»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Kehr um, eh' du dem Tod begegnest (Melissa 64)
Ausflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Kehr um, eh' du dem Tod begegnest«
Melissa 64 von Ann Farrington
Einige dieser Romane waren sogar Gruselromane mit Frauenglasur und ich habe mir mir bisweilen die Haare gerauft, bisweilen hatte ich auch überrascht die Augenbrauen geliftet. Was ich bisher nicht das Glück hatte zu finden, war ein ausgewogenes Werk, dass es irgendwie, notfalls mit Axt und Schrotflinte, schafft, Romantik mit Spannung zu verbinden. Und das am Besten auch noch so, dass die Spannung nicht mechanisch erscheint und die Romantik peinlich.
Aber während ich beim Horror versteckte SF-Romane gefunden habe, die man auf die Schnelle über pinselte, gab es auch bei der Mystery für die Damen diverse Romane, die entweder crazy waren oder doch besser bei der Gruselfraktion aufgehoben waren.
Bei „Melissa“ stand das übrigens nicht zur Debatte.
Es sind für diese zwischen 1984 und 1990 erschienene Serie in immerhin stabilen 170 Folgen kaum noch Infos auffindbar, offenbar war der Untertitel „Geheimnis – Liebe – Spannung“ dann doch nur ausreichend für einen Stiefkindstatus und in den marginalen Infos, die noch zu finden sind, wird die Serie in den wetterfesten Bereich der „Romantic Thriller“ gerückt, wo es im Wesentlichen auch ohne die übernatürlichen Elemente geht.
Das bedeutete haarscharf, dass ich hier die mögliche Konkurrenz zu meinem Geheimnisroman-Test auf dem Teller hatte, mitunter noch der beste „geschlossene“ Roman, den ich lesen durfte. Dessen Plot war zwar jetzt mehr giallo-like mit angeblichen Mafia-Einsprengseln, aber eben flüssig und ohne Magengrimmen zu lesen.
Daher hier bei der guten Melissa mein überraschtes Voting: ein grundsolide durchstrukturierter kleiner Adels-England-Murder-Mystery-Thriller mit romantischem Zierrat, der jetzt nicht elementar für die Handlung und den Ausgang ist, mittels dessen die Adels- und Fürstenromanfans gleich mit in Sippenhaft genommen werden können.
Autor des Werks ist mal wieder Gerhard Hundsdorfer (zumindest ist das höchstwahrscheinlich) unter dem beliebten „Ann Farrington“-Pseudonym. Der Mann war aktiv genug, um zu wissen, wie das geht und weil ich ja einmal etwas höchst Typisches (und damit natürlich auch höchst Durchschnittliches) wollte, bin ich ihm für seine Produktivität sehr dankbar....
»Was ist los in Little Rock...pardon...Milford Oaks?«
Das geht ja gut los: als Teaser wird ein gewisser Gordon mittels indianischem Blasrohr mit einem Curarepfeil niedergestreckt – und es war tatsächlich der Butler...!!!
Zurück zu den weiblichen Genen, denn in Leicestershire wird eine Gesellschafterin gesucht. Susan King, wohl noch nicht lange jenseits der 20 und schon mit einigen Erfahrungen als Kinderhüterin britischer Upperclass-Familien versehen, will sich bei Lady Rhoda Sullivan vorstellen und bringt mit der Ankündigung sofort die Besatzung des freundlichen Straßen-Cafés in der Nähe auf die Theke. Offenbar ist die neue Arbeitgeberin ein echtes Herzchen und ihr Männe, der Earl of Sullivan, hat sich vor drei Wochen bei den drei Eichen den Strick genommen, wo das Wasser am tiefsten ist. Prösterle!
Im gleichen Café taucht auch ein schnieker junger Mann im weißen Ferrari auf, der auf den Namen Gordon Bellocchio hört und in Milford Oaks ebenfalls anfangen will, als Gärtner und Chauffeur. Besitztechnisch eindeutig überqualifiziert.
Aus Termingründen fährt Susan zuerst ab und wird auf dem Landsitz von dem großen, dürren, düsteren Butler Elias Clyde klischeetechnisch perfekt gruselig empfangen.
Und es geht weiter: Lady Rhoda geht nicht nur am Stock, sondern scheint auch ein eisiges Biest zu sein, deren Bissigkeit Kristallglas zersägen kann, so wie ich Telefonrechnungen zerreißen könnte.
Angeblich hat die Gute...äh...Böse ein Schlaganfall gestreift, weswegen jetzt jemand ihren Notfall-Rolli schieben soll. Sie war übrigens die zweite Frau des toten Earl, weswegen man das Erbdrama schon weitem jodeln hört. Offenbar findet Seelchen Susan aber die Zustimmung der Eiskönigin und darf sich das Jobangebot ein Stündchen überlegen.
