanwelt, die es in solcher Pracht und Üppigkeit auf der Welt kein zweites Mal gibt. Die Geschichten sind bunt, einfallsreich und nicht selten höchst originell. Die Tendenz, dem Genre auszuweichen bzw. es mit weniger schrecklichen Genres aufzuhellen oder zu verdünnen, ist schon schon an den Titeln der Reihen abzulesen: „Gespenster-Krimi“, „Geister-Krimi“ , „Silber-Grusel-Krimi“, „Geister-Western“ etc.
Einzig der Vampir-Horror-Roman hielt anfangs, was der Titel versprach, hier erschienen eine ganze Reihe wirklich guter Grusel-Geschichten, unter andrem die von Hugh Walker. Aber auch hier zeigte der Erfolg der später ausgekoppelten Dämonen-Killer-Serie, dass die Leser sich an die Dark-Fantasy-Geschichte im Gewand des Horror-Romans gewöhnt hatten. Sie liebten schrille exotische Geschichten, wollten lieber Abenteuer in fremden Dimensionen, Zeiten und Ländern lesen als den Schrecken in der eigenen Welt erleben. Auch Professor Zamorra packte bald seine Koffer und gab den ordinären Spuk-Tourismus auf zugunsten vertrackter und komplizierter Dimensionsreisen.
Trotz aller schönen Verwicklungen und Settings im Horror-Heftroman der 70er und frühen 80er Jahre bildete sich bald eine Art starres Muster heraus, das die Variablität der Geschichten nicht selten gehörig einschränkte. Sie folgten bald fast alle dem Catch-me-if-you-can-Muster, dem ältesten Spannungsmuster der Unterhaltungsliteratur.
Der Spuk, der Dämon wurde immer eingerahmt, gebändigt durch den allgewaltigen Serienhelden, den Kommissar, Agenten, Reporter, Inspektor, dessen Name auf dem Titelblatt des Heftes schon suggerierte, dass er auch den miesesten Dämon überleben und oft auch zerstören wird. Das ist das große Dilemma der Serien – im Grunde wissen wir immer, das alles gutgeht. Ein Serienheft-Cover ist im Grunde, so verheißungsvoll es aussehen mag, immer ein wolkenkratzergroßer Spioler. Denn auf John Sinclair 1234 folgt mit großer Wahrscheinlichkeit nicht „Die Erben des John Siclair 1“, sondern John Sinclair 1235.
Deswegen finde ich Einzelromane oft viel spannender. Und damit sind wir bei Nr. 2 vom Gespensterkrimi.
Für mich ist es noch heute ein Wunder, das gleich der erste Einzelroman, das Flaggschiff also, alle Konventionen komplett beiseite fegt.
Erster Eklat – es gibt keinen positiven Helden. Zweite Provokation – es fehlt jegliche übernatürliche Komponente. Dritter ungewöhnlicher Aspekt: im Mittelpunkt steht kein männlicher Fiesling, sondern eine Schurkin.
Und das ist der Plot:
Eliza Webster war Leichenbestatterin – und hat sich hochgeschlafen. Ihr jetziger Ehemann, ein reicher Trottel, liegt ihr zu Füßen. Beide leben auf einem düsteren Schloss, bedient von einem halb wahnsinnigen Buckligen. Elizas neue Geschäftsidee: Trauernden Verstorbenen lebensgroße Puppen ihrer lieben Angehörigen zu bauen. Für einen angemessenen Preis, versteht sich.
Elizas lebensechte Puppen sind deshalb so beliebt - weil sie lebensecht sind! Sie lässt vom Buckligen harmlose Bürger ermorden, um sie dann in ihrem Schloss-Labor einem Plastinationsverfahren zu unterziehen, das schon stark an Gunther von Hagens Methoden erinnert – immerhin vier Jahre, bevor der seine ersten Experimente unternahm! Natürlich löst das Verschwinden von Leuten aus dem Dorf in der Nähe Unruhe und Missbehagen aus, aber durch das erfrischende Fehlen von Superhelden und die Anwesenheit ganz gewöhnlicher phantasiearmer Ermittler kommt niemand auf den Gedanken, das sonderbare Ehepaar auf dem Schloss zu verdächtigen.
