Der Vampir-Horror-Roman ist eine Legende des Heftromans. Ich bin leider erst nach Einstellung der Reihe auf die Serie gestoßen und habe in den achtziger Jahren jede Menge davon gelesen.
Dreißig Jahre später wiederhole ich das Experiment Vampir-Horror-Roman lesen nochmals. Ob es immer noch gefällt?
(Le reflux de la nuit)
von Alphonse Brutsche (Jean-Pierre Andrevon)
Vampir Horror-Roman Nr. 3
Aus dem Französischen von Franziska von Faber
10. Oktober 1972 / DM 1,-
Pabel Verlag
Es ist Herbst in Paris. Pierre Merlin trauert um seine Frau Christine, die fast genau vor einem Jahr von ihm gegangen ist.
Seit einiger Zeit geht er täglich, vom Büro aus, auf den Friedhof, um seiner Frau nahe zu sein, mit ihr zu sprechen und an ihrem Grab, das sie sich noch mit ein paar Familienangehörigen teilt, ein wenig Trost zu finden. Auf dem Grabstein stehen die Namen von Christines Eltern und der ihres kleinen Sohnes Antoine, der schon mit 3 Jahren verstarb. Der Verlust schmerzt ihn sehr.
Seine Kollegen finden die täglichen Friedhofs Besuche zwar ein wenig schrullig, aber schieben dieses Verhalten auf den Verlust seiner Frau. Er ist auch sonst kein geselliger Typ und hat somit auch keine engeren Freunde. Arbeiten, schlafen und essen bestimmen sein Leben.
An einem trüben Novembertag belauscht Merlin, unbeabsichtigt, ein Gespräch zweier Männer. Es geht wohl um Geld für einen Grabstein. Als er gerade gehen will, spricht ihn einer der Männer an. Ein alter, muffig riechender, kleiner Mann namens Bornimus bietet Merlin seine Dienste an – er kann Christine wieder zum Leben erwecken. Die Fähigkeit hat er von Wiwanwat (kein Scherz), ein asiatisch aussehender Magier, dessen Konterfei er auf einem Amulett um den Hals trägt.
Merlin hält den Alten für verrückt und überlegt, ob er auf den Deal eingehen soll. 4000 Francs soll der Spaß kosten. Mit Hilfe von sogenannten Soma-Körnern, die er auf das Grab pflanzen muss, wird das Wunder gelingen, verspricht der Alte. Den Zeitpunkt der Wiederkehr kann man allerdings nicht auf die Minute genau bestimmen. Ein wenig Geduld und alles wird gut. Ein weiterer „Kunde“ wartet auch noch auf seinen toten Bruder und Bornimus lädt Pierre zur Auferstehung-Feier, am anderen Tag, ein. Dann verlassen sie den Friedhof durch einen Nebeneingang, der Pierre noch nie aufgefallen war. Wie seltsam.
In der Nacht wird Merlin von heftigen Alpträumen geplagt. Seine Frau liegt im Bett neben ihm und möchte, etwas angegammelt, Zärtlichkeiten austauschen.
Am anderen Tag geht Merlin neugierig zum Friedhof und wird, gemeinsam mit dem komischen Alten, Zeuge eines unheimlichen Geschehens. Eine Grabplatte verschiebt sich und eine bleiche, mit unheilvollem Leben erfüllte Hand kommt zum Vorschein. Pierre Merlin flüchtet voller Panik.
Morgens, beim Frühstück, ließt er in der Zeitung einen kleinen Artikel – Geöffnetes Grab auf dem Friedhof Saint-Charles – und glaubt dem kleinen Mann nun endgültig. Eine Visitenkarte Bornimus, mit der Aufschrift – Magier-Verbindung mit Verstorbenen 3, Rue du Bon-Retour – weist ihm den Weg in eine versteckte Gasse mit windschiefen Häusern. In Bornimus, mit alten Büchern über Hexerei vollgestopfter Bude, fordert er von Merlin ein paar tropfen Blut. Dazu ist dieser nicht bereit und so muss eine Maus ihr Leben lassen um die Soma-Körner zu impfen. Beim eingraben der Körner erklärt Bornimus dessen Wirkung. Sie sollen den verwesten Leib des/der Toten langsam wiederbeleben. Je länger jemand tot ist, desto länger dauert es.
Jetzt beginnt für den ungeduldigen Merlin eine Zeit des Wartens. Wann tritt Christine wieder in sein Leben? Seine Kollegen machen sich jetzt erst recht Sorgen, denn Merlin ist voll neben der Spur. Er fragt bei den Nachbarn nach, ob sie eine Frau gesehen hätten, eine Verwandte, deren Besuch er erwartete. Nichts!
Als Merlin, ein paar Tage später, von der Arbeit kommt, fängt ihn der Nachbar aber ab. Ein weiblicher Besucher hatte bei ihm geklingelt und sich ansonsten in Schweigen gehüllt. SIE WAR ENDLICH DA!
