Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Schatteneffekte und Schlaglichter ... oder »weniger ist mehr« - Zum Horror im Cthulhu-Mythos von H.P. Lovecraft und Epigonen

Schatteneffekte und Schlaglichter ... oder »weniger ist mehr« - Zum Horror im Cthulhu-Mythos von H.P. Lovecraft und EpigonenSchatteneffekte und Schlaglichter ...
... oder »weniger ist mehr«
Zum Horror im Cthulhu-Mythos von H.P. Lovecraft und Epigonen    

Ich bin privat einmal gerade wieder dabei, die originalen Horrorgeschichten zum Cthulhu-Mythos von H.P. Lovecraft durchzuarbeiten, wobei ich mich meist der deutschen Übersetzungen von Suhrkamp bediene. Schon früher wurde Lovecraft eher als der „Chronist“, der „Zeuge der Handlung“ wahrgenommen, weniger als der wirklich erzählende Autor.


H. P. LovecraftDies liegt daran, dass er die Handlungen immer durch die Augen Dritter beschreibt und auch sonst die Darstellungen weniger erzählenden als beschreibenden Charakter haben, wie man am besten in der Geschichte „Flüsterer im Dunkeln“ erkennt. Dadurch bleibt die Handlung vage, die Bedrohungen mystisch, sie verbleiben im Dunkeln der finstere Ecken der Welt, und werden nur selten hervorgezerrt und dann auch nur mittelbar oder punktuell.Dies setzt den Reiz hoch an, da wir erwarten, dass der Horror uns aus den Winkeln der Finsternis (auch des menschlichen Geistes) anspringt.  Im Gegensatz dazu finden wir bei den späteren Epigonen, auch im deutschsprachigen Raum den Cthulhu-Mythos meist nicht mehr verborgen, nicht mehr nur am Rande berührbar wie ein schleimiger Wurm, den man versehentlich zurückzuckend berührt, während man dunkle Höhlen durchkriecht.

Nein, hier sind wir im Schlagschattenlicht der Scheinwerfer. Die Bedrohung wird konkret, wir stehen dem Monster meist direkt gegenüber, sehen durch die Augen des Ich-Erzählers, die Handlung wird auch erzählerisch breitgetreten, das Monster ist fast immer in allen seinen Schattierungen zu erkennen, das macht es vielleicht bedrohlicher, aber auch vertrauter, konkreter. Man kann es schlagen,besiegen, es  lauert nun nicht mehr nur in den dunklen Ecken wo es durchtrieben und unberechenbar seine dunkle Geometrie webt und uns vor die Abgründe des  menschlichen Daseins führt und nächtens  durch sein plötzliches (und seltenes!) Auftauchen unseren Schrecken erhöht...

Nein, es, das Monster, erscheint im vollen Licht der Erzählweise des Autors, der durch die zu häufige Erwähnung oder Beschreibung der „großen Alten“ unsere Wahrnehmung beschränkt.. Dadurch wird die Gefahr aber auch banaler, sie wird vertraut, wird langweilig (mich langweilten z.B. die „Hexer-Romane von W. Hohlbein nur), weil der Umgang mit ihr fast alltäglich wird. Der Leser wird abgestumpfter dadurch. Warum noch in die Dunkelheit lauschen, wenn die Monster sowieso am hellen Tag zu Dutzenden vor mir auftauchen...und ich auch gleich einen Zauberstab habe, um sie  en masse zu besiegen...anstatt sie nur mühsam mit amulettartigen schwarzen Steinen in Schach halten zu können, deren uralte Hieroglyphen ich erst mühsam entschlüsseln muss.

Das Fazit: weniger ist mehr! Die Schrecken der Düsternis auch dort zu lassen, sie nur ab und zu hervorbrechen zu lassen, wie wir dies bei Lovecraft finden, erhöht den Horroreffekt mehr als die das Gruselwirrwarr der modernen Autoren, die den Leser mit Unmassen von voll sichtbaren Monstern überschwemmen. Wie das Salz in der Suppe diese erst als  hinzugefügte Prise genussfähig macht, ist auch der Horroreffekt in den geschriebenen Handlungen so anzusehen. Ein Übermaß ist nicht nur abstumpfend, sondern banal. Langweilig und sogar lächerlich. Wer Zombiemassen mag ,sollte bitte nicht im Cthulhu-Mythos schreiben. Hier ist die Andeutung  des Nekronomikon immer mehr wert als die Horde angreifender Monster.