Währenddessen wird Eliza immer ehrgeiziger, sadistischer – und wahnsinniger. Nachdem sie ihren lästigen Ehemann vom Buckligen umbringen ließ, ersinnt sie einen Plan, dessen Perversität an Victor Hugos Schauerstück „Der König amüsiert sich“ erinnert. Einst war der Bucklige nämlich ein gutaussehender Mann, ein Unfall entstellte ihn. Nach seiner Verkrüpplung verließ ihn seine schöne Frau, der er immer noch nachtrauert. Eliza lässt nun perverserweise eben jene Ex-Frau von ihm selbst ermorden, ohne dass er sie erkennt, denn die ist längst die Geliebte eines andren Mannes und trägt einen andren Namen. Erst im Labor erkennt der Krüppel in der plastinierten Leiche anhand einer kleinen Narbe am Hals seine Geliebte und dreht durch – er bringt Eliza um und zündet das Schloß an.
Traute Mahn erzählt die Geschichte drastisch, im typischen geradlinigen holzigen Hauptsatz-Stil, für den die Gespenster-Krimi-Serie so berühmt (bzw. bei einigen berüchtigt) ist. Und sie würzt das Ganze mit eine Prise Ironie und kleinen Nebenhandlungssträngen, die mit der Erwartungshaltung des Lesers spielen. So baut sie zunächst einen sympathischen jungen Mann als Helden auf, der im Dorf als Tourist lebt und versucht, dem Geheimnis der verschwindenden Personen auf die Spur zu kommen. Als sich die Leser an den Gedanken gewöhnt haben, in ihm den Mann zu sehen, der alles zum Guten wendet, müssen sie erleben, wie ihr liebgewonnener Freund im Keller des Schlosses von widerlichen Spinnen aufgefressen wird. Ob die nun von Eliza aus Spaß gezüchtet oder Frau Mahn als Gag eingebaut wurden, bleibt im Dunklen.
Zwar rettet am Ende ein durchschnittlicher Polizist doch noch das Mädchen, das er liebt, aus den Fängen der wahnsinnigen Puppenmacherin und den Flammen des brennenden Schlosses, doch das ist nur ein halbherziges Zugeständnis an die Konventionen.
Auch sonst ulkt Traute Mahn im Roman herum und platziert Insidergags. So heißt der letzte Auftraggeber für eine lebensgroße Puppe Ronald La Roche, eine Anspielung auf ihr gewähltes Pseudonym Rebecca La Roche.
Und noch eine weitere Bosheit wird am Ende des Heftes augenzwinkernd enthüllt – der Millionär, der eine Puppe von seiner noch lebenden Geliebten haben will, bekommt sie dann selbst – denn Eliza lässt ebenjene Geliebte ermorden und als Puppe ausstatten.
Traute Mahn gehörte zu den wenigen weiblichen Autoren in der Gruselheft-Zunft. Nicht alle ihre Romane sind so originell (sie schrieb auch für den Geister-Krimi und steuerte einige frühe Zamorra-Hefte bei), doch die besten ihrer Geschichten heben sich erfrischend ab von einem Genre, das zwar heute immer noch durch seinen Charme und die verschrobenen comichaften Plots besticht, aber selten die grimmige Bosheit und düstere Hoffnunglosigkeit zu bieten hat, die man als unbefangener Leser eigentlich von Grusel- und Horrorgeschichten erwartet. Traute Mahn hat einige Male diese Erwartungen auf pointierte Art eingelöst.
Nächste Folgen:
Ray Bradbury – Der illustrierte Mann (1951) (29. Juni)
Curt Siodmak – Donovans Gehirn (1942) (13. Juli)
Joseph Sheridan Le Fanu: Carmilla (1873) (27. Juli)
Friedrich de la Motte Fouqué: Undine (1811) (10. August)
Clark Ashton Smith: Die phantastischen Erzählungen (1926-35) (24. August)
Kommentare
Ich stimme dir bei deiner allgemeinen Analyse des Gruselers zu. Auch wenn ich das Etikett phantasievoll und spannend etwas gemäßigter verteilen würde. Aber in der Tat lässt sich von Anfang an die Neigung erkennen, dem Genre auszuweichen. Auch wenn es in den ersten paar Jahren bedeutend freier war, bevor der Jugendschutz zuschlug.