Pierre Merlin ist nun mehrere Tage, unentschuldigt, nicht zur Arbeit erschienen. Brigitte Dubios und
Paul Canauff, Mitarbeiter von Merlin, fahren zu seiner Wohnung um mal nach dem Rechten zu sehen. Er macht nicht auf, spricht aber durch die verschlossene Tür und versichert ihnen, dass er sich bald wieder meldet.
Jetzt häufen sich die Ungereimtheiten um Pierre Merlin. Er kauft für zwei Leute ein und die Nachbarn hören einen lauteres (Selbst-)Gespräch aus seiner Wohnung. Aber er wohnt doch allein oder etwa nicht?
Ein kleiner zerlumpter Junge wird beobachtet, wie er wortlos und bleich durch die Straßen läuft. Antoine!
Merlin hat endlich seine kleine Familie wieder, auch wenn er mit dem Jungen gar nicht gerechnet hat. Ein richtiges Idyll, wie es scheint. Wären da nicht die ungelenken Bewegungen, die trüben Augen und die maskenhaften Gesichtszüge der Beiden. Mit der Sprache hapert es auch. Kein Ton ist zu vernehmen, nur ihre Lippen formen unausgesprochene Worte. Zudem verströmen die ehemals Geliebten Menschen einen widerlichen Modergeruch und scheinen keinen Schlaf zu brauchen.
Das hat sich Pierre ganz anders vorgestellt. Christine bleibt auch nicht still in der Wohnung, sondern versucht, ihren Instinkten folgend, den gewohnten Lebenslauf von damals wieder aufzunehmen.
Als Merlin glaubt, das Grauen hätte seinen Höhepunkt erreicht stehen plötzlich seine Schwiegereltern in der Tür - noch fauliger riechend, noch schrecklicher anzusehen, da länger tot.
Jetzt dreht Pierre Merlin völlig am Rad. Die ruhelosen Gestalten, die seine Wohnung bevölkern treiben ihn zum Wahnsinn. Sie laufen kreuz und quer durch die Zimmer und hämmern schließlich gegen die Tür, weil sie wohl etwas Frischluft brauchen. Dachte er, aber sie wollen nur dem nächsten Gast öffnen. Ein Großonkel Christines, ebenfalls noch in dem Grab beerdigt, findet sich nun in der obskuren WG ein. Von ihm ist allerdings am wenigsten übrig. Jetzt flüchtet Merlin aus seiner Behausung und läuft wie aufgezogen in Richtung Bornimus. Das Haus gibt es, laut Aussage eines Anwohners, seit 20 Jahren nicht mehr und ein Herr Bornimus kennen sie auch nicht.
Merlin sieht keinen anderen Ausweg und besorgt sich in einem Geschäft eine Axt und einen Kanister mit Benzin... Dann beginnt er gewissenhaft mit seiner schrecklichen Arbeit und fackelt sich am Ende, unbeabsichtigt, selber mit ab.
Ohne Zweifel steht dieser Heftroman unter dem Motto: „...die Geister die ich rief...“ Wenn er essbar wäre, würde ich ihn als allerfeinste Edelsahne (von Lindt) bezeichnen.
Auf 64 Seiten gibt es wirklich alles, was genialen Lesestoff im Bereich Heftroman für mich ausmacht – 2 Stunden gute Unterhaltung. Hier wird die Zeit, beim warten auf Christine, nicht ein bisschen langweilig. Auch wenn sie erst jenseits der Seite 40 auftaucht. Andrevon versteht es, den Leser bei der Stange zu halten. Merlin wird als älterer Büroangestellter beschrieben, der maßlos in seiner Trauer aufgeht und sich immer mehr zurückzieht. Kein Polizist, Detektiv oder Reporter ist hier der Protagonist sondern ein stink normaler, etwas biederer Bürger Frankreichs der 70 Jahre. Dazu passt dann auch hervorragend die Jahreszeit und die beschriebene Umgebung (der Friedhof). Grau in Grau! Eine super Abwechslung zu den ganzen Serien-Helden zu meiner Zeit.
Das hier, außer ein paar Andeutungen, nicht großartig auf die Herkunft der Soma-Körner oder sonstigen magischen Kräfte eingegangen wird, hat mich jetzt auch nicht sonderlich gestört. Da der Roman ursprünglich ein Taschenbuch war und dementsprechend länger, hat Franziska von Faber die Nebensächlichkeiten wohl nur kurz angerissen. Saubere Arbeit Frau von Faber! Bei den Namen Wiwanwat (Werwowan wäre auch gegangen) oder Rue du Bon-Retour musste ich grinsen. Ich stehe auf solche Wortspielereien. Auch das Bornimus „nur“ 4000 Francs als Bezahlung möchte, ist mal was anderes. Sonst wollen kleine, unheimliche Männer in Grusel- Romanen immer die Seele oder ähnliches.
Merlins Versuche, die Rückkehr seiner Verwandten zu verheimlichen, werden für ihn zur Dauerbelastung. Ein Sack voll Flöhe hüten scheint einfacher als diese unheimliche Sippe von der Bevölkerung fernzuhalten.
Als er dann keinen anderen Ausweg mehr sieht und sich schließlich auf drastische Art dem Übel annimmt (Axt und Benzin), bekommt die Story splatterhafte, groteske Züge ala Peter Jacksons Braindead. Hier stand der Held auch knöcheltief in Körperteilen, nur ein paar Jahre später.
Ein kleiner Auszug:
Ein heftiger Husten schüttelte ihn. Dann packte er die Axt fester. Nein, die Arbeit war noch nicht beendet. In dem Haufen zerstückelter Gliedmaßen regte es sich noch.
Immer wieder ließ Pierre die blitzende Schneide der Axt in den Fleisch- und Knochenhaufen zu seinen Füßen sausen, dass die Körperfetzen in der Diele herumflogen und an der Decke und Wand kleben blieben.
Nachdem sich Pierre ein wenig erholt hatte, holte er die Kehrrichtschaufel und brachte damit die Reste der Kadaver ins Bügelzimmer.
Es war keine leichte Arbeit. Das zerfallene Fleisch klebte überall, und wenn er eine Schaufel voll aufgenommen hatte, rutschte es oft wieder zu Boden und glitt zu einem anderen Stück, dessen Zellen zuvor möglicherweise mit ihm in Verbindung gestanden hatten.
Nun, Ordnung ist bekanntlich das halbe Leben. Wer kennt sie nicht, die Plagen und Mühen beim Wohnungsputz!
Ein kleiner Blick auf Wikipedia (Lohnt sich, schon allein wegen der holprigen Übersetzung) verrät uns, dass der Autor Jean-Pierre Andrevon (Jahrgang 1937) neben Science-Fiction Romanen auch Drehbücher und Songtexte geschrieben hat. Seine Ausflüge in den Bereich Horror waren wohl eher selten.
Da DER TOTENTANZ der zweite Roman eines Franzosen in der Vampir-Horror Serie ist, und sein Vorgänger DIE HEXENMEISTER von B.R. Bruss (Vampir Nr.2) mir nicht so gefallen hat, muss ich sagen, dass die Baguette-Fraktion der Reihe bei mir einiges an Stellenwert dazu gewonnen hat.
Für mich das zweite Highlight innerhalb der Vampir-Horror Serie! Dabei bin ich erst beim dritten Band.
Das Titelbild von Carolus Adrianus Maria Thole passt diesmal hervorragend zum Roman. Ein paar geisterhafte, halb zerfallene „Auferstandene“ schweben über ihren Gräbern. Der winterliche Himmel in schwefeligem Gelb als Hintergrund. Beim Horrorlexikon scheint es auch weiterzugehen. Diesmal gibt es kurze Erklärungen zu den Begriffen E- wie Elementargeister bis J- wie Jeti.
Die Innenzeichnung auf Seite 53 von Franz Berthold zeigt, wie Merlin seiner Frau Christine den Schädel spaltet, um sie von ihrem unheilvollen Leben zu erlösen. Das ist Liebe. Meine Frau heißt übrigens auch Christine, aber soweit würde ich nicht gehen...
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Kommentare
Harantor sagt: Danke und nachgetragen
(Es ist schon merkwürdig, dass aus dem Nachbarland heutzutage so wenig Romane importiert werden. Sieht man sich ihre Fernsehserien oder Filme an, sind die immer hochklassig. also daran kann's nicht liegen.)
Ist immer wieder interessant, wie anders die Franzosen an die Materie herangehen. Hier findet man selten die im Prinzip doch thematisch sehr schlichte angloamerikanische Weise, wo der Held meist gewerbemäßig den Spuk bekämpft und siegt. Was ja bald die Standardvorgehensweise deutscher Autoren war. Etwas Vergleichbares wie diesen oder ein paar andere französische Romane wirst du im deutschen Heft - abgesehen von Straßl - nur selten finden.
Das Cover könnteste auch auf "The Walking Dead" pappen, und es wäre gut
Stimmt, in den 70ern hat man mehr französische Filme im TV gesehen. Gab es da nicht so eine "Schwarze-Reihe" mit mystisch-gruseligen Filmen. Kann mich an einen erinnern, da hat ein Vater für seine Tochter junge Mädchen ranngeschleppt, um ihre Gesichtsverletzung (?) durch Transplantation zu heilen. Die liefen eine Zeitlang auf dem Dritten.
Wäre ich ein deutscher Klein-Verläger, dann käme er auch in meine engere Wahl...
Man kann sein Geld sicher schlechter in den Sand setzen.
Das müsste Augen ohne Gesicht von Georges Franju gewesen sein. Der lief oft.
Das kann kein Kleinverleger finanziell stemmen. Rechte - falls man sie kriegt - und Übersetzung rechnen sich nicht bei den Miniauflagen.
der VHR. Ich habe ihn, verbotenerweise,
mit 11 Jahren gelesen. Konnte in der Nacht
nicht schlafen. War erst halb durch und schwor mir
Ihn nicht weiterzulesen. Tat ich trotzdem. Hat
Aber meinen nächtlichen Aufenthalt auf Fried-
hören für immer verhindert. Auch heute noch.