In dieser Pause macht sie einen Rundgang, schaut sich den Galgenhügel an und schnackt erneut mit dem feschen Gordon, der nun so gar nicht nach Gärtner drein schaut. Immerhin wachen Susans Hormone dabei auf – während ich die ganze Zeit nur an den Curarepfeil denke.
Dennoch: beide auserwählten Protagonisten werden eingestellt.
Alsbald geht es auch schon rund, denn die Testamentseröffnung steht an und da werden Susan und Gordon von der holden Rhoda als Zeugen eingeladen – weil die niemandem aus dem Ort dabei haben will, vorgeblich, um Klatsch zu vermeiden.
Mit im Boot wird Lord James Sullivan sein, der Sohn des Hängenden, der prompt anreist und gleich mal gar nicht für irgendeine Stimmung sorgt – das Tischtuch ist offenbar nicht nur zerschnitten, sondern gleich auch noch abgefackelt. Während Rhoda zickt und James das alles an sich abperlen lässt, wird auch noch ruchbar, dass James wohl einen Sohnematz namens Gordon besitzt – welch zufällige Namensähnlichkeit! (Knick Knack!) Da Schnucki-Gordon aber von südländischerem Zuschnitt zu sein scheint, zieht Susan da keine sinnvollen Schlüsse draus.
Sie wird auch nicht aufmerksam, als Gordon sich bei der Testamentseröffnung mangels Perso nicht ausweisen kann – wie hätte man auch erwarten können, dass man sich da ausweisen muss. Das geht jedoch flugs unter, denn es gibt Tumult: die Testamentstapete besagt eindeutig, James kriegt alles und Rhoda nix. Danke, Neues Testament! Mit Wutgebrüll macht Rhoda einen Ohnmachtshechtsprung auf die Auslegeware, da sie das Ganze für einen üblen Trick des Verblichenen hält.
Als Susan später um ein Glas Wasser geschickt wird, um Rhoda aufzufrischen, findet sie in der Küche (unbemerkt) den Butler vor, der beim Kaffeekochen offenbar die bittere Bohne mit einem weißen Pülverchen veredelt. Sie schickt ihn mit dem Wasser vorneweg, gießt die Jacobs-Krönung weg und serviert Kaffee pur. Somit überleben alle die Teestunde und Susan zieht sich sicherheitshalber gleich mal zurück ins private Separée.
In der Nacht startet die nächste Runde: jemand mit Maske geht mit einem Kissen auf den schlummernden Lord James los und kriegt von der furchtsamen wie aufmerksamen Susan eine Statue ins Kreuz geleiert. Wieder war es der Butler, der zuvor mit der Dame des Hauses palavert hatte, doch der geht inhäusig stiften, ehe Lord James in der Waagerechten ist und die Augen auf hat.
Total aufgebracht beichtet unser Mädel den ganzen Aufruhr dem schlauen Gordon bei Sonnenaufgang, der jedoch sofort patente Pläne schmiedet. Er ist im übrigen selbst aus guter (italienischer) Familie, will sich jedoch seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Das beeindruckt die gute Susan, die bei ihrem nächsten Treffen auf grüner Wiese endlich stürmisch wird und ihr Herz verschenkt. Leider sieht wieder der Butler zu und petzt, was die Anstellung natürlich in Gefahr bringt.
Gerade als das Gleichgewicht noch rettbar scheint, plaudert Gordon die nächste Runde aus: James ist nämlich doch der liebe Adelspapi, der nur mal in erster Ehe mit Bella Italia verbandelt war und deswegen seine Familienähnlichkeit zugunsten der Ehefrau aufgegeben hat. Da droht natürlich die Erbfolge durcheinander zu geraten, nicht zuletzt weil Gordon seinen Dad jetzt schon operativ vorgewarnt hat. Aber Gordon hat nichts gegen weibliche, hübsche Beteiligte aus der Angestelltenetage und stellt schon mal die nahe Hochzeit mit der Kollegin zur Disposition.
Doch Elias, der fiese Butlersmann, hat eine Abhöranlage installiert und sucht schon mal das Blasrohr...
»Der Lord ist fort!«
Sind wir mal wieder fies und verraten nicht, wie die Chose ausgeht?
Ach, was soll's! Was zunächst noch nach einem flotten Rätselspiel aussieht, gerät im Romanverlauf mehr und mehr in standardisierte Fahrgewässer. Alles was fies, laut, schrill oder unheimlich dreinschaut, ist höchstwahrscheinlich am Ende auch ein fieser Möp und hat Übliches im Sinn.