Als Verlag pflegte Bastei dank seines Jerry Cottons immer schon ein makellos reines Image, was den Inhalt anging. Und man merkt, dass man sich mit dem Genre schwertat. Der erste JC hat mehr mit einem Cotton gemeinsam als mit einer echten Horrorgeschichte. Und auch in den meisten Folgeromanen der Anfangszeit wimmelt es vor Privatdetektiven und Polizisten, die am Ende für Law&Order sorgen.
Romane, die man genausogut im VHR der Zeit hätte veröffentlichen können – bevor der inhaltlich kastriert wurde - , sind eher rar gesät. Nach den Kriterien des Horrorromans hat der Gespenster-Krimi nie einen Autor wie Straßl hervorgebracht. Geschichten wie die Nr.2 sind hier die Ausnahme, behaupte ich mal, und leider nicht die Regel.
Anlässlich deines Artikels habe ich auch noch mal in den Roman reingeblättert und oft herzlich gelacht. Großes Grand Guignol. Eine völlig absurde Geschichte, die sich nicht einmal bemüht, den Figuren eine nachvollziehbare Motivation zu geben. Von der Idee, den trauernden Hinterbliebenen Wachspuppen der Toten zu verkaufen zu dem smarten Geologen (!), der sich seines Berufs wegen für das Schloss interessiert , und dem Igor, der wegen einer verpfuschten Nasen-OP geistig und körperlich zum Monster mutiert. Alles völlig normal, um mal eine saublöde Werbung zu zitieren. Das ist wie ein Jess Franco-Film, nur ohne schöne Nackte. Fast schon eine Parodie.
Ehrlich überrascht hat mich aber, wie stilistisch schlecht das geschrieben war. Unbeholfene Perspektivewechsel, unnötige Anschlussfehler und ein schwaches Ende. Nach dem Höhepunkt – Igor verschwindet mit seiner Puppe in den Flammen – gibt es noch seitenweise (!) die dröge und in die Länge gezogene Rettungsaktion. Das war für mich weniger ein Zugeständnis an die Konventionen als vielmehr ein "Es fehlen noch 10 Seiten und meine Geschichte ist zu Ende. Mist!".
Aber das ist eine andere Baustelle. Zweifellos hätte der Gespenster wesentlich mehr solcher Romane vertragen können. Andererseits zeigt der Erfolg der schlicht gestrickten Serienhelden, dass die Mehrzahl der Leser letztlich mit dieser Art Story weniger anfangen konnten.
Das ist schon eine Sache, über die man stolpern kann. An sich fand ich die Formulierung in Ordnung, da wahrheitsgemäß und erfrischend politisch unkorrekt, wenngleich provokativ. Da "fulminant" aber positiv besetzt ist, sollte man denn doch besser ein naheliegenderes Beispiel wählen. T2?
Ich kann ganz gut mit dieser Formulierung leben ... Aber ich habe ohnhehin einen eher schwarzen Humor ...
Von den ersten Gespensterkrimis sind mir nur wenige nachhaltig im Gedächtnis geblieben, und bei Band zwei (und drei) sind es die Titelbilder und nicht die Romane. Es liegt vermutlich an der Geschichte/dem Plot, aber mir lieferte der zweite Gespensterkrimi leider weder die Spannung noch die dazu versprochene Gänsehaut.
Ja, stilistisch ist der Gespensterkrimi nicht immer ansprechend, um das mal elegant zu sagen. ich vermute mitunter, dass dies auch Manierismus war - und man bewußt so hölzern schrieb, als eine Art Markenzeichen.
Es gibt Historiker, die dafür plädieren Weltkrieg I u. II unter dem Namen "Europäischer Bürgerkrieg" zusammen zu fassen.
Immer wenn man denkt, es gäbe keinen neuen Blödsinn mehr