Zwar hatte H.P: auch andere Autoren aufgefordert, sich des Cthulhu-Mythos nach ihren Belangen zu bedienen, aber die allzu banale Auswälzung eines doch wirklich schönen Horrorthemas bringt mich oft zum Gähnen und lockt auch so keinen Fan mehr hinter dem Ofen hervor.Eine der ersten „epigonischen“ Geschichten die mir (in deutscher Übsersetzung) in die Hände fiel, war eine Erzählung von Allan Dean Foster, die auch durchaus mit ihren Andeutungen auskam und dadurch überzeugte Auch in Horrorfilmen überzeugt mehr diejenige Handlung, die das Monster immer nur ganz kurz zeigt, immer etwas mehr im lauf der Handlung und erst zum Schluss die ganze Bandbreite des gesehenen, beobachtbaren Schreckens auffährt. Dadurch zeichnet sich meines Erachtens u.a. ein guter Horrorfilm aus.. das Gleiche gilt auch für die Schrecken, die uns der Cthulhu-Mythos erzählt...sie lauern in den Schatten, dreh' Dich nicht um...geh' nicht allein durch stille Straßen...

© 2015 by H .Döring

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2015-09-16 10:14
Zitat:
Dies liegt daran, dass er die Handlungen immer durch die Augen Dritter beschreibt und auch sonst die Darstellungen weniger erzählenden als beschreibenden Charakter haben, wie man am besten in der Geschichte „Flüsterer im Dunkeln“ erkennt
Was meinst du damit? Die meisten der als "wichtig" geltenden Erzählungen HPLs sind in der Ersten und nicht in der Dritten Person erzählt. Der Ich-Erzähler erlebt das Geschehen und kommentiert es. "Berge des Wahnsinns"; "Die Farbe aus dem All", "Der Schatten über Innsmouth", nur um ein paar zu nennen.

Es gibt eine wahre Flut von neuen Mythos-Geschichten. Da haben sich mittlerweile Nischen etabliert. Da gibt es die "Soldaten oder Agenten gegen die Monster"-Stories, also meistens Action-Horror. Aber es gibt auch viele Stories, die den Mythos als Sprungbrett nehmen und nicht mehr nur nachäffen, die auf die hier eingeforderten Schatteneffekte setzen. Da scheitern allerdings mehr Autoren, als man denken sollte, weil sie dazu einfach nicht gut genug sind.

Bei den Monster-Geschichten gebe ich dir grundsätzlich recht. Was wird aus dem "Unaussprechlichen", wenn man es ausspricht? Eines der Grundprobleme des Mythos und vor allem HPLs. Zb oft interessanter als Prosa ist der Ansatz von Alan Moore, der das Thema gerade wieder als Comic aufarbeitet. Moore hat bewusst den Scheinwerfer auf all das gelenkt, was HPL nur andeutet. "Neonomicon" und jetzt "Providence" sind hochinteressant. Haben aber leider das Manko, dass man sich schon sehr gut bei HPL auskennen muss, um wirklich alles verstehen zu können. Und viele dürften auch kaum die Gewalt mögen - sowohl die körperliche als auch die sexuelle -, die dabei naturgemäß zum Vorschein kommt, wenn man das zeigt, was HPL nur verschämt andeutet.
#2 AARN MUNRO 2015-09-16 11:41
@ Andreas Decker: Mit den Aussagen war gemeint, dass Lovecraft einen Handlungsträger in der dritten Person wählt, der uns die Geschichte erzählt, die ihm ein Dritter erzählt. Dadurch kommt die Außenbeobachtungsperspektive des "Chronisten" hinein, der sich nur langsam selbst in die Story verwickelt. Wir sind nicht unmittelbar die teilnehmenden, sondern nur die beobachtenden Leser.
Außerdem: Dort wo spätere (andere) Autoren ausführliche Handlungsstränge aufführen, streift er die Szenerie nur kurz und bündig mit wenigen, beschreibenden, nicht auswalzend erzählenden Sätzen. Er könnte vielmehr "Story" hineinbringen, aber beläßt es eben bei kurzen andeutungen und dem Aufblitzen des Schreckens...
#3 Matzekaether 2015-09-16 12:55
Das mit dem konkreten Zeigen des Schreckens ist wirklich ein Problem - wer das Objekt des Grauens genau beschreibt, entzaubert es in der Regel auch, es sei denn, er ist ein Genie - und wieviel Horror-Goethes gibt es schon? King erzählt dies Dilemma plastisch in "Danse makabre" und sagt sinngemäß: "Das verführte viele Autoren dazu, die Tür zum Grauen gar nicht erst zu öffnen - aber ist das eine Lösung?" Ich tendiere auch eher zu der Sorte Literatur, die nur andeutet. Manche konnten beides. C.A. Smith kann grell ausmalen - aber auch nur mit Andeutungen arbeiten wie in "genius loci". Ausgerechnet Howard, der Verfasser von Conan, wo der Schrecken und die Monster sehr deutlich sind und scon fast Hohlbeinsche Züge annehmen, hat sehr subtile Gruselgeschichten geschrieben, um den dritten wichtigen Lovecraft-Schüler zu nennen. Auch heute gibts das durchaus noch. Völlig richtig - die Gruselhefte sind in der Regel gar nicht gruslig, weil die dämonen dort herumspazieren wie ganz normale Leute. es gibt aber auch so herrlich dunkle Romane ohne grelle Beleuchtung wie "Das Eulentor" von Andreas Gruber. Wird von den meisten Lesern allerdings nicht geschätzt, wenn man sich die Kritiken bei amazon und audible anguckt. Anscheinend - und das war wohl schon in den 30er Jahren so - bevorzugt die Masse Monster-Action, und der angedeutete Grusel ist für die Feinschmecker... :P
#4 Matzekaether 2015-09-16 12:57
Hab den zweiten Lovecraft-Schüler gar nicht genannt, ist Robert Bloch. Hat das Gruslige dann sehr erfolgreich in den Thriller integriert.
#5 Andreas Decker 2015-09-16 13:05
zitiere AARN MUNRO:
@ Andreas Decker: Mit den Aussagen war gemeint, dass Lovecraft einen Handlungsträger in der dritten Person wählt, der uns die Geschichte erzählt, die ihm ein Dritter erzählt. Dadurch kommt die Außenbeobachtungsperspektive des "Chronisten" hinein, der sich nur langsam selbst in die Story verwickelt. Wir sind nicht unmittelbar die teilnehmenden, sondern nur die beobachtenden Leser.


Das ist aber leider faktisch falsch, wenn man ein "immer" davorsetzt wie oben und damit aussagt, dass das HPLs grundsätzliche Herangehensweise war.

Der Ich-Erzähler aus "Berge" erforscht die Stadt der Aliens und gibt keinen Bericht aus zweiter Hand wieder, der Ich-Erzähler aus "Innsmouth" flieht vor den Froschwesen und ist am Ende selbst eins, in den "Ratten" ist der Ich-Erzähler am Ende verrückt.

Die einzige von den Kerngeschichten, in der es einen Erzähler gibt, der uns erzählt, was ihm eine andere Person erzählte, ist "Cthulhus Ruf". Und selbst da stimmt das letztlich auch nicht so ganz, da der Ich-Erzähler am Ende in die Ereignisse involviert ist und um die halbe Welt reist.

Natürlich gibt es bei HPL auch die Erzählperspektive vom allwissenden Erzähler, der mehr weiß als seine Figuren. Zb der "Charles Dexter Ward". Aber das ist bei den als Klassiker erachteten Stories die Minderzahl.

Man kann auch lange darüber diskutieren, ob "Flüsterer" wirklich ein so gutes Beispiel für HPLs Stärken ist. ;-) Die Story krankt an ihren Protagonisten, die sich in der Hauptsache so dämlich, naiv und weltfremd verhalten, dass man ständig aus der Handlung gerissen wird. Da sind mir seine bibbernden Universitätsprofessoren lieber, die von Blasphemie faseln, weil es ihr beschränktes christliches Weltbild ins Wanken bringt. :-)
#6 Andreas Decker 2015-09-16 13:26
zitiere Matzekaether:
Anscheinend - und das war wohl schon in den 30er Jahren so - bevorzugt die Masse Monster-Action, und der angedeutete Grusel ist für die Feinschmecker... :P


Ach, es gibt auch bei Mythos-Storys schon gelungene Monster-Action. Da kann man überraschende Entdeckungen machen, gerade aus der Rollenspielecke wie Delta Green. Aber die funktionieren hauptsächlich, weil sie aus der Post-Akte-X-Epoche stammen und die Autoren das verinnerlicht haben.

Lese ich heute Leute wie Derleth, der alles von HPL von innen nach außen gekehrt hat, oder Lumley, der das dann noch schwer trivialisiert und verwässert hat, fällt es mir schwer am Ball zu bleiben. Das ist sehr schlecht gealtert.

Bloch ist in der Tat ein faszinierender Autor. Vergleicht man seine frühen Mythos-Geschichten, die leider kaum oder gar nicht (?) auf Deutsch erschienen sind (abgesehen von dem Roman bei Festa damals) , mit seinem späteren Werk, hat man den Eindruck, das wären zwei verschiedene Schriftsteller.

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren und die Zugriffe auf unsere Webseite zu analysieren. Indem Sie "Akzeptieren" anklicken ohne Ihre Einstellungen zu verändern, geben Sie uns Ihre Einwilligung, Cookies zu verwenden.