Überraschend dabei, dass sowohl Rhoda als auch Clyde dabei ein eigenes Süppchen kochen: erst dosiert der gedungene Mörder (der auch schon den alten Earl auf dem Gewissen hat) sein Curare niedriger als Rhoda gewünscht hat, weil er sich finanziell absichern will und Gordon lieber einen dicken Scheck abpressen möchte, dann vertraut er seiner Chefin nicht recht, was ihr eigenes künftiges Heiratsversprechen dank seiner Tötungsdelikte anbetrifft. Rhoda will derweil den ganzen Familienrest möglichst schnell abräumen und macht dabei auch nicht vor allzu selbständigen Hausdienern halt, die irgendwann selbst von der Eiche baumeln. Ein Schelm, wer da noch überrascht ist, dass die Gute Stock und Rollstuhl natürlich nicht braucht...
Das ganze Mysterium ist brauchbar aufgebaut, allerdings glaubt man zu keiner Sekunde, dass Gordon wirklich ex gehen könnte und dass er im Keller eingekastelt wird, ist da nur folgerichtig. Mit der Spannung hapert es ein wenig, weil sich Daddy James noch ewig Zeit lässt bis er endlich mit Kommissar Moreland und Inspektor Blyth (ich schmeiß mich weg...) zur Verhaftung und Entlarvung schreitet und dass Elias zuvor noch abtritt, ist eine nette Wendung.
Von so etwas wie kniffligem Plot-Aufbau und wendungsreichen Twists ist aber auch hier leider nichts zu finden, schlussendlich ist alles, was vornehmlich Susan sieht und hört, genau das, was sie zu sehen und hören glaubt. Da gibt es keine Irrtümer, keine U-Turns, alle sind genau so, wie sie scheinen und diese leicht langweilige Verlässlichkeit mögen die Leser(innen) vermutlich manchmal ganz gern.
Das rückt die Romanze natürlich stark ins Reich der Märchen oder wie immer die Klassengesellschaft in England aus weiblicher Sicht wahrgenommen wird, sobald ein Mädchen aus dem nahen Arbeiter- oder Angestelltenbereich in die Adelsgesellschaft heiraten darf, nachdem sie ihrem Galan samt Erzeugen jeweils den Hals gerettet hat. So kriegen Au-Pair- und Hausmädchen, Kinderfrauen und Gesellschafterinnen offenbar immer noch die besten und meisten Chancen auf einen Titelanhang.
Das ist zwar alles – logisch – hübsch naiv, aber immerhin keine sülzige Schmonzette, wobei Hundsdorfer so nett ist, Susan erfahrungstechnisch wenig von „l'amour“ mitzugeben, so dass das mit dem Schnubbeln dann doch recht zügig von der Hand geht.
Ein wenig befremdend ist immer, wenn sich die Beteiligten an diesem Erbfall gegenseitig quotenstark an die Gurgel gehen und die Protagonistin nicht für fünf Cents Neugier oder Interesse entwickelt, sondern immer am liebsten leicht schluchzend aus dem Zimmer rennen möchten. Da setzt man sich doch in die Ringecke und schaut den Kombattanten beim Sparring zu...aber nein, Susan will immer gleich am liebsten auf ihr Zimmer, ist aber spontan sehr findig beim Lebenretten.
Insofern erfüllt dieser „Melissa“ die Erwartungen an einen Romantic Thriller ohne übernatürliche Elemente, es ist einfach ein klassisch-knatschiger Adelskrimi mit viel Gift und guten Worten, allerdings auch nicht gerade mit sehr viel Originalität geprügelt – wieder einmal mangelt es dem Roman dafür an roten Heringen, ausreichend Verdächtigungen und verschlungenen Erzählpfaden. Da wird dann lieber mit weitschweifigen Ausreden und Zusammenfassungen aufgefüllt.
Ich kann aber bestätigen: genau so hab ich mir die Dinger immer bestenfalls vorgestellt, wobei ich in diesem abgefahrenen Sechserpack sogar noch Besseres gelesen habe.
Aber als abschließendes Urteil: alles gar nicht so schlimm und durchaus lesbar, nicht zwangsläufig ein Courths-Mahler im nebligen Fichten-Tann.
Macht doch einfach auch mal alle ein Stichpröbchen.
Und was kommt jetzt? Neulich war ich mal wieder im Keller stöbern und da kam ich auf den Trichter, ich könnte nach gut dreißig Jahren Heftroman doch einfach mal genau die drei Heftromane noch mal lesen, mit denen es bei mir damals angefangen hatte, mitgebracht von meiner Schwester, die für diese lebenslange Prägung damit deutlich mitverantwortlich war.
Damit muss ich euch jetzt also durch drei ältere John Sinclairs führen, aber damals war ja auch noch Rellergerd aller Ehren wert